Wie sieht die Unibibliothek der Zukunft aus?

Daniela Poth, seit April Direktorin der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, erzählt im Interview von ihrem Jobstart im Lockdown und ihren Ideen als Bibliothekarin und Architektin für die UB der Zukunft. (Photo: Jürgen Lecher)

Seit April hat die Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg eine neue Direktorin. Daniela Poth hatte zuvor die Abteilung Benutzung an der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek (SUB) Göttingen geleitet und war dort für die Lernortentwicklung und die Services der Zentralbibliothek und der sechs Bereichsbibliotheken zuständig. Im Interview erzählt sie von ihren ersten Monaten in Frankfurt und ihrer Vorstellung von der UB der Zukunft.

GoetheSpektrum: Ihr Dienstantritt im April fiel in die Zeit des Shutdowns – wie sah Ihr persönliches Onboarding aus?

Daniela Poth: Als absehbar war, dass ich zu Beginn kaum jemanden persönlich würde kennenlernen können, habe ich mich kurzerhand entschlossen, ein Video aufzunehmen, in dem ich ein wenig über mich erzählte und die für mich wichtigsten Aspekte in der Zusammenarbeit erläuterte. Dieses Video habe ich am Nachmittag meines ersten Arbeits- tages an alle Kolleginnen und Kollegen in der Bibliothek versandt. Damit wurde ich für sie, so glaube ich, etwas »greifbarer« – aber die Kolleginnen und Kollegen für mich leider nicht Am Morgen des ersten Tages traf ich mich mit Frau Dr. Hausinger, meiner Stellvertreterin, und einem Kollegen aus der IT- Abteilung, um meinen dienstlichen Rechner abzuholen. Die Bibliothek war menschenleer – wir drei waren die einzigen Personen im Gebäude!

In den ersten Wochen habe ich zu Videokonferenzen eingeladen und so Kontakt auf- gebaut und versucht zu halten – und seither sende ich wöchentliche Berichte an alle Kolleginnen und Kollegen über die wichtigsten Maßnahmen und Pläne. Da die Bibliothek bereits Ende April wieder öffnete, kehrte auch ich in mein Büro zurück, was das Arbeiten – vor allem die Kommunikation – erleichterte. Vieles ist virtuell realisierbar, das virtuelle Kennenlernen ist aber keine echte Alternative zum persönlichen Treffen. Die Gespräche mit den Führungskräften führe ich daher persönlich in der Bibliothek, alle anderen Kolleginnen und Kollegen werde ich nach und nach kennenlernen, worauf ich mich sehr freue.

Wenn Sie Ihre persönliche Traumbibliothek entwerfen würden: Wie sähe diese aus?

Die Bibliothek wäre eine hybride Serviceeinrichtung aus analogen und digitalen Elementen: Der physische Raum ist in verschiedene Zonen organisiert für das hochkonzentrierte Arbeiten alleine, aber auch für den kollaborativen Austausch, das Entspannen, für experimentelle Kreativität und Wissenstransfer. Sie weist fließende Übergänge auf, durch die sich die unterschiedlichen Funktionen jedoch nicht gegenseitig stören. Der Ort ist geprägt durch Vielfalt, die inspiriert – ein angenehmes Ambiente, nutzerorientierte technische Infrastruktur und motiviertes Betreuungspersonal. Für die historischen Sammlungen wäre dies zum Beispiel eine Kombination aus einer optimalen technischen Ausstattung, um mit den Originalen adäquat arbeiten zu können, sowie Möglichkeiten, Forschungsergebnisse zu präsentieren, zu visualisieren, mit anderen zu diskutieren und sich durch das Bibliothekspersonal beraten und unterstützen zu lassen, wo immer dies gewünscht oder benötigt wird.

Sie sind Bibliothekarin und Architektin – wie möchten Sie die Interessen der UB einbringen, wenn deren Neubau in die konkrete Planung geht?

Wichtig ist zunächst zu klären, was eigentlich Bibliothek im 21. Jahrhundert bedeutet – warum es uns gibt, was unsere Identität ausmacht und welche Services wir für die Studierenden, Lehrenden, Forschenden und die Stadtgesellschaft erbringen; Teil dieser Auseinandersetzung ist die digitale Transformation. Ab Herbst starten wir einen Strategieprozess, holen uns dabei auch Impulse und Ideen von außen ein, um diese Aspekte für uns und später mit Vertreterinnen und Vertretern unserer Zielgruppen zu definieren. Dieses Grundgerüst muss dann in die Raumkonzeption übertragen und gemeinsam in einem Projektteam erarbeitet werden.

»Um den vielfältigen und stets wachsenden Aufgaben gerecht zu werden, müssen wir  in den nächsten Jahren verstärkt  in die Automatisierung von Geschäftsabläufen investieren.«

Daniela Poth

Bibliotheken waren früher die Wissenstempel, das Internet macht hier schon länger Konkurrenz. Welche Aufgaben hat die Bibliothek der Zukunft?

Das Aufgabenspektrum von Bibliotheken ist in den letzten Jahrzehnten
deutlich gewachsen. Dazu gehören forschungsunterstützende Services: die Unterstützung bei der Auffindbarkeit, Publikation und Archivierung von Forschungsergebnissen – ob als Texte, Daten, Videosequenzen,
Bildmaterialien – und die Entwicklung von Informations- und Forschungsinfrastrukturen sowie passenden Werkzeugen. Die Vernetzung
des Wissens und die dauerhafte Zugänglichkeit von Information sind auch weiterhin Kernaufgaben von Bibliotheken. Die Goethe-Universität verfügt über einen umfangreichen Fundus an verschiedensten Sammlungen, zu denen auch die Sammlungen der Bibliothek zählen. Auch diese Schätze gilt es zu erschließen, sichtbar zu machen und so der Forschung zur Verfügung zu stellen. Ein Ziel hierbei ist, die Gesellschaft im Rahmen von Citizen-
Science-Projekten mit einzubeziehen – die wissenschaftliche Bibliothek als Schnittstelle zwischen Universität und Gesellschaft.

Unabhängig vom Umzug: Was ist wichtig, damit die UB in den kommenden Jahren Forschende und Studierende bestmöglich unterstützen kann?

Um den vielfältigen und stets wachsenden Aufgaben gerecht zu werden, müssen wir in den nächsten Jahren verstärkt in die Automatisierung von Geschäftsabläufen investieren, um die dafür nötigen Freiräume zu er- halten. Dies hat finanzielle Konsequenzen, aber auch Auswirkungen auf die Tätigkeiten der Beschäftigten, deren Arbeitsfelder sich weiterentwickeln werden. Um dem fortschreitenden digitalen Wandel besser begegnen zu können, werden wir ein strategisches Personalentwicklungskonzept erarbeiten für die gezielte Weiterbildung der Kolleginnen und Kollegen.
Forschungsunterstützende Services bedingen darüber hinaus hochspezialisiertes Personal, das über ein entsprechendes Fachstudium Einblicke in die jeweiligen Forschungsgebiete gewonnen haben sollte, aber
auch über Kompetenzen im Bereich der Datenmodellierung verfügen muss. Die Gewinnung dieses Personals wird zunehmend wichtiger, aber auch
schwieriger.
Studienunterstützende Services finden sich neben der Literaturversorgung
im Kuratieren des Lernraumes und passender Angebote: den Lernort Bibliothek als zentrale Anlaufstelle für bibliothekseigene Angebote und für weitere Services aus der Universität ausbauen. Hier setzen wir auf motivierte und vielseitig interessierte Kolleginnen und Kollegen, die
den Studierenden beratend zur Seite stehen.

Welche Erkenntnisse und Erfahrungen haben Sie aus Ihrer Zeit an der SUB Göttingen mitgenommen?

Da Lernortentwicklung in der Regel mit baulichen Maßnahmen verbunden ist, stellt sich immer auch die Frage nach der Finanzierung und den räumlichen Kapazitäten. Drittmittel stehen in der Regel nicht zur Verfügung, Raumkapazitäten sind kaum vorhanden, Lernortentwicklung ist daher oft begrenzt. Studierende wünschen meist Einzelarbeitsplätze
mit einer Basisausstattung. Darüber hinaus sind weitere Wünsche und Vorstellungen häufig wenig ausgeprägt. Demgegenüber stehen die Anforderungen sowohl aus der Wissenschaft als auch aus der Wirtschaft, dass Absolventinnen und Absolventen aller Fachrichtungen über um- fangreiche anwendungsbezogene digitale Kompetenzen verfügen sollten. Ein optimal ausgestatteter Lernraum sollte die Erprobung von digitalen Kompetenzen ermöglichen und unterstützen, da dies alleine über das curricular verankerte Angebot nicht möglich ist.

Wie arbeiten Sie, und mit wem brauchen Sie den regelmäßigen Austausch?
Mich hat in den letzten Jahren vor allem das agile Mindset in meiner eigenen Arbeit und in der Zusammenarbeit mit anderen in der Bibliothek stark geprägt. Daher werden wir in der Bibliothek das abteilungsübergreifende Arbeiten und die Eigenverantwortung des Einzelnen stärken.

Seit einigen Wochen arbeiten wir in der UB mit einem Leitungsteam, das sich aus Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedenen Servicebereichen der Bibliothek zusammensetzt. Mit diesem Team starten wir im Herbst in einen zweitägigen Retreat. In der Universität tausche ich mich regelmäßig mit der Leitung des Hochschulrechenzentrums aus, um Schnittstellen und gemeinsame Servicebereiche zu deponieren. Selbstverständlich ist auch der Austausch mit anderen Campuspartnern wie dem Immobilienmanagement, den Studierendenvertretungen und insbesondere den Fachbereichen von enormer Bedeutung.

Ich bin mit anderen Universitätsbibliotheken Deutschlands und Europas gut vernetzt und besuche regelmäßig Tagungen und Workshops, um mich sowohl in Fachfragen, vor allem aber in Fragen zur Führung und Unternehmenskultur weiterzuentwickeln.

Als Mitglied der Managementkommission der Bibliotheksverbände organisiere ich seit 2015 Veranstaltungen mit externen Impulsgebern aus Wissenschaft und Wirtschaft. Die lokale Perspektive, regelmäßig zu verlas- sen, andere Aspekte in den Blick zu rücken und die Binnensicht zu relativieren, ist für meine Arbeit sehr wichtig.

Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zu Büchern?

Die meisten meiner privaten Interessen verfolge ich eher saisonal, da ich die Abwechslung liebe. So bin ich auch eine Saison-Leserin, sowohl was die Themen, als auch die Zeitfenster betrifft. Im beruflichen Kontext schätze ich es sehr, schnell auf elektronische Medien zugreifen zu können. Ich weiß aber auch das gedruckte Buch sehr zu schätzen, da sich die Art der Rezeption deutlich unterscheidet – vor allem bei umfangreichen Werken. In den letzten Monaten habe ich mich viel mit Führung, Motivation und dem Thema New Work beschäftigt.

Mit welcher Person aus Frankfurt würden Sie gerne mal einen Kaffee trinken?

Mich faszinieren im allgemeinen persönliche Geschichten und Schicksale, Ideen und kreative Lösungen allgemein bekannter und unbekannter Persönlichkeiten. Ich bin neugierig auf Menschen, die mich inspirieren und neue Wege gehen, und mich dazu anregen, meine Perspektive zu wechseln und andere Dinge auszuprobieren.

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 3/20 des Mitarbeitermagazins GoetheSpektrum erschienen.

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