Das E-Learning-Projekt »StudyCore« verbindet Forschung mit pädagogischer Praxis
Am Anfang vieler guter Ideen steht Frust. „90 Minuten Mathevorlesung, 90 Minuten nur Zahlen und Formeln – so lange konnte ich mich einfach nicht konzentrieren“, gibt Onur Karademir seine Erfahrung im ersten Studiensemester Informatik wieder. Also suchte er im Netz nach Vorlesungs-Videos zum Thema, die er immerhin stoppen, zurück- und vorspulen konnte. Häppchenweise ging Verstehen leichter.
Diese Erfahrung war der Impuls, noch als Student E-Learning-Formate zu entwickeln, die vom studiumdigitale- Team der Goethe-Universität gefördert wurden. Inzwischen gibt es das EdTech-Start-up StudyCore, in dem Onur Karademir mit sechs weiteren Studierenden ein breites Angebot an Digitalen Lehr- und Lernformen entwickelt und das eine Perspektive über ihr Studium hinaus geben soll. Das Team teilt sich Softwareentwicklung, didaktische Konzepte, Design und Businessplan untereinander auf.
Was bietet StudyCore? Lehrende können Wissensbausteine verschiedener Schwierigkeitsgrade ins Netz stellen (mehr „basics“ für schwächere Studierende, komplexere Zusatzaufgaben für die stärkeren); sie können Lehrinhalte per Quizapp aufbereiten und zugleich Rückmeldung erhalten, welche Fragen kaum oder besonders gut beantwortet oder nicht verstanden worden sind; sie können Quizapps mischen und zu breiteren Themenpaketen kombinieren; sie können den Lernstoff „gamisieren“, so dass sich die Studierenden im Lernniveau steigern und über Wochen immer vielfältigere Sachverhalte erarbeiten können.
„Unsere nächste Challenge ist“, so das StudyCore-Mitglied Onur Karademir, „komplexe Fragestellungen und Problemaufgaben als App aufzubereiten“. Digitales Lehren heißt demnach: individuell lehren und lernen. „Hätte jeder Student einen Privatlehrer, der individuell auf seine Fähigkeiten und seinen Lernrhythmus eingehen würde“, gibt der Informatiker Onur Karademir zu bedenken, „wäre digitale Lehre überflüssig“. Weil dem nicht so ist, hat StudyCore Zukunft.
Corona war nur der Katalysator dafür, dass StudyCore inzwischen nicht nur Professoren der Goethe-Universität, etwa aus den Fachbereichen Rechtswissenschaft und den Wirtschaftswissenschaften, zuliefert, sondern auch mit Professoren anderer Universitäten im Austausch ist. „Auch wenn es immer noch ein Riesenproblem ist, dass vielen Professoren die Lehre egal ist“, stellt der junge Informatiker klar, „gibt es immerhin einige, die für digitale Elemente beim Lehren offen sind und uns um Rat fragen.“ „Lieblingskunden“, die Apps von StudyCore mit Experimentierlust ausprobieren und ihre Erfahrungen rückmelden, bekommen das Angebot schon mal umsonst oder mit Rabatt.
Dank Corona gibt es allerdings ein neues, bereits preisgekröntes Projekt: Lehramtsstudierende, deren Pflichtpraktika in Schulen im laufenden Semester ausfallen, können mittels einer für sie entwickelten App digitalen Unterricht abhalten – inklusive Gruppenarbeit, individueller Lernförderung und Lernstandsmessung. Die „echten“ Schüler vermittelt das digitale Nachhilfeprojekt „Corona-Schule“, mit dem StudyCore kooperiert. Digitale pädagogische Praxis meets Forschung: Der enge Kontakt mit Professoren der Goethe-Universität garantiert die permanente Weiterentwicklung des Projekts.
Mit der Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Anna Rohlfing-Bastian wurde die Quiz-App entwickelt, Detlef Krömker, Professor für Graphische Datenverarbeitung, fördert die technische Qualitätsentwicklung des Projekts, und die Arbeit mit dem Informatikprofessor Hendrik Drachsler, auch Leiter des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation, garantiert, dass die didaktischen Konzepte im Vordergrund stehen. Bachelor-, Masterund Doktorarbeiten am Fachbereich Informatik widmen sich noch offenen Fragen: Steigt die Lernmotivation bei Studierenden, wenn eine „gamisierte“ Quizapp belohnt? Wie müssen Serverkapazitäten verteilt werden, wenn die Teilnehmerzahl steigt? Wie können Feedbacksysteme differenziert werden? Was umfasst ein Learning-Analytics-Dozenten- Cockpit für Quizapps?
Demnächst soll über die Einbindung des Psychologieprofessors Holger Horz weiteres Detailwissen über die Schnittstelle von Didaktik und Technik hinzukommen. Dass die digitale pädagogische Praxis mit Forschung verzahnt ist, darauf legt Onur Karademir Wert, ist das eigentliche Alleinstellungsmerkmal von StudyCore. Dabei gehe es auch gar nicht darum, das analoge Lehren abzuschaffen. „Inverted Classroom“ ist das Stichwort, also eine Lehre, die Online- und Präsenz-Lernangebote sorgfältig und im Bewusstsein der jeweiligen Stärken mischt. Was allerdings bedeutet, dass es die „alte“ analoge Lehre so nicht mehr geben kann.
Wo digitale Angebote bereits Wissensvermittlung leisten, müsse etwa eine Vorlesung anderes bieten, meint Onur Karademir. Zum Beispiel, betont der junge Informatiker, „Lehren auf Augenhöhe“. Wenn Studierende durch digitale Thementools vorbereitet an Vorlesungen teilnehmen, fällt hierarchische Stoffvermittlung eines Allwissenden an Unwissende weg. Was bleibt, wenn Lehrende und Lernende „live“ aufeinandertreffen: Fragen klären, Praxisbeispiele und Problemlösungen besprechen, gemeinsam denken, motivieren, emotional binden. Denn eines sieht Onur Karademir ganz klar: „Viele Professoren meinen, nach Corona wird alles wieder wie vorher. Aber da irren sie sich. Die digitale Lehre wird bleiben.“
Mehr Informationen: www.studycore.de/
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 3.20 des UniReport erschienen.