Für viele Studierende käme eine Lehre nicht in Frage. Doch entsprechende Beratungsangebote für »Studienzweifler« werden zunehmend angenommen.
Eine Ausbildung? Armin schüttelt erstaunt den Kopf. Nein, auf die Idee, statt dem Soziologiestudium eine Lehre zu beginnen, ist er nicht gekommen: „Für mich war einfach klar, dass ich studieren will.“ Sein Kumpel Lars teilt diese Meinung. Er arbeitet lieber theoretisch, als in der Werkstatt mit dem Schraubenzieher herumzuhantieren.
Es ist eine Antwort, die man oft hört, wenn man sich unter den Studierenden auf dem Campus Westend umhört. Sarah, die Politikstudentin, die Juristinnen Cecilia und Jean, Jonas und Christopher, die beiden BWLer: Für sie alle stand nach der Schule fest, es kommt nur ein Studium infrage. „Ich habe in einer Ausbildung einfach keine Zukunft gesehen“, sagt Sarah. Nach der Uni habe sie einfach mehr Möglichkeiten, meint sie, zudem biete ihr das Studium mehr Freiräume als eine Lehre.
Doch es gibt auch anderen Stimmen auf dem Campus. Vivien etwa hat zuerst eine Ausbildung zur Bürokauffrau für Büromanagement gemacht, bevor sie sich für Politikwissenschaft eingeschrieben hat. Was ihre Kommilitonin Sarah vor einer Lehre zurückschrecken ließ, war für Vivien eher ein Grund gegen das direkte Studium. „Ich habe mich nicht so ganz getraut, direkt mit Politik anzufangen. Ich wusste nicht, ob das auch was für später ist“, meint sie.
Ein bisschen erging es auch Luis so. Eigentlich wollte er eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker beginnen, erzählt er. Seine Familie habe ihn jedoch überzeugt, es erstmal mit dem Studium zu versuchen. „Ab da stand das im Vordergrund“, stellt er fest. Ein kleines bisschen vermisst er die Praxisnähe in der Uni. Mit seiner Wahl, Soziologie, ist er trotzdem zufrieden, nur die Stadt gefällt ihm nicht so gut. Er überlegt, gegen Ende des Semesters wieder zurück nach Wiesbaden zu ziehen und sich in Mainz einzuschreiben.
Beratung und Perspektiven für Studienzweifler
Sollte Luis erneut damit liebäugeln, neben dem Ort auch den Ausbildungsweg zu ändern und sich für eine handwerkliche Ausbildung zu entscheiden, könnte er Hilfe bei Sven Hartwig einholen. Hartwig leitet das Projekt yourPUSH, das die Handwerkskammer Hessen gemeinsam mit der Goethe-Universität und weiteren Partnern durchführt. Ziel ist es, Studierende, die mit dem Gedanken spielen, ihr Studium abzubrechen und eine duale Ausbildung, sprich eine Lehre im Betrieb kombiniert mit Unterricht in der Berufsschule zu beginnen, zu unterstützen.
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35 Prozent eines Jahrgangs brechen ihr begonnenes Studium wieder ab. YourPUSH will dieser Gruppe Ansatzpunkte für die weitere Zukunft bieten. In seinen Beratungsstunden immer freitags auf dem Campus Westend möchte Hartwig gemeinsam mit seinen Klienten herausfinden, welche Ausbildung passen könnte. In den ersten Gesprächen möchte er den Studienzweiflern vor allem die Angst vor der Zukunft nehmen. „Ich bin dazu da, erstmal Druck rauszunehmen. Die Studenten sollen sich Zeit für ihre Entscheidung nehmen. Wenn die dann gefallen ist, gucken wir gemeinsam: Wie geht es weiter“, erklärt Hartwig.
In einem weiteren Schritt vermittelt Hartwig erste Schnupperpraktika und hilft, sofern die Entscheidung endgültig getroffen ist, bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz. „Dabei schaue ich immer darauf, dass die Studierenden ihre Begabung mitnehmen“, sagt Hartwig. Gleichzeitig versucht Hartwig, dass möglichst viele der erbrachten Studienleistungen bei der Ausbildung angerechnet werden. „Die Studenten sollen nicht das Gefühl bekommen, die Semester, die sie an der Uni studiert haben, waren umsonst“, meint Hartwig.
Doch auch, wenn die ein oder andere Klausur nicht angerechnet werden kann: Das Beratungsangebot von Hartwig ist begehrt. Aus allen Fachrichtungen, von Biologie bis Wirtschaftswissenschaften, kommen Leute in Hartwigs Sprechstunde. Studienabbrecher sind bei Betrieben begehrt, gerade wegen des im Handwerk herrschenden Fachkräftemangels suchen einige Firmen händeringend Nachwuchs. Uniabgänger können ihre dreieinhalbjährige duale Ausbildung oftmals um ein Jahr verkürzen, zudem werden ihnen zahlreiche Weiterbildungsmöglichkeiten geboten. „Studienabbrecher sind außerdem potenzielle Kandidaten, sich später selbstständig zu machen“, ergänzt Hartwig.
Von einem eigenen Geschäft sind Luis, Sarah und die anderen Studenten vom Campus Westend noch ein Stück entfernt. Die meisten von ihnen möchten zunächst ihr Studium zu Ende bringen, auch wenn Cecilia manchmal die Praxis ein bisschen abgeht: „Wir müssen uns das alles selbst mit Praktika und Nebenjobs beibringen. Das Problem hätte man bei einer Ausbildung nicht“, sagt sie und lacht. So richtig ernsthaft zieht sie diese Option nicht in Erwägung. Und falls doch, wäre sie bei den ersten Schritten in die Lehre nicht alleine. Sven Hartwig würde sie begleiten. Gerne auch, bis sie ihre Ausbildung abgeschlossen hätte. Dafür sind er und yourPUSH schließlich da.
Autor: Linus Freymark
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 3.18 des UniReport erschienen. PDF-Download »