Dualer Kooperationsstudiengang Hebammenwissenschaft der Frankfurt University of Applied Sciences und der Goethe-Universität startet im Sommersemester mit 30 Studienplätzen.
Das Hebammenwesen gehört zweifelsohne zu den ältesten Berufen, seine Anfänge reichen in Deutschland bis in das 15. Jahrhundert zurück. Eine sicherlich stolze Tradition, doch in der Gegenwart hinkt man hierzulande zumindest der europäischen Entwicklung hinterher. Denn Deutschland ist eines der letzten Länder, das erst im Jahre 2020 ein wissenschaftliches Studium zur Voraussetzung macht, diesen Beruf auszuüben, erzählen Friederike Hesse und Nadja Zander. Beide sind ausgebildete Hebammenwissenschaftlerinnen und koordinieren gemeinsam den neuen Kooperationsstudiengang – die eine an der Frankfurt University of Applied Sciences, die andere an der Goethe-Universität. Zwar hätten in den letzten Dekaden auch die Hebammenschulen zunehmend wissenschaftliche Inhalte in die Ausbildung integriert, doch eine im Rahmen des Bologna-Prozesses notwendige Vergleichbarkeit der europäischen Bildungsabschlüsse machte es erforderlich, auf eine Vollakademisierung umzustellen. Die Anhebung der Niveaustufen von Stufe 4 auf 6 wäre dauerhaft nicht mehr im Rahmen einer dreijährigen Ausbildung an einer Fachschule zu schaffen gewesen, somit musste das Studium kommen, erläutert Friederike Hesse. In Ländern wie Großbritannien und den Niederlanden hat die Akademisierung viel früher eingesetzt, dort ist die Forschung daher auch schon viel weiter.
»Hebamme« und »Geburtspfleger«
Im Rahmen von Modellstudiengängen für das Hebammenwesen wurde in Deutschland erst einmal „vorgefühlt“, ob die Akademisierung dieses Berufsfeldes hier auch sinnvoll ist. Deutschland ist in der EU auch das einzige Land, in dem bislang die medizinischen „An-Berufe“ wie Hebamme, Krankenschwester, Krankengymnasten, MTA, RTA etc. als Ausbildungsberufe an nichtakademischen Fachschulen erlernt wurden und hat sich im Rahmen des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) verpflichtet, diese Berufe in akademische Berufe zu überführen. Diese Umwandlung findet zurzeit deutschlandweit statt, so wird zum Beispiel die Ausbildung zu Gesundheits- und Krankpflegenden in den Studiengang „Pflegewissenschaften“ umgewandelt, der überwiegend von Hochschulen für angewandte Wissenschaften angeboten wird, aber auch an einigen Universitäten. In diesem Kontext beteiligt sich nun also auch die Goethe-Universität an der akademischen Ausbildung zukünftiger Hebammen. Der achtsemestrige Studiengang wurde auf der Grundlage des im Jahr 2020 in Kraft getretenen Gesetzes über das Studium und den Beruf von Hebammen – Hebammengesetz (HebG) – aufgebaut. Der Studiengang schließt mit dem akademischen Grad Bachelor of Science (B.Sc.) und der staatlichen Zulassung zur Hebamme ab.
Allerdings wird es bei der Ausbildung in Deutschland eine Phase des Übergangs geben: Bis 2027 dürfen die Hebammenschulen noch ausbilden; bereits auf einer Fachschule ausgebildete Hebammen werden aufgrund des Bestandschutzes ihren Beruf auch weiterhin ausüben können. Die Berufsbezeichnung für Frauen und zukünftig auch Männer wird weiterhin „Hebamme“ sein.
Hohe Begleitbedürftigkeit von Familien
Neben der im Rahmen von Bologna notwendig gewordenen Anpassung an europäische Abschlüsse sind die Veränderungen des Berufsfelds Hebamme deutlich zu sehen: „Ein Berufsfeld, das ohnehin von vielen Unwägbarkeiten und Herausforderungen geprägt ist – eine Geburt ist immer ein einschneidendes Ereignis im Leben einer Familie, die Hebamme kümmert sich immer mindestens um zwei Menschen – hat sich, bedingt durch veränderte Sozialstrukturen, auch die Begleitbedürftigkeit erhöht“, erklärt Nadja Zander; Familienverbünde, wie sie in früheren Jahrhunderten noch gang und gäbe gewesen wären, könne man heute auch aufgrund von Mobilität nicht mehr voraussetzen. Damit es nicht wie bereits im Bereich der Pflege zu einem Fachkräftemangel dauerhaft komme, müsse der Ausbau der Hebammenwissenschaft vorangetrieben werden. Auch im Bereich der Forschung gebe es in Deutschland noch großen Nachholbedarf; welches professionelle Selbstverständnis hätten Hebammen überhaupt? Fragen, denen sich die im Augenblick noch überschaubare Zahl an Forscherinnen und Forschern der Hebammenwissenschaft noch stärker widmen müssten.
Das Curriculum des neuen Studiengangs umfasst prinzipiell medizinisch-naturwissenschaftliche Grundlagen und pflegerisches Basiswissen. Ziel des Bachelorstudiums ist die praktische berufliche Tätigkeit als Hebamme und damit die eigenständige Leitung physiologischer Geburten sowie die Begleitung werdender Familien. Somit werden im Studium auch ökonomische Aspekte des Berufs thematisiert – „ein Großteil der Hebammen arbeiten zumindest in Ergänzung zu ihrem Angestelltenverhältnis freiberuflich und benötigen auch solche Kenntnisse“, erklärt Friederike M. Hesse. Die Studierenden schließen gleichzeitig Arbeitsverträge mit Kooperationskrankenhäusern ab. Zu den kooperierenden Praxispartnern zählen: Universitätsklinikum Frankfurt, Bürgerhospital Frankfurt, Klinikum Frankfurt Höchst, Sana Klinikum Offenbach, Klinikum Darmstadt und Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken Wiesbaden.
Großes Interesse
Fast 100 Bewerbungen gingen für die 30 Studienplätze im Sommersemester 2022 ein. Sehr heterogen sei das Bewerberfeld gewesen, betonen Friederike Hesse und Nadja Zander, mit unterschiedlichen beruflichen Vorerfahrungen. „Dafür, dass die Bewerbungsphase einen recht kurzen Vorlauf hatte, ist das durchaus beachtlich. Wir gehen davon aus, dass das Interesse an dem Studiengang künftig sehr groß sein wird“. An einen gemeinsamen Studiengang, der gleichermaßen an der Frankfurt University of Applied Sciences wie an der Goethe-Universität angesiedelt ist, müssen sich auch die Studierenden noch gewöhnen. Immerhin hat man es mit zwei verschiedenen Institutionen zu tun, mit deren Infrastrukturen beispielsweise im Bereich E-Learning man sich erst noch vertraut machen muss. Nadja Zander betont: „Wenn die Studierenden sich irgendwann an beiden Hochschulen heimisch fühlen, ist das Ziel erreicht.“
Dualer Kooperationsstudiengang Hebammenwissenschaft
Zum Wintersemester 2022/23 erfolgt die nächste Aufnahme Studierender für ebenfalls 30 Studienplätze, ab 2023 wird der Studiengang jährlich 55 Studienplätze anbieten.
Weitere Informationen
https://www.frankfurt-university.de/ba-hebammenwissenschaft
oder
https://www.uni-frankfurt. de/105817318/Dualer_Studiengang_ Hebammenwissenschaft__B_Sc
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 1/2022 (PDF) des UniReport erschienen.