Ein Visum beantragen? „Pretty normal“ sei das vor der Pandemie gewesen, mailt uns Mallika aus Indien. Als professionelle Tischtennisspielerin für internationale Wettkämpfe sei sie oft um die Welt gereist. So habe sie Frankfurt kennengelernt und sich entschlossen, den Masterstudiengang „Finance law“ an ihre beiden Bachelor-Abschlüsse anzuschließen. Die Zulassung von der Goethe-Universität für das kommende Wintersemester liegt per Mail längst vor. Trotzdem hat die 28-Jährige kaum Hoffnung, dass sie ihr Auslandsjahr antreten kann. Vor dem 16. Oktober vergibt das deutsche Konsulat in Mumbai keine Termine. Die Wartelisten sind lang. Und unter Studierenden kursiere das Gerücht, dass ihre Heimatregion zu stark von Corona betroffen sei, um überhaupt ins eineinhalb Flugstunden entfernte Mumbai geladen zu werden.
Auch die Inderin Ankita hat wochenlang nachts die Homepage der deutschen Botschaft in Neu-Delhi nach Terminen durchforstet. Ihre Tage habe sie mit bisweilen hundert Anrufen verbracht, ohne überhaupt nur in die Warteschleife zu kommen, schreibt uns die Computerspezialistin. Inzwischen hatte die 25-Jährige einen Termin am 6. Oktober – doch nur, weil Verwandte, die bei der indischen Regierung arbeiten, parallel zum deutschen Konsulat in Neu-Dehli und zum indischen Konsulat in München vorgedrungen seien. Visum-Termine, hat Ankita erfahren, würden inzwischen für 80 000 Indische Rupien, also rund 930 Euro, gehandelt. Vielleicht wäre es also an der Zeit, so Ankitas ironischer Kommentar, in Hyderabad neben dem viel besuchten Tempel für das begehrte Amerika-Visum einen Tempel für deutsche Studentenvisa zu errichten. Sicher seien viele Studierende bereit, die obligatorischen 108 Barfuß-Gebetsrunden für ein Visum um den Tempel zu drehen!
Ausländerbehörde alarmiert
Botschaften im Notbetrieb: Auf diese Hürden stoßen derzeit viele Studienbewerber. Noch bangen Bewerberinnen für ein Studium an der Goethe-Universität aus dem Iran und Indien, aber auch aus Ländern wie Kolumbien, Nigeria und China. Länder wie die Vereinigten Staaten von Amerika und Südkorea fehlen gleich ganz auf der Bewerberliste. Jenseits aller Routine bemühen sich deshalb die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des International Office (IO), Hindernisse aus dem Weg zu räumen: „Sehr großzügig“ hat man vor Wochen noch individuelle Schreiben ausgestellt, in denen die Anwesenheit der Studierenden an der Universität als unbedingt notwendig begründet wurde. Inzwischen ist dies nicht mehr nötig. Mit dem Hinweis auf einen Mix aus universitärem Online- und Präsenzstudium im Wintersemester verlangt das Bundesinnenministerium seit dem 11. September keine Bescheinigung mehr zur Präsenzpflicht von Studierenden und Gastwissenschaftlern. Doch es bleiben Hürden – etwa bei der Visumvergabe: Das IO insistiert bei Botschaften deshalb schon einmal freundlich, Studierenden zeitnah ein Visum auszustellen. Auch die Einreiseabteilung der Ausländerbehörde der Stadt Frankfurt bittet die Botschaft öfter im Anschluss an das Interview, eingereichte Unterlagen zügig zu prüfen. Und sollte ein Anruf beim Auswärtigen Amt weiterhelfen, setzen sich die Mitarbeiterinnen des IO auch auf diese Weise ein. „Wir wollen die Studierenden nach Frankfurt holen, damit sie in das Studium und Leben in Frankfurt eintauchen und auf alle Ressourcen vor Ort zugreifen können“, betont Hanna Reuther, Abteilungsleiterin im International Office für die Beratung und Betreuung internationaler Studierender. Möglichst jede Bewerberin, jeder Bewerber wird im bürokratischen Hindernisparcours individuell betreut. Denn wenn die Zahl der Bewerbungen auch pandemiebedingt abnimmt: Immer noch zieht es viele ausländische Studierende an die Goethe-Universität.
Corona-Specials im neuen Semester
Ein weiterer Engpass für die Bewerberinnen und Bewerber: die Bearbeitungszeit ihrer Unterlagen bei der bundesweiten Prüfstelle Uni-assist. An diese delegieren viele Hochschulen wie die Goethe-Universität die Begutachtung der Zeugnisse ihrer ausländischen Studienbewerber. Statt mit einer dreiwöchigen Begutachtung nach Ende der Bewerbungsfrist, so Reuther, müsse man diesmal eher mit bis zu sechs Wochen rechnen, zumindest in Einzelfällen. Der Grund: Die Arbeit der Prüfstelle wird durch Tarifauseinandersetzungen verzögert. Doch erst wenn alle Unterlagen begutachtet sind, können die Hochschulen aktiv werden und Zulassungen verschicken. „Eine Hochschule mit vielen internationalen Studierenden wie die Goethe-Universität kommt da natürlich unter Zeitdruck“, erklärt Dr. Rebekka Göhring, Bereichsleiterin des International Office und des Studien-Service-Centers. „Wir wollen aber, dass internationale Studierende es leicht haben, zu uns zu kommen. Deshalb müssen wir diese Prozesse in absehbarer Zeit vereinfachen“.
Wie viele Degree-Seekers in Frankfurt starten werden – also Bewerber aus dem nichteuropäischen Ausland, die ein vollständiges Bachelor-, Master- oder Staatsexamensstudium in Frankfurt absolvieren wollen – ist noch nicht absehbar: manche Vergabeverfahren laufen noch. Deutlich ist aber
schon jetzt: Im Verhältnis zu den Bewerbungen gibt es weniger Studierende, die sich tatsächlich einschreiben.
Aus dem europäischen Ausland wollen 116 Studierende an die Goethe-Universität kommen – die meisten im Rahmen des Erasmus-Austauschprogramms. Vor einem Jahr waren es noch 250, 105 wollen ihr Studium vor Ort in Frankfurt aufnehmen. 10 Gaststudierende ziehen ein Online-Studium von ihrem Wohnort aus vor – „Stand jetzt“, relativiert IO-Berater Olaf Purkert das Zahlenwerk seiner Abteilung unter Pandemiebedingungen.
Ob nun digitales Fernstudium oder Hybrid-Online-Präsenzstudium, ob Degree-Seeker oder Austauschstudent für ein Semester: Am 1. September hat das IO die bereits zugelassenen Studierenden willkommen geheißen und in die Corona-Specials des Wintersemesters eingeführt. Pandemiebedingt fand das Willkommen per Zoom-Konferenz statt. Ein Plus für alle, die noch im Ausland festsitzen. Auch zu den Orientierungsveranstaltungen ab Mitte Oktober können sie sich erstmals online zuschalten.
Chatten gegen die Einsamkeit
Eine weitere Besonderheit des neuen Semesters, das am 2. November später als sonst startet: Gaststudierende können zwei Monate lang einen kostenlosen Online-Deutschkurs belegen (statt bislang nur einen Monat), um die Zeit bis zum späten Semesterstart zu nutzen. Überhaupt gibt es Erleichterungen und neue Unterstützungsangebote. Neben den Begleitbuddys, die Ankömmlingen aus dem Ausland an der Goethe-Universität ohnehin beim Einleben helfen, gibt es eine besondere Quarantäne-Variante. In kürzester Zeit haben sich 108 Studentinnen und Studenten mit Auslandserfahrung auf eine Rundmail des Engagement-Programms Act, Connect & Reflect des IO gemeldet. Einkaufen für Kommilitonen in Quarantäne? Chatten gegen die Einsamkeit? „Unsere Home-Isolation-Buddys stehen in den Startlöchern und fragen uns schon, wann es endlich losgeht“, berichtet Projektkoordinatorin Dr. Susanne Jauernig. Manche haben mit ihrem Buddy-Paar bereits im Ausland Kontakt aufgenommen. Doch wie viele der HI-Begleiter letztendlich zum Einsatz kommen, hängt davon ab, wie viele Bewerberinnen und -bewerber nach dem Hindernisparcours bei der Goethe-Uni im Ziel eintreffen.
Jahrelang haben Ankita und Mallika gejobbt, um das Geld für ihr Auslandsstudium zusammenzubekommen. Mehr als 10 000 Euro müssen Gaststudierende aufbringen, um eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland zu erhalten. Diese Summe, schreibt Ankita, liege nun eingefroren auf einem Konto – für ihr Leben in Frankfurt. Auch die Oktober-Miete für ihr Zimmer sei bereits überwiesen. Ein Aufenthalt in Indien sei dagegen gar nicht mehr geplant gewesen. Dafür werde nun das Geld knapp. Mallika sagt, sie würde auch noch nach dem Semesterstart nach Frankfurt kommen. Wenn es sein müsse, auch am Jahresende. Noch habe sie Hoffnung. Stand jetzt.
Pia Barth
Info-Kaffeeklatsch, Campus-Runde, Gruppen-Talk: Seit 15 Jahren organisiert Barbara Budzisz vom International Office die zweitägige Orientierungsveranstaltung, die ausländische Studierende mit dem Studium an der Goethe-Universität und dem Leben in Frankfurt vertraut macht. Nun findet die Infoveranstaltung im Oktober erstmals online statt.
UniReport: Eine zweitägige Infoveranstaltung für Studierende aus aller Welt online … Was ist die größte Herausforderung?
Barbara Budzisz: Wir wollten keine reduzierte Version unserer Präsenzveranstaltung anbieten. Deshalb haben uns darauf fokussiert, das Format der Veranstaltung mit allen seinen informativen und interaktiven Elementen zu behalten.
Haben Sie Elemente wie Info-Café und Campus-Führungen integrieren können?
Wir haben bereits im Vorfeld Aufnahmen mit unseren Referent*innen gemacht und sie am Tag der Veranstaltung zum virtuellen Info-Café eingeladen. Außerdem können die zugeschalteten Studierenden Fragen stellen, sich austauschen und an Workshops teilnehmen. An den beiden Nachmittagen begleiten unsere Tutoren dann die Studierenden in fachbezogenen Gruppen und nehmen sie auch live auf eine virtuelle Campus-Führung mit.
Vielleicht werden mehr als hundert ausländische Studentinnen und Studenten teilnehmen. Das ist auch technisch eine Herausforderung …
Diesmal hat mich meine Arbeitskollegin Anne Prell unterstützt. Wir haben uns stundenlang zusammengesetzt und alles mehrfach durchgesprochen und durchgespielt. Alles Weitere war dann Learning by Doing. Resümierend kann ich sagen, dass ich mich freue, die internationalen Studierenden auf diese virtuelle Reise mitzunehmen.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 5.20 des UniReport erschienen.