Friedrich-Merz-Stiftungsgastprofessur mit Prof. Samir Mitragotri
Haben Sie sich schon einmal vorgestellt, dass Medikamente in Zukunft wie personalisierte Boten durch unseren Körper reisen könnten, um gezielt Krankheiten zu bekämpfen? Diese faszinierende Vision stand im Mittelpunkt des Bürgersymposiums im Rahmen der Friedrich-Merz-Stiftungsgastprofessur am 7. November 2023 am Campus Riedberg. Ein Ereignis, das nicht nur Studierenden und Forschenden, sondern besonders den Bürger*innen der Stadt Frankfurt die Möglichkeit bot, mit renommierten Wissenschaftler*innen in den Dialog zu treten. Ein breites Publikum mit über 130 Teilnehmer*innen, im Alter von 4 bis 86 Jahren, saß aufmerksam auf den Bänken des Hörsaals, um dem zweistündigen Vortragsprogramm zu lauschen.
Im Mittelpunkt der diesjährigen Gastprofessur stand Samir Mitragotri, Hiller Professor of Bioengineering und Hansjorg Wyss Professor of Biologically Inspired Engineering an der Harvard University in Cambridge (USA). Seine Forschung konzentriert sich auf innovative Ansätze im Bereich „Drug Delivery“ – die Entwicklung von Trägersystemen, die eine sichere und präzise Verteilung von Arzneistoffen im menschlichen Körper ermöglichen. Besonders anschaulich vermittelte Prof. Maike Windbergs, die diesjährige wissenschaftliche Kuratorin der Gastprofessur, dieses Konzept den Bürgern der Stadt Frankfurt während der Eröffnung anhand eines alltäglichen Beispiels: „Um Pakete, insbesondere mit zerbrechlichen Waren, unversehrt beim Empfänger ankommen zu lassen, braucht es ein bestimmtes Verpackungsmaterial, eine weiche Polsterung, die exakte Adresse des Empfängers und eine zuverlässige Sendungsnachverfolgung“ – eine Herausforderung, die vielen Teilnehmer*innen nur allzu bekannt war.
EMTHERA
»Die Entwicklung neuer Therapien ist bedeutungslos, wenn sie nicht von der Gesellschaft akzeptiert und angewendet werden. Wir haben dies während der jüngsten Pandemie deutlich erlebt. Daher liegt mir die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse und die Förderung des Dialogs zwischen Wissenschaft und Gesellschaft sehr am Herzen. Veranstaltungen wie das Bürgersymposium spielen eine entscheidende Rolle, indem sie die Brücke zwischen der Forschung und der Öffentlichkeit schlagen«, sagte Prof. Windbergs im Nachgang des Bürgersymposiums. Diese Perspektiven spielen auch eine Rolle im Forschungscluster EMTHERA (EMerging THERApeutic strategies), in dem Prof. Windbergs mit sieben weiteren Wissenschaftler*innen der Goethe-Universität und der Johannes-Gutenberg-Universität das Steering Committee bildet.
In enger Zusammenarbeit will das Forschungscluster mithilfe modernste RNA- und proximitätsinduzierender Technologien neue therapeutischer Strategien entwickeln, um die Behandlung von Infektionen mit RNA-Viren und multiresistenten Bakterien, die Eindämmung von Entzündungen und die Verbesserung der Gewebereparatur zu ermöglichen. Durch den Zusammenschluss zweier Parteien der Rhein-Main-Universitäten (RMU) werden komplementäre Expertisen vereint, um in einem interdisziplinären Ansatz hoch relevante Fragestellungen im Bereich neuer Therapiestrategien zu bearbeiten.
https://www.emthera.de
Das Bürgersymposium, ein fester Bestandteil der Veranstaltungswoche im Rahmen der Gastprofessur, bot zuerst Einblicke in die hochkarätige Forschung von Prof. Mitragotri, dessen Vortrag parallel von Prof. Windbergs ins Deutsche übersetzt wurde, um ihn dem breiten Publikum zugänglich zu machen. So erhielten alle Teilnehmer*innen der Veranstaltung die Möglichkeit, faszinierende Einblicke in die Therapiemöglichkeiten der Zukunft zu erhalten. Prof. Mitragotri nutzt beispielsweise Zellen des menschlichen Körpers aus, um Wirkstoffe an ihr Ziel im Patienten zu bringen. Rote Blutkörperchen transportieren als Shuttle arzneistoffbeladene Nanopartikel in bestimmte Gewebe – quasi per Anhalter durch den Blutkreislauf. Die Blutkörperchen tragen die Nanopartikel dabei ungehindert durch den Menschen bis z.B. in die Lunge, wo sie dann gezielt abgegeben und der Wirkstoff freigesetzt wird. Genauso anschaulich berichtete Prof. Mitragotri über seine Arbeit an „Rucksäcken“ für Immunzellen: mit anti-inflammatorischen Wirkstoffen im Gepäck schickt der Harvard-Professor Immunzellen direkt an deren Einsatzort. Mit diesen visionären Strategien könnten in Zukunft körpereigene Zellen dazu ausgetrickst werden, entzündete Gewebe zu heilen oder Krebstumore zu bekämpfen.
Auf die Frage, weshalb sie sich dazu entschieden hat, Prof. Mitragotri einzuladen, antwortet Prof. Windbergs: „Effektive Therapien erfordern nicht nur die Entwicklung von neuen Wirkstoffen, sondern vor allem auch deren gezielten Transport im Körper. Viele sind sich dessen nicht bewusst, weshalb es uns ein Anliegen ist, dieses Verständnis zu fördern. Die Entscheidung, Prof. Mitragotri einzuladen, basiert auf seiner Pionierarbeit im Bereich der Arzneistoffträgersysteme, was entscheidend für die Zukunft der Medikamentenentwicklung ist.“ Mit diesem Prinzip kennt sich Prof. Windbergs als Direktorin des Instituts für Pharmazeutische Technologie der Goethe-Universität bestens aus. In ihrer Forschung entwickelt sie mit ihrem multidisziplinären Team neue Therapieansätze in den Bereichen Infektion, Entzündung und Wundheilung.
Das Programm des Bürgersymposiums wurde im weiteren Verlauf des Abends von Doktorand*innen des Instituts für Pharmazeutische Technologie gestaltet, die nicht nur eine unterhaltsame Moderation boten, sondern auch in Impulsvorträgen komplexe Themen besonders anschaulich erklärten und damit die Wissenschaft für das breite Publikum greifbar machten. Christopher Hauß erklärte den Zuhörern anhand von Lego-Steinen Grundprinzipien, die die Entwicklung von der ‚klassischen‘ Pastille zum pharmazeutischen Hightech-Produkt ermöglichten. Annika Häßler zeigte in ihrer bildgewaltigen Präsentation, wie Nanopartikel als ‚winzige Teilchen mit großer Wirkung‘ den zielgerichteten Wirkstofftransport in verschiedene Organe oder auch Tumore ermöglichen. Alexandra Hübl erklärte dem Publikum, wie Innovationen in der pharmazeutischen Technologie den (un)beabsichtigten Arzneimittelmissbrauch verhindern und damit Arzneimittel sicherer machen. Zuletzt nahm Annika Horchler die Zuhörer mit auf eine Reise vom Labor ins Kinderzimmer und berichtete, wie Arzneimittel für die kleinsten Patienten nicht nur sicherer, sondern auch schmackhafter gemacht werden.
Einige Doktorand*innen hielten an diesem Abend zum ersten Mal einen Vortrag vor einem nicht wissenschaftlichen Auditorium: „Es war eine Herausforderung, aber auch äußerst spannend, komplexe Themen einem breiten Publikum näherzubringen.“ Dass sie damit das Interesse der Frankfurter Bürger*innen geweckt hatten, wurde beim Austausch nach dem wissenschaftlichen Programm offensichtlich. Noch lange standen die Teilnehmer*innen in Gespräche vertieft in ungezwungener Atmosphäre bei Apfelwein und Laugengebäck, um Fragen zu stellen, Gedanken auszutauschen und Wissenschaft für einen Abend zu einem Thema werden zu lassen, das nicht nur Experten betrifft, sondern alle angeht. „Wissenschaftskommunikation nimmt oft keine Rolle in unserem Alltag als Forscher*innen ein, dabei kann es so einfach und erfüllend sein auch mit Bekannten oder der Familie über die Themen zu sprechen“, so eine der Teilnehmerinnen. Die Friedrich-Merz-Stiftungsgastprofessur und der damit verbundene Bürgerdialog zeigten erneut, wie wichtig es ist, die Wissenschaft aus den Laboren heraus und in die Mitte der Gemeinschaft zu bringen. Ein Dialog, der nicht nur den Horizont erweitert, sondern auch das Verständnis für die Potenziale zukünftiger Arzneimittel vertieft.
Nathalie Jung, Institut für Pharmazeutische Technologie
ExStra – die Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder
Mit vier neuen Clustern bewirbt sich die Goethe-Universität Frankfurt für die anstehende Runde der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder: Es sind die Forschungsthemen Vertrauen im Konflikt (CONTRUST), Infektion und Entzündung (EMTHERA), Ursprung der Schweren Elemente (ELEMENTS) und zelluläre Architekturen (SCALE). Die Anträge vereinen die Kompetenzen und zukunftsweisenden Ideen der Goethe-Universität mit denen der Kolleg:innen des Verbunds der Rhein-Main-Universitäten (RMU) und weitere Partner der vier großen Organisationen der außeruniversitären Forschung. Der seit 2019 bestehende Exzellenzcluster Cardiopulmonary Institute (CPI) wird im kommenden Jahr direkt einen Vollantrag einreichen.