Multisensorische Aufführung im mayhaus am 3. und 10. November 2023
Keine Zeit zum Kochen? Lust auf schnelle, aber gesunde Küche für den Alltag? Modernes Design für moderne Menschen? Mindestens 100 Jahre alt sind Überlegungen wie diese. Wenn sich auch einiges in der Zwischenzeit verändert hat, Fragen wie diese, und ihre Antworten, bleiben überraschend konstant. Während im Frankfurt der 1920er Jahre elektrische Herde erfolgreich beworben wurden, sind heutzutage digitale Küchenmaschinen die Technologie der Wahl. Mitsamt Kühlschrank und Mikrowelle versprechen Küchentechnologien und effizient gestaltete Küchenräume seit über einem Jahrhundert, die harte Arbeit kochender Menschen zu erleichtern. Doch wie steht es tatsächlich um die Zusammenarbeit von Küchenmaschine und Koch und Köchin? Wer kocht heutzutage? Wie? Und wo? Können digitale Technologien das immer wieder beworbene Versprechen einlösen, alltägliche Arbeiten wie das Einkaufen oder das Zubereiten von Nahrung zu übernehmen? Wollen wir das überhaupt?
Diesen Fragen geht das DFG-geförderte Forschungsprojekt Cyborg Cook: Häusliche Nahrungszubereitung im digitalen Zeitalter am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Goethe-Universität Frankfurt nach. Das kulturanthropologische Projekt stellt dabei viele historische Parallelen fest, die im Rahmen einer öffentlichen Aufführung im mayhaus der ernst-may-gesellschaft e. V. und in Kollaboration mit der HfMDK (Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt) am 3. und 10. November 2023 multisensorisch thematisiert werden. Tatsächlich ist das Musterhaus und seine restaurierte Frankfurter Küche bis heute Raum gewordenes Symbol dieser nach wie vor hitzigen Debatte. Anfang der 1920er Jahre unter Leitung von Ernst May im Rahmen des sozialen Wohnungsbauprojekts des Neuen Frankfurt entworfen, antizipierte die Frankfurter Küche den Erfolg der modernen Einbauküche. Bis heute symbolisiert und materialisiert sie nicht nur die Industrialisierung der häuslichen Küche in Deutschland und anderen industrialisierten Nationen seit dem frühen 20. Jahrhundert, sondern auch begleitende moralisierende Diskurse sowohl um den Platz und die Rolle der modernen Frau als auch von Technik bis hin zu Künstlicher Intelligenz.
Die Frankfurter Küche war mit knapp 8 m² viel kleiner als bisher übliche Wohnküchen. Wie fürs gesamte Haus, wurden die Bewegungsabläufe von Hausfrauen – denn es wurde nicht infrage gestellt, wer alltäglich den Haushalt schmeißt und kocht – akribisch beobachtet, um Nutzungsreihenfolgen zu erstellen. Auf dieser Grundlage entwarf die österreichische Architektin Margarete Schütte-Lihotzky gemeinsam mit ihren Frankfurter Kollegen um Ernst May die erste Einbauküche. Die Arbeit der Köchin sollte, genau wie die Arbeit des Fabrikarbeiters, einfacher, effizienter und hygienischer werden. Trotz anfänglicher Zweifel wurde die vollständig elektrifizierte Küche samt Elektroherd – seinerzeit eine absolute Neuheit im sozialen Wohnungsbau – schließlich akzeptiert. Damit etablierte sich der Gedanke, wonach moderne Raumgestaltung und Technologien den Großteil der harten Arbeit leisteten, während die Köchin mehr Zeit für „höherwertige“ Tätigkeiten zur Verfügung habe. Die Frankfurter Küche und der Elektroherd repräsentierten die moderne Frau und die moderne Familie, nicht zuletzt also die moderne urbane Gesellschaft. Wenn auch in anderem Gewand, versprechen heutige Küchendesigns und -technologien nichts anderes.
Damals wie heute können Köche und Köchinnen als cyborg cooks bezeichnet werden, als Hybride aus Mensch und Maschine (im Englischen ein sogenannter cybernetic organism). Die mehr oder weniger intelligente Maschine ermöglicht es der Köchin, ihre eigenen körperlichen Fähigkeiten zu erweitern, ob als einfacher Löffel zum Umrühren der Suppe, als Smartphone-App zum geobasierten Online-Shopping oder als smarte Küchenmaschine mit integriertem, algorithmisch vorgeschlagenem Rezept. Um diese Interaktionen zwischen Menschen und Maschinen, also von cyborg cooks, in der häuslichen Küche zu erforschen, und im Zuge dessen die oben aufgeworfenen Fragen zu beantworten, geht das seit 2021 laufende Cyborg Cook-Projekt ethnografisch vor. Mittels teilnehmender Beobachtung, der wiederholten Teilnahme an alltäglichen Praktiken wie dem Einkaufen, der Zubereitung und der gemeinsamen Verköstigung, werden cyborg cooks erfahrbar und verstehbar gemacht. Dabei verwischt das Bild des cyborgs herkömmliche Grenzen zwischen Menschen und Maschinen, zwischen organischen und nicht organischen Substanzen, zwischen Köchin und Koch und selbst zwischen häuslicher Küche und Küchen weltweit.
In Anlehnung an die multisensorische Teilhabe an häuslichen Mensch-Maschine-Interaktionen wird die Aufführung im mayhaus erste Ergebnisse der Forschung künstlerisch darstellen. Im Laufe des Besuchs des mayhauses werden die Besucher:innen – zumeist selbst cyborg cooks – unwillkürlich Zeugen der körperlich-digitalen Nahrungszubereitung, wie sie viele Haushalte in Deutschland zusehends prägen. Dabei setzen sie sich hautnah mit gängigen Themen wie Technologiebegeisterung oder -angst, mit geschlechtlichen Rollenverteilungen beim Kochen, mit der Bedeutung von Effizienz und Zeitlichkeit oder dem Wandel körperlichen Wissens auseinander. Dank des Schauplatzes dieser Aufführung werden diese Themen in einen einzigartigen historischen Kontext gesetzt, der es auch ermöglicht, gegenwärtige Praktiken und Diskurse rund um die häusliche Nahrungszubereitung kritisch in die Zukunft zu denken.
Infos zur Veranstaltung
Cyborgs Cooks in der Frankfurter Küche
Jeweils von 16 bis 19 Uhr am 3. und 10. November 2023, im mayhaus, Im Burgfeld 136, 60439 Frankfurt am Main.
Kostenlos, aber bitte per Anmeldung vorab online hier.
Kontakt bei Rückfragen: cyborgcook@protonmail.com
Verantwortliche
Dr. Katharina Graf, Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie, Goethe-Universität Frankfurt