Elfen sind in Deutschland eine invasive Spezies

Der Skandinavist Matthias Egeler beschäftigt sich in seinem neuen Buch mit der Anderwelt.

Die böse Fee im Märchen, die Elben in Tolkiens „Der Herr der Ringe“, Prinzessin Lillifee und ihre Freunde: Feen und Elfen sind in der Literatur weitverbreitet. Professor Matthias Egeler, an der Goethe-Universität Fachmann für Altnordisches, hat ein Buch dazu verfasst. In „Elfen und Feen. Eine kleine Geschichte der Anderwelt“ spannt Egeler den kulturgeschichtlichen Bogen von keltischen und nordischen Mythen bis zur aktuellen Popkultur und macht mit der nicht nur engelhaften Natur der Fantasiewesen vertraut: Manche konnten durchaus rabiat werden, wenn sie sich in ihrer Lebenswelt gestört sahen.

UniReport: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch über Feen und Elfen zu schreiben?

Matthias Egeler: Feen und Elfen sind wichtig als Phänomen der europäischen Kulturgeschichte. Wir wachsen alle mit diesen Geschichten auf – von der Fee bei Pinocchio bis zu Tinker Bell bei Peter Pan. Man kennt dieses bunte Nebeneinander und Durcheinander von verschiedenen Erscheinungsformen von Elfen und Feen, die sind einfach da. Durch diese Allgegenwart auch in den Mythen und der Literatur des Mittelalters spielen sie auch in meiner Arbeit als Mediävist eine große Rolle. Das Buch ist ein Versuch, den großen Bogen der Entwicklung von Elfen und Feen vom Mittelalter bis in die heutige Gegenwart nachzuzeichnen.

Haben die heutigen Erscheinungsformen überhaupt noch etwas mit den Fantasiewesen des Mittelalters zu tun?

Wenn man die heutigen Erscheinungsformen und die alten ansieht, die ja auch noch präsent sind, hat man zunächst den Eindruck, das eine Ende des Spektrums hat mit dem anderen Ende des Spektrums nichts mehr zu tun. Aber aus der Geschichte heraus kann man sehr gut erklären, wie es zum heutigen Nebeneinander so unterschiedlicher Feen und Elfen in Literatur, Kunst und Populärkultur kommt. Und dabei kann man lernen, wie Kultur- und Religionsgeschichte funktionieren: Die Geschichte von Elfen und Feen illustriert die Bedeutung von Austausch und Kontakt für die europäische Kulturgeschichte. Und die Bedeutung der Anpassung mythischer Motive an neue Kontexte.

Kann man sagen: Jede Zeit greift sich die Art von Elfen und Feen heraus, nach der sie einen Bedarf hat?

Genau! Alles, was aktuell ist, reagiert auf zeitgenössische Bedürfnisse. Dadurch, dass sich diese Bedürfnisse immer wieder ändern, kommt es zu einer Vielfalt von Elfenbildern, die diesen Bedürfnissen entsprechen, je nach Ort, Zeit, sozialem Stand und wirtschaftlicher Lage.

Feen und Elfen stammen ja aus der Zeit der Mythen und Sagen, in der es das Christentum auch noch nicht gab. Man wollte sich bestimmte Phänomene oder Ereignisse im Leben erklären und hat dafür diese kleinen Wesen erschaffen. Sind sie überhaupt klein?

Das kommt darauf an. Heute sind sie ein wichtiger Strang unseres Elfenbilds, diese kleinen Elfen. Die ersten prominenten Belege von kleinen Elfen stammen aus dem 16. Jahrhundert; denken Sie an Shakespeares „Sommernachtstraum“. Ihren Durchbruch hatten die kleinen, geflügelten Elfen sogar erst im 19. Jahrhundert in englischen Künstler- und Literatenkreisen.

Das erinnert ja auch an die Heinzelmännchen zu Köln, die bei Nacht dem armen Schuster in seiner Werkstatt helfen.

Tatsächlich weiß ich längst nicht so viel über Heinzelmännchen, wie ich darüber gerne wissen würde! Mein Forschungsgebiet ist ja altnordische und altirische Literatur und die Welt der isländischen Volkssagen. Aber ja, auch solche hilfreichen Wesen sind Teil unserer Vorstellungen von Elfen und Feen.

Elfen gibt es in Deutschland doch ohnehin erst durch Rezeption?

Ja, gerade aus deutscher Perspektive sind Elfen ein wunderbares Beispiel für die Bedeutung von Kulturkontakten für die Religionsgeschichte. Elfen sind in Deutschland eine invasive Spezies. Das Wort „Elf“ kam über die Shakespeare-Rezeption im 18. Jahrhundert ins Deutsche. Das deutsche Wort „Fee“ hingegen ist ein Lehnwort aus dem Französischen.

Sind Elfen und Feen also nur zwei unterschiedliche Wörter für dasselbe Phänomen?

Das kommt wieder drauf an. Im Großen und Ganzen ja, aber in einzelnen Kontexten hat sich gerade in der jüngeren Vergangenheit ­herauskristallisiert, dass die beiden Begriffe verschiedene Arten von Assoziationen wecken. Im 19.  Jahrhundert etablierte sich im Literatur- und Kunstbetrieb der städtischen Eliten das Motiv der kleinen Feen, aber nicht alle fanden das gut, und bald kam es zu einer Gegenbewegung. Die größte Wirkung hatte hier Tolkien. Im „Der Herr der Ringe“ greift er auf die menschengroßen und menschengestaltigen mittelalterlichen Elfen zurück, und durch den Erfolg seiner Bücher wurden Elfen als machtvolle Wesen wieder Teil des fest etablierten Spektrums. Dieser – sozusagen – Tolkien’sche Teil des Spektrums ist heute eher mit dem Wort „Elf“ assoziiert, während im Wort „Fee“ oft eher das gegenüberliegende Ende des Spektrums anklingt, also Feen als kleine Wesen mit Insektenflügeln. Legolas der Elf und die Fee Tinker Bell.

Aber ursprünglich waren Feen und Elfen dasselbe.

Zunächst einmal ist das eine – im sprachgeschichtlichen Sinne – das germanische, das andere das romanische Wort für einen Vorstellungskomplex, der in der mittelalterlichen Literatur eine wichtige Rolle spielt. Eigentlich zwei äquivalente Begriffe, die nur je nach Kontext unterschiedliche Assoziationen wecken können.

Diese Unterscheidung reicht bis in die Verästelungen heutiger Populärkultur wie die Kinderbücher von Prinzessin Lillifee und so weiter? Es gibt ja Gegenkinderbücher, die sich bewusst vom Bild der glitzernden Fee distanzieren und Elfen als helfende Hausgeister beschreiben.

In der Literaturgeschichte gibt es schon lange ein Bewusstsein dafür, dass es ganz unterschiedliche Elfenbilder gibt, und die Idee, dass Elfen beleidigt sind, wenn man sie Feen nennt, findet sich schon bei Kipling in „Puck of Pook’s Hill“, also seit weit über 100 Jahren.

Sie haben ja schon fünf große Interviews zu diesem Buch über Elfen und Feen gegeben. Das ist ja eine tolle Resonanz. Hatten Sie damit gerechnet?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe vor fünf Jahren beim selben Verlag ein Buch über den Heiligen Gral veröffentlicht, da waren die Reaktionen sehr viel verhaltener. Ich war überrascht, wie populär der Gegenstand offenbar ist.

Bucheinband: Matthias EgelerElfen und Feen. Eine kleine Geschichte der AnderweltMünchen: Verlag C.H. Beck 2024,Bucheinband:Matthias EgelerDer Heilige Gral. Geschichte und LegendeMünchen: Verlag C.H. Beck 2019
Matthias Egeler
Elfen und Feen. Eine kleine Geschichte der Anderwelt
München: Verlag C.H. Beck 2024,

Matthias Egeler
Der Heilige Gral. Geschichte und Legende
München: Verlag C.H. Beck 2019

Zum Heiligen Gral gibt es vielleicht schon viele Veröffentlichungen aus der Esoterik-Ecke, vielleicht ist das schwieriger, sich mit einem wissenschaftlich fundierten Buch dazu durchzusetzen.

Als Mediävist ist es für mich kein großer Unterschied, ob ich zum Heiligen Gral oder zu Feen und Elfen publiziere, das ist beides Teil der Artustradition. Insofern hätte ich gedacht, dass das beides für das Publikum gleich interessant ist, aber man wird eben immer wieder überrascht.

Warum haben Sie ein populärwissenschaftliches Buch geschrieben und kein wissenschaftliches? Gibt es gar nicht mehr so viel Neues herauszufinden?

Ich kenne kein Buch über Elfen, das versucht, das Thema in einem großen Bogen in dieser Art zusammenzufassen. Dadurch, dass Elfen und Feen in Deutschland eine invasive Spezies sind, gibt es auf Deutsch auch viel weniger Literatur dazu als auf Englisch. Im englischen Sprachraum ist die Situation ganz anders, dort liegen viele hochkarätige wissenschaftliche Publikationen vor, die aber alle andere Schwerpunkte setzen. Insofern hat mein Buch schon einen neuen Ansatz und einen wissenschaftlichen Mehrwert, aber weil ich ein breites Publikum erreichen wollte, habe ich ein allgemeinverständliches Buch geschrieben. Wenn ich ein fachwissenschaftliches Buch hätte schreiben wollen, hätte ich das auf Englisch tun müssen, weil der wissenschaftliche Forschungsdiskurs ganz stark auf das Englische fokussiert ist; im anglophonen Raum ist dieser Themenkreis viel präsenter, weil Elfen und Feen immer ein wichtiger Teil der einheimischen Literaturtradition waren. Denken Sie wieder an Shakespeares „Sommernachtstraum“. Ein deutsches wissenschaftliches Buch würde völlig sein Publikum verfehlen. Aber es ist kein entweder – oder, sondern ein sowohl – als auch, denn Yale University Press wird eine englische Übersetzung publizieren.

Das ist ja ein Ritterschlag!

Ja, das freut mich tatsächlich sehr. Ich schreibe gern für das breite Publikum. Es gehört zum einen zu meinen Aufgaben als Geisteswissenschaftler, Grundlagenforschung zu betreiben, Dinge zu erforschen, die für Außenstehende auch mal sehr obskur scheinen können. Aber ich sehe es zum anderen auch als meine Aufgabe an, Wissen für die breitere Gesellschaft zugänglich zu machen. Das ist das, was ich mit diesem Elfenbuch tun wollte.

Sie stellen ja in Ihrem Buch fest, dass heutige Elfen meist einen Bezug zur Natur haben, was bei den Urformen gar nicht der Fall war. Allerdings sind die Elfen eher harmlos. Würden Sie sich aggressivere Elfen wünschen?

Ich bin da völlig leidenschaftslos. Wenn Bücher für Dreijährige ein eher harmloses Bild von Feen und Elfen vermitteln, ist das ohnehin nachvollziehbar. Ich habe den Eindruck, dass eine eher süßliche Feenvariante aber auch in Büchern für Teenager und Erwachsene dominiert. Ich kritisiere das nicht, sondern stelle nur fest, dass es offenbar ein Bedürfnis nach dieser Variante von Feen und Elfen gibt. Interessant finde ich allerdings, dass Elfen inzwischen stark mit Umwelt und Natur in Verbindung gebracht werden – was keineswegs der Tradition entspricht – und gleichzeitig so süßlich sind. Diese Konstellation finde ich spannend. Ich bin mir nicht sicher, wie wir das interpretieren sollen. Ich hätte erwartet, dass mit dem Aufstieg des Themas Umweltkrise im gesellschaftlichen Diskurs auch die Vorstellungen von Naturgeistern angepasst und bedrohlicher werden. Es kann aber sein, dass das einfach noch zehn Jahre dauert.

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