Sieben ukrainische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatte das Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) nach dem Angriff auf ihr Land vergangenes Jahr aufgenommen. Wie geht es ihnen heute?
D r. Roman Poberezhnyuk lobt „die großartige Arbeitsumgebung“ am FIAS. Er hatte schon vor dem Krieg mehrere Monate als Gastwissenschaftler am FIAS verbracht. So konnte er seine wissenschaftlichen Kontakte nutzen und hier umgehend Unterstützung und Unterkunft finden. Poberezhnyuk arbeitet schon seit Jahren mit Forschenden der Gruppe von Prof. Horst Stöcker am FIAS zusammen, um die thermodynamischen Eigenschaften dichter elementarer Materie zu verstehen. Die Wohnungssuche sei nicht einfach gewesen, und auch die Aufenthaltsgenehmigung verzögerte sich. Aber davon abgesehen sind Poberezhnyuk und seine ebenfalls hier lebende Freundin rundum zufrieden. Er verfasste während seines Aufenthalts vier Veröffentlichungen; zwei weitere sind in Arbeit. Seine Karriere will der Physiker ab nächstem Jahr in den USA fortsetzen, wo er im Institut eines Kollegen eine Stelle als Postdoc angeboten bekam. Eine Rückkehr in die Ukraine hänge von den Forschungsmöglichkeiten nach dem Krieg ab. Vor dem russischen Angriff habe es eine positive Entwicklung bei den Fördergeldern gegeben, die ermöglichten, von der Forschung zu leben. Wie sich das künftig entwickele, sei völlig offen.
Seine Kollegen Oleksandr Stashko und Oleh Savchuk sind bereits als Doktoranden in die USA weitergezogen. Sie hatten beide zeitweise Aufnahme am FIAS gefunden und waren „sehr dankbar für die prompte Rundum-Unterstützung des Forschungsaufenthalts“ in Frankfurt.
Prof. Mark Gorenstein hingegen ist im April nach Kyjiw zurückgekehrt. Der Forschungsleiter am dortigen Bogolyubov-Institut für Theoretische Physik an der Nationalen Akademie für Wissenschaften der Ukraine war ein Jahr zuvor angesichts der Bombardements in Kyjiw samt Familie nach Deutschland geflohen. „Auch heute schlafen wir schlecht, jede Nacht gibt es Bombenangriffe“, beschreibt Gorenstein die bedrückende Atmosphäre in Kyjiw. Glücklicherweise werde wenig zerstört – dank der Flugabwehr. Warum er dennoch zurückgekehrt ist? „Die Unterstützung, für die ich FIAS und der Alexander von Humboldt-Stiftung sehr dankbar bin, endete. Ich hätte als Flüchtling in Deutschland bleiben können, wollte aber meine Arbeit in Kyjiw fortsetzen.“ Diesen Schritt habe er nicht bereut. Das Institut in Kyjiw und die Wissenschaftler:innen vor Ort arbeiteten, auch wenn die meisten Seminare online stattfänden. 2001 erhielt Gorenstein den Alexander von Humboldt-Preis für seine Forschung zu Phasenübergängen und deren Signaturen in Kooperation mit FIAS und der GSI in Darmstadt. Er hatte 2022 ein Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung erhalten und lebte mit Frau, Tochter und Enkeltochter in Frankfurt. Gorenstein lobt die fruchtbare Zusammenarbeit mit den FIAS-Kolleg:innen, die Unterstützung und Hilfsbereitschaft aller Mitarbeitenden. „Während meines Aufenthalts in Frankfurt entstanden sieben Veröffentlichungen.“
Sein Kollege Prof. Dmytro Anchyshkin vom Bogolyubov-Institut hatte sich hingegen entschieden, erstmal in Deutschland zu bleiben. Nach vier Monaten als Gastprofessor am FIAS nutzten er und seine Frau die staatliche Unterstützung, um weiter am FIAS zu arbeiten, das ihm einen Arbeitsplatz zu Verfügung stellte. Er überlegte schon länger, nach Kyjiw zurückzukehren, um dort direkt mit einer Gruppe junger Wissenschaftler:innen zu arbeiten. Doch ein Besuch des Ehepaars in der Ukraine um Weihnachten herum war erschreckend: „Wegen der Bombardierung gab es stundenlang weder Strom noch Internet, Heizung oder Wasser.“ Ende August sind sie dennoch nach Kyjiw zurückgekehrt. Anchyshkin ist sehr dankbar für die herzliche Gastfreundschaft und Unterstützung durch die FIAS-Verwaltung und Forschenden, allen voran Horst Stöcker.
Zhanna Khuranova hatte 2020 ihren Master in Physik abgeschlossen. Sie wollte sich ohnehin für eine Doktorandenstelle in Deutschland bewerben – der Krieg konkretisierte diesen Wunsch. Oleh Savchuk vermittelte ihr Kontakte am FIAS; vergangenen August lernte sie so PD Dr. Benjamin Dönigus kennen. Bei ihm promoviert sie nun seit Anfang des Jahres am Fachbereich Physik der Goethe-Universität zur Vorhersage und Messung von Hadronen, winzigen Teilchen. „Ich bin froh, dass sich Horst Stöcker vom FIAS für mich eingesetzt hat und bin sehr glücklich mit meinem aktuellen Forschungsthema, meinem Betreuer und der Unterstützung durch den Bund“, so Khuranova. Dass sie jemals in die Ukraine zurückkehren wird, bezweifelt sie: „Meine Familie lebt in den USA.“ Und ein Aufenthalt am CERN in Genf lockt sie wissenschaftlich.
Maria Khelashvili hatte am Bogolyubov-Institut ihre Promotion über ultraleichte dunkle Materie begonnen. Sie war sehr froh, am FIAS ihre Forschung vorläufig fortsetzen zu können, dank eines Stipendiums der Stiftung Polytechnische Gesellschaft. Ihre Arbeit über ultraleichte und axionartige Kandidaten für dunkle Materie verfolgt sie nun als Gastdoktorandin an der Princeton University (USA). „All das wäre ohne die anfängliche und sehr prompte Unterstützung durch das FIAS nicht möglich“, betont sie mit Dankbarkeit.
Danylo Batulin hat vor wenigen Wochen am FIAS promoviert. Er kam bereits 2016 aus der besetzten Region Luhansk nach Deutschland. Er erzählt, dass einige seiner Freunde und Familienmitglieder seit dem Einmarsch verwundet oder getötet wurden; die Immobilien seiner Familie sind zerstört. Anfangs sei ihm die Normalität des Lebens hier schwergefallen – angesichts Festivals, Musik und Feiern. „Mir hat es geholfen damit umzugehen, indem ich Freiwilligenprojekte der Ukraine von hier aus unterstützt habe.“ Er lobt: „Großartig, wie schnell und effektiv die FIAS-Verwaltung auf die Invasion reagierte. Die symbolische große ukrainische Flagge über dem FIAS hat mich sehr bewegt.“ Begeistert ist er von seinem Doktorvater Jochen Triesch, in dessen Arbeitsgruppe er zwei Veröffentlichungen verfasste.
„Das FIAS unterstützt weiterhin wo immer möglich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in der Heimat bedroht sind und ihre Forschung nicht fortsetzen können“, betont FIAS-Direktor Eckhard Elsen. Die Zusammenarbeit mit Geldgebern wie die Alexander von Humboldt-Stiftung, Stiftung Polytechnische Gesellschaft und DFG erlaube es dann, Forschenden aus aller Welt – zumindest zeitweise – eine Heimat zu geben. Vorrangiges Ziel bleibe aber, ihnen zu Hause langfristig ein erstrebenswertes Arbeitsumfeld zu ermöglichen und dies durch Zusammenarbeit zu stärken. So erwägt das FIAS beispielsweise landes- und fachübergreifende Konferenzen.
Anja Störiko