Der Tag der Menschen mit Behinderung ist in diesem Jahr auf die Mitarbeitenden fokussiert.

Am 3. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung, rückt die Goethe-Universität Inklusion und das Leben mit Behinderung in den Fokus und lädt ein zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit den Herausforderungen und Chancen, die mit Beeinträchtigungen in der akademischen und beruflichen Welt verbunden sind. Der Tag soll zugleich neueren Konzepten und Definitionen von Behinderung und Inklusion Rechnung tragen.
Was heißt „Behinderung“?
Laut WHO (Weltgesundheitsorganisation) ist Behinderung als eine Wechselwirkung zwischen einem gesundheitlichen Problem eines Menschen und Umweltfaktoren zu verstehen. Dadurch ist die Fähigkeit zur Ausübung bestimmter Aktivitäten und die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschwert. Dieses moderne Verständnis betont in Abgrenzung zum früheren medizinischen Modell, dass nicht nur die Person, sondern auch Barrieren in der Umwelt behindernd wirken. Der Begriff „Behinderung“ wird also zunehmend im Kontext gesellschaftlicher Verhältnisse betrachtet. „Es geht nicht mehr nur darum, ob eine Person im klassischen Sinne als ‚behindert‘ wahrgenommen wird, etwa durch den Rollstuhl, sondern auch darum, wie bauliche und infrastrukturelle Gegebenheiten die Teilhabe am Leben einschränken“, erklärt Christina Rahn, Beraterin für Studierende mit Beeinträchtigung an der Goethe-Universität und stellvertretende Inklusionsbeauftragte für deren Belange. Sie ist gemeinsam mit ihren Kolleg*innen Christoph Trüper und Michaela Schneider-Wettstein mit der Planung des Tags der Behinderung an der Goethe-Universität betraut. Sie erläutert, dass ungefähr 16 % der Studierenden mit einer Beeinträchtigung leben. „Viele dieser Beeinträchtigungen sind nicht körperlicher Natur, sondern betreffen psychische oder körperliche chronische Erkrankungen oder neurodivergente Menschen. Behinderungen sind also vielschichtiger, als wir oft denken.“
Wachsendes Bewusstsein
Christoph Trüper, stellvertretender Inklusionsbeauftragter der Goethe-Universität, betont, dass die Zahl der Menschen mit Behinderungen mit zunehmendem Alter steigt – und Studierende im jungen Erwachsenenalter besonders von psychischen Erkrankungen betroffen sind. Der 3. Dezember soll nicht nur ein Tag der Reflexion sein, sondern auch ein Tag, um das Bewusstsein in der Universität und in der Gesellschaft zu schärfen. Auch an der Goethe-Universität zeigt sich ein Wandel: Während vor einigen Jahren Studierende erst spät von ihren Beeinträchtigungen berichteten – oft erst, wenn Probleme bereits zu schwerwiegenden Konsequenzen geführt haben –, wächst heute das Vertrauen in die Beratungsangebote. Studierende kommen inzwischen häufig schon vor Studienbeginn auf die Universität zu und fragen nach Unterstützungsmöglichkeiten.
Die Universität als Institution trägt eine Verantwortung, eine inklusive Lernumgebung zu schaffen und gleichzeitig die gesamte Gesellschaft zu sensibilisieren. Inklusionsreferentin Michaela Schneider-Wettstein aus dem Büro für Chancengerechtigkeit spricht sich für eine breitere Inklusion und weniger Stigmatisierung aus. „Die Hochschule ist ein Ort, an dem Führungskräfte von morgen geprägt werden“, erklärt Schneider-Wettstein, „und diese Führungskräfte müssen lernen, wie wichtig es ist, Inklusion nicht nur zu predigen, sondern auch in der Praxis umzusetzen.“ Eine große Herausforderung sieht sie auch in den hohen Anforderungen an wissenschaftliche Karrieren: „Der wissenschaftliche Habitus wird mit einem hohen Maße an persönlicher Autonomie, Selbstständigkeit und Selbstwirksamkeit assoziiert – in dieses Bild passt eine gewisse Unterstützungsbedürftigkeit nicht so gut rein. Ob und wie an dieser Stelle ein Bewusstseinswandel möglich ist, wäre zu überlegen.“
Inklusion als gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Inklusion sollte also nicht auf den Bereich „Behinderung“ reduziert werden. Es geht um eine Gesellschaft, die verschiedene Bedürfnisse anerkennt und berücksichtigt – seien es Studierende mit Beeinträchtigungen, internationale Gäste oder Beschäftigte mit familiären Verpflichtungen. Eine moderne Hochschule, so die Vision von Trüper, Rahn und Schneider-Wettstein, könnte all diese unterschiedlichen Bedürfnisse von Anfang an in ihren Strukturen und Konzepten mitdenken, statt Lösungen erst im Nachhinein zu implementieren.
Ganztägig, kurzweilig und inspirierend
Im Gegensatz zum Vorjahr, als der Tag der Behinderung nur kurzfristig organisiert werden konnte, wird dieses Jahr ein ganzer Tag mit einem vielfältigen Programm stattfinden. In Vorträgen, einem Panel mit Betroffenen und Kunstaktionen wird nicht nur auf die verschiedenen Arten von Beeinträchtigungen eingegangen, sondern auch der Austausch zwischen Hochschule und Gesellschaft gefördert. Dabei wird auch die Bedeutung von Führungskräften und deren Rolle in der Umsetzung von Inklusion thematisiert. „In diesem Jahr fokussieren wir uns auf die Belange der Mitarbeitenden“, erklärt Christina Rahn. „Da uns in Aussicht gestellt wurde, dass der Tag der Behinderung verstetigt wird, können wir die Veranstaltung im nächsten Jahr auf eine andere Zielgruppe ausrichten.“ An der Goethe-Universität sind insgesamt noch zu wenig schwerbehinderte Menschen beschäftigt. „Wir bleiben damit unter der geforderten Quote, dabei gäbe es durchaus viele Möglichkeiten, den Anteil zu erhöhen“, hebt Rahn hervor.
Ausblick auf die Hochschule der Zukunft
Die Vision einer Hochschule der Zukunft ist eine, die nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch Barrieren abbaut – sowohl physische als auch kulturelle. Die Universität könnte als Vorbild dienen und dabei nicht nur das Bewusstsein für Beeinträchtigungen schärfen, sondern auch in ihrer Arbeitsweise flexibel auf die unterschiedlichen Bedürfnisse von Studierenden und Mitarbeitenden eingehen. „Dazu könnte unter anderem gehören, Prüfungssysteme und Konferenzformate zu hinterfragen und anzupassen, um eine barrierefreie Teilhabe zu ermöglichen“, sagt Christoph Trüper. Der Tag der Behinderung an der Goethe-Universität soll mehr sein als nur eine Veranstaltung – er ist ein Aufruf, das Verständnis von Behinderung zu erweitern und die Praxis von Inklusion weiter zu denken. Denn wahre Inklusion bedeutet, dass alle Menschen – unabhängig von etwaigen Beeinträchtigungen – gleiche Chancen auf Teilhabe und Mitgestaltung haben. Und diese Vision sollte, so betonen Christina Rahn, Michaela Schneider-Wettstein und Christoph Trüper, nicht nur auf dem Campus, sondern in der gesamten Gesellschaft verankert werden.
Internationaler Tag der Menschen mit Behinderung an der Goethe-Universität: Der Kanzler lädt ein.
Einen Tag lang werden konkrete Beispiele aus dem Arbeitsalltag von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Behinderungen innerhalb und außerhalb der Goethe-Universität in den Mittelpunkt gestellt; gefragt wird nach Gelingensbedingungen für einen inklusiven Arbeitsplatz. Des Weiteren erwartet die Teilnehmenden ein vielseitiges Workshop-Programm mit sportlichen Aspekten, interaktiven Erprobungen von Hilfsmitteln, Expertise zu ausgewählten Arten gesundheitlicher Beeinträchtigungen und vielem mehr.
Weitere Informationen und zum Programm →











