Vorlesungen und Ausstellung: Clemens J. Setz‘ Poetikdozentur

»Ein Bündel von Widersprüchen«

Der neue Poetikdozent Clemens J. Setz über den Romanhelden von »Monde vor der Landung« und über Literatur in Zeiten von Bots

UniReport: Herr Setz, Ihr aktueller Roman heißt »Monde vor der Landung«. Der Romanheld ist ein Nerd, kauzig, chaotisch, etwas lebensuntüchtig, aber auch ein kreativer und wissbegieriger Kopf, würde man heute vielleicht sagen. Er hängt aber auch einer abstrusen wissenschaftlichen Betrachtung an, der Hohlwelttheorie, nach der die Menschen nicht auf einer Kugel leben, sondern quasi im Innern des Erdkörpers. Was hat Sie an der realen Figur des Peter Bender fasziniert, wie haben Sie sich seine Geschichte erschlossen?

Clemens J. Setz: Während der sehr lange dauernden Recherche erschien er mir als ein Bündel von Widersprüchen, in einer Weise, die es mir immer logischer machte, ihn als Romanfigur zu sehen. Viele Rezensenten haben Peter Bender als eine Art von »Querdenker« oder »Schwurbler« bezeichnet. Halten Sie die Bezeichnungen für zutreffend? Ist das vielleicht eine Gratwanderung, das Denken und Handeln einer solchen Figur literarisch mit Gewinn aufzugreifen, ohne damit einer Infragestellung unseres rationalen und wissenschaftlich basierten Denkens Vorschub zu leisten? Die Bezeichnungen bieten eine grobe Orientierung, fassen das Phänomen aber viel zu gegenwärtig auf. Im Roman kritisiere ich auf keinen Fall rationales oder wissenschaftlich basiertes Denken, aber vermutlich würde ich doch diese selbstverständliche Rede von „ unserem rationalen und wissenschaftlichen Denken“ kritisieren. Vor allem das „wir“ ist hier extrem fuzzy.

Man stößt in Berichten über Ihre Person immer auch auf die Auffälligkeit, dass Sie an der Existenz einer außerirdischen Intelligenz glauben sollen, auch Ufos nicht für abwegig halten. Ist das ein Thema, das Sie umtreibt, über das Sie gerne sprechen? Sind in der heutigen Zeit bestimmte, als abwegig eingestufte Themen und Weltbetrachtungen, vielleicht nicht mehr behandelbar, vielleicht nur noch in der Literatur?

Ja ich spreche leidenschaftlich gern darüber, möchte auch bald was darüber schreiben, aber leider vergrault das Thema ganz viele Leute. Es wirkt auf sie kindisch und albern. Das bedeutet, man muss davon wirklich sorgfältig und präzise erzählen, sozusagen unter erschwerten Bedingungen.

Nicht-menschliche Intelligenz ist inzwischen ja alles andere als außerirdisch. Künstlicher Intelligenz wie Chat GPT und anderen Bots wird geradezu revolutionäres Potenzial zugesprochen. Welchen Einfluss werden Ihrer Einschätzung nach solche Bots auf die Produktion und Rezeption von literarischen und nicht-literarischen Texten haben; und welchen haben sie bereits heute?

Das ist eine gute Frage. Ich wünschte, ich wüsste da eine Antwort oder zumindest die Richtung einer Antwort.

In Ihrem 2018 erschienenen Buch »Bot. Gespräch ohne Autor« wird der Autor, so scheint es, durch »eine Art Clemens-Setz-Bot« ersetzt. Denken Sie, Roland Barthes´ Schlagwort vom »Tod des Autors« wird nun tatsächlich Realität?

Der „Tod des Autors“ kann immer wieder auftreten, aber er ist lustigerweise auch reversibel, gerade durch Umwege wie Bots. Bei Bots ist der Autor ja gerade durch das Gestikulieren in seine Richtung, auf die, wie Derrida gesagt hätte, gerade dröhnende „Präsenz einer Abwesenheit“, besonders lebendig.

Sie reihen sich als neuer Frankfurter Poetikdozent in eine Liste bedeutender Autorinnen und Autoren ein. Sind welche darunter, die Sie besonders schätzen? Deren poetologische Texte Sie vielleicht geprägt haben?

Am häufigsten habe ich Ernst Jandls Frankfurter Poetikvorlesungen gelesen beziehungsweise als Video gesehen.

Möchten Sie schon etwas verraten, worum es in Ihren Poetikvorlesungen gehen wird? Den Interessierten zumindest eine Art Cliffhanger mit auf den Weg geben?

Die erste handelt von dem eigenartigen Phänomen der „NPCs“, also der non-playable characters in Computerspielen beziehungsweise erzählten Texten. Ich hoffe, ich kann das gut und verständlich darstellen. Ich neige bei nonfiction oft zu überkompliziertem Satzbau.

Fragen: Maximilian Koch und Dirk Frank

FRANKFURTER POETIKVORLESUNGEN
im Sommersemester 2023
Clemens J. Setz: Mysterien


30. Mai, 6. und 13. Juni 2023
Hörsaalzentrum HZ 1, Campus Westend

14. Juni 2023
Abschlusslesung im Literaturhaus Frankfurt
Weitere Informationen unter
https://literaturhaus-frankfurt.de

6. und 7. Juni 2023
Wissenschaftlicher Workshop
zu Clemens J. Setz‘ Poetik

Campus Westend der Goethe-Universität,
IG-Farben-Haus 1.314 (Eisenhower-Saal)
Anmeldung unter
poetik@lingua.uni-frankfurt.de

Ausstellung: Reality Checkpoint. Clemens J. Setz gelesen

Die Ausstellung „Reality Checkpoint. Clemens J. Setz gelesen“ begleitet die diesjährigen Frankfurter Poetikvorlesungen des österreichischen Autors und Georg-Büchner-Preisträgers. Kuratiert von einer Gruppe Studierender der Goethe-Universität erkundet sie Lesarten des Absurden und auch unheimlich Vertrauten in Setz‘ Texten. Es versammeln sich unterschiedliche Blickwinkel auf die Setz’schen Kuriositäten zu einem Kabinett, das ungewohnte Perspektiven auf gegenwärtige Literatur verspricht. ASMR, Wrestling, KI – wie und warum darüber schreiben? Was hineinlesen? Dichte Geflechte aus textlichen Bezügen, abseitige Themen, mal surrealistische, mal glitchende Welten machen Setz‘ poetische Stimme aus. Ihr wird in der Ausstellung nachgespürt, die präsentierten Lesarten treten mit ihr ins Gespräch. Vermittelt über Bilder, Artefakte und Texte ergeben sich dialogische Zugänge zu Setz‘ literarischem Kosmos.

Besucher*innen sind dazu eingeladen, sich mit unterschiedlichen Lesarten auseinanderzusetzen und selbst neue Verknüpfungen und Zugänge zu den außergewöhnlichen Werken zu finden. Neben ausgewählten Texten und Zitaten werden eine Hörstation, ein digitales Wiki, eine eigens für die Ausstellung kuratierte YouTube-Playlist des Autors selbst sowie ein Gemälde und Manuskriptseiten von Clemens J. Setz ausgestellt.

Dialogische Ausstellungsführungen bieten die Möglichkeit, von den Kuratorinnen weiteres Hintergrundwissen zu Setz‘ Werk und der Ausstellung zu erfahren. Am 8. Juni wird ein Live-Gespräch über Krankheit und Gesellschaft bei Clemens J. Setz mit der Literaturwissenschaftlerin Dr. Kalina Kupczynska und der Autorin und Literaturwissenschaftlerin Anna Yeliz Schentke im Schopenhauer-Studio stattfinden. Darüber hinaus laden Leseabende am 15. und 22. Juni zum Austausch über Setz-Lektüren ein. Ergänzt wird die Ausstellung von einer fünfteiligen Podcastreihe mit Gesprächen zwischen Anna Yeliz Schentke und Gäst*innen, darunter Clemens J. Setz selbst.

Ausstellungsdauer
31. Mai bis 28. Juni

Vernissage
31. Mai, 19 Uhr

Gespräch
8. Juni, 19.30 Uhr
Krankheit und Gesellschaft bei Clemens J. Setz
Gespräch mit Dr. Kalina Kupczynska und Anna Yeliz Schentke

Leseabende
15. Juni und 22. Juni, 19 Uhr

Dialogische Ausstellungsführungen
samstags ab 11 Uhr
mittwochs ab 14 Uhr

Öffnungszeiten
Mo – Fr 10.30 bis 21.30 Uhr
Sa – So 10.30 bis 18 Uhr

Schopenhauer-Studio
Zentralbibliothek

Bockenheimer Landstr. 134–136

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