Die Welt ist im politischen Wandel und mit ihr auch die Politikwissenschaft. Bei der 27. Jahrestagung der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW), die weltweit zweitgrößte politikwissenschaftliche Vereinigung, zu der sich über 1000 Expertinnen und Experten angemeldet haben, geht es in diesem Jahr an der Goethe-Universität um „Grenzen der Demokratie“. Zu Gast ist auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der eine Rede zur politischen Situation in Deutschland, Europa und der Welt halten wird.
„Mit diesem Kongress greift die DVPW eine Debatte auf, die in unserer Disziplin wissenschaftlich seit jeher geführt wurde, aber durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im vergangenen Jahr in einen breiteren gesellschaftlichen und politischen Kontext gestellt wurde. In seiner Antrittsrede vor dem Deutschen Bundestag im März 2017 diagnostiziert der Bundespräsident Tendenzen einer erodierenden liberalen Demokratie. Die DVPW greift diese Überlegungen des Bundespräsidenten auf und möchte auf diesem Kongress einen wissenschaftlich begründeten, gesellschaftspolitischen Beitrag zur Analyse der Voraussetzungen und der Grenzen von stabilen liberalen Demokratien leisten“, sagte der Vorstandsvorsitzende der DVPW, Prof. Dr. Ferdinand Müller-Rommel (Leuphana Universität Lüneburg).
An Grenzen scheint die Demokratie zu stoßen, wenn soziale Ungleichheit zunimmt und sich in politische Ungleichheit übersetzt. Populistische Bewegungen verwenden das Vokabular der Demokratie, um gegen Pluralismus und etablierte Institutionen zu mobilisieren. Aber der Rückzug in das demokratische Schneckenhaus sei keine Lösung, hebt DVPW-Vorstandsmitglied Prof. Dr. Armin Schäfer (Universität Münster) hervor: „Wir schützen die Demokratie vor ihren Feinden nicht, indem wir über ihre Schwächen schweigen. Eine dieser Schwächen ist, dass die Demokratie zwar politische Gleichheit verspricht, wir aber Ungleichheit in der Beteiligung, bei der Repräsentation und bei den politischen Entscheidungen beobachten. Diese Schieflage bereitet den Boden für Rechtspopulismus.“
26.9. / Bundespräsident Steinmeier spricht an der Goethe-Universität
Auch die Medien spielen bei dieser Entgrenzung eine entscheidende Rolle: Die demokratische Öffentlichkeit wird durch das Internet entgrenzt, aber paradoxerweise verengt sich die politische Kommunikation in den sozialen Medien oft in Echokammern mit Gleichgesinnten – eine Chance für politische Populisten aller Art. Und während sich die Parteienlandschaft bis vor wenigen Jahren noch nach den ‚alten‘ Spaltungen (Arbeiter für die SPD usw.) sortiert hat, zeigen die neuesten Entwicklungen, dass diese Zuordnung nicht mehr funktioniert. Die jüngsten Debatten um das Thema Migration in der deutschen Öffentlichkeit belegen eindrucksvoll, dass neue Konflikte nicht mehr entlang der alten Parteilinien verlaufen und etablierte Parteiensysteme wie zum Beispiel Frankreich komplett umwälzen.
Die Tagungsorganisatorin und Politologin der Goethe-Universität, Prof´in Dr. Brigitte Geißel, hält daher „die Parteiendemokratie für ein Auslaufmodell. Gesellschaften verändern sich – und Demokratie muss sich anpassen. Die Demokratie-Tagung an der Goethe Universität wird nicht nur Grenzen und Krisen aktueller Demokratien erörtern, sondern auch diskutieren, wie Demokratie als Herrschaft des Volkes neu gedacht werden kann.“
Eine solche Analyse, wie Demokratie neu gedacht werden könne, scheint nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene dringend geboten. Angesichts des globalen Aufstiegs des Rechtspopulismus auch in den USA wird nicht nur der Wert von Demokratie in einzelnen Staaten relativiert oder diese sogar immer weiter begrenzt. Auch die Geltung internationaler Institutionen – wichtige Stabilitätsanker für die globale Geltung einheitlicher Rechts-, Menschenrechts- und Umweltstandards – werde massiv beschädigt, wie DVPW-Vorstandsmitglied Prof´in Dr. Anja Jetschke (Universität Göttingen) betont: „Multilaterale Organisationen werden zunehmend zur Zielscheibe der Kritik. Dabei wurden sie gerade geschaffen, um grenzüberschreitende Probleme zu lösen. Der Rückzug auf den Nationalstaat ist aber keine Lösung, denn die transnationalen Herausforderungen verschwinden ja nicht und der Nationalstaat kann die Probleme im Alleingang nicht lösen.“
Das Tagungsprogramm finden Sie unter www.dvpw.de/kongresse/dvpw-kongresse/dvpw2018.html
Quelle: Pressemitteilung vom 25. September 2018