Der Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ an der Goethe-Universität beteiligt sich auch an der diesjährigen B3 Biennale des bewegten Bildes, aktuell zum Leitthema „On Desire. Über das Begehren“. Der Bogen reicht vom idealen Staat über heißes Rechtsgefühl bis zum Internet als Wunschmaschine der Gegenwart und einer frühen filmischen Versöhnungsutopie von Mensch und Maschine. Hinzu kommt das Begehren nach Weisheit – auf Niederländisch übrigens „Wijsbegeerte“ und dort ein Synonym für „Filosofie“.
Die B3 wird jetzt zum dritten Mal von der Hochschule für Gestaltung (HfG) Offenbach veranstaltet. 2015 kamen rund 370.000 Besucher. Das Festivalzentrum „FOUR Frankfurt“ der jüngsten Auflage befindet sich in den ehemaligen Vorstandsetagen der Deutschen Bank und im Hermann-Josef-Abs-Saal an der Junghofstraße. Dort und an weiteren Orten Frankfurts und der Rhein-Main-Region präsentieren nationale und internationale Akteure aus Kunst, Medien, Technologie und Wissenschaft ihre Projekte und Ideen. Es geht um Fernsehen, Film und Virtuelle Realität, den Computer und das Internet. Flankierend und den Fokus erweiternd machen sich auch Mitglieder des geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschungsverbundes Gedanken über das Begehren. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit normativen Ordnungen kann Prinzipien aufzeigen, Begriffe klären und Orientierung geben. Sie benennt dabei auch Sehnsüchte – und hinterfragt sie zugleich kritisch.
Dass Philosophie auch „Wijsbegeerte“ heißt, kann kaum verwundern. Denn in der Tat gibt es ein Begehren nach Wissen und Weisheit – was die letzten Dinge betrifft, aber auch in Bezug auf die alltägliche Lebensführung. Doch während die populären Philosophie-Formate im Fernsehen, Radio und in Zeitschriften wohl gerade deshalb Konjunktur haben, weil sie konkrete Relevanz versprechen, zeigt sich die akademisch betriebene „Liebe zur Weisheit“ bei einer direkten Verwertung oft zurückhaltend. „Sehnsucht nach Weisheit: (k)ein Fall für die akademische Philosophie?“ heißt das Podiums- und Publikumsgespräch mit Marcus Willaschek, Philosophie-Professor an der Goethe-Universität und Mitglied des Exzellenzclusters, am 29. November von 17.30 bis 18.30 Uhr. Die Moderation hat Bernd Frye, Pressereferent des Clusters.
Die „Gesetze des Begehrens im Internet“ untersucht der Jurist Matthias C. Kettemann, der sich am Cluster zur normativen Ordnung des Internets habilitiert, in seinem Vortrag am 30. November von 17.30 bis 18.30 Uhr. Im Internet als Wunschmaschine der Gegenwart produzieren und konsumieren wir laufend Inhalte und sehen und erwerben Produkte. Zwischen uns und anderen, zwischen uns und den Produkten stehen Vermittler: die Intermediäre (Plattformen und soziale Medien), die Gesetze des Begehrens im Internet aufstellen. Doch was sind das für Normen, die das Begehren strukturieren?
Rainer Forst referiert am 1. Dezember. Er ist einer der beiden Sprecher des Exzellenzclusters und Professor für Politische Theorie und Philosophie an der Goethe-Universität. Sein Thema von 17.30 bis 18.30 Uhr: „Utopie und Ironie. Eine Kritische Theorie des Nirgendwo“. Das utopische Denken ist umstritten: Es gilt als unabdingbar, um gegebene Ordnungen zu überschreiten, andererseits wird es als sinnlose Träumerei oder totalitäre Produktion des neuen Menschen kritisiert. Im Rückgang auf die 500 Jahre alte „Utopia“ des Thomas Morus aber lässt sich zeigen, dass es gerade dort seinen Sinn hat, wo es uns in eine kritische und ironische Distanz zum Hier und Jetzt und auch zur Idee der perfekten Gesellschaft bringt.
Klaus Günther ist der weitere Cluster-Sprecher und Professor für Rechtstheorie, Strafrecht und Strafprozessrecht an der Goethe-Universität. Er widmet sich am 2. Dezember von 17.30 bis 18.30 Uhr dem Thema „Hitze und Kälte im Recht“. Denn eine Funktion, die dem Recht zugeschrieben wird, ist die Abkühlung von heißen Emotionen: Das Recht nötigt dazu, sich auf geregelte Verfahren einzulassen. Doch heften sich Emotionen an das Recht, die umso heißer werden, sobald es nicht dem eigenen Begehren entspricht. Sophokles‘ Drama „Antigone“ oder Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“ sind literarische Beispiele dafür.
Ein Vortrag mit Filmbeispielen steht für den 3. Dezember von 14.30 bis 15.30 Uhr auf dem Programm: „L’Homme Machine – Das neue Leben in Dziga Vertovs Enthusiasmus / Sinfonie des Donbass (1930)“, so das Thema von Tatjana Sheplyakova, Philosophin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Exzellenzcluster. In Vertovs Klassiker „Enthusiasmus“, dem ersten sowjetischen Tonfilm überhaupt, wird die Utopie der Versöhnung von Mensch und Maschine real. Menschliche Arbeit ist hier ein Begehren, das sich im Spiel der mechanischen Wiederholungen potenziert. Ihr Antrieb ist kein Mangel, sondern Luxus der Kräfte. Was sagt uns dieser Film heute, in dem das Kino die Kirche ablöst, das Sehen zum Hören wird und das Individuum im Kollektivkörper aufgeht?
Fotos: Exzellenzcluster Normative Ordnungen
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Die Termine im Überblick
Mittwoch, 29. November 2017, 17.30 bis 18.30 Uhr
Prof. Marcus Willaschek: Sehnsucht nach Weisheit: (k)ein Fall für die akademische Philosophie? (Moderation: Bernd Frye); 1. OG, Plenarsaal
Donnerstag, 30. November 2017, 17.30 bis 18.30 Uhr
Dr. Matthias C. Kettemann: Gesetze des Begehrens im Internet; 1. OG, Plenarsaal
Freitag, 1. Dezember 2017, 17.30 bis 18.30 Uhr
Prof. Rainer Forst: Utopie und Ironie. Eine Kritische Theorie des Nirgendwo; 1. OG, Plenarsaal
Samstag, 2. Dezember 2017, 17.30 bis 18.30 Uhr
Prof. Klaus Günther: Hitze und Kälte im Recht; 1. OG, Plenarsaal
Sonntag, 3. Dezember 2017, 14.30 bis 15.30 Uhr
Dr. Tatjana Sheplyakova: L’Homme Machine – Das neue Leben in Dziga Vertovs Enthusiasmus / Sinfonie des Donbass (1930); 2. OG, Congress Raum 1
Veranstaltungsort: Festivalzentrum FOUR Frankfurt, Junghofstraße 5-9, 60311 Frankfurt; der Eintritt zu den Veranstaltungen des Exzellenzclusters ist frei
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Quelle: Pressemitteilung vom 24. November 2017