Gekrümmter Rücken, gesenkter Kopf, das Gesicht bläulich beleuchtet: das Handy wirkt nicht nur auf unsere Art zu kommunizieren, es regiert immer mehr unseren Alltag und prägt sogar Körperhaltung und Stadtbild. Versinnbildlicht hat das der Künstler Peter Picciani und ist mit seinem Kunstwerk „Social Network“ zurzeit in der Ausstellung „Hamster Hipster Handy“ im Museum Angewandte Kunst zu sehen.
Seine Arbeit zeigt Menschen, die aneinander vorbeilaufen und dabei auf ihr Handy starren. Vor lauter Kommunikation kommuniziert man aneinander vorbei. Sollten die Besucher der Ausstellung sich auch vorwiegend in der gebückten Körperhaltung des ewig auf das Smartphone Starrenden fortbewegen, mag es ganz nützlich sein, dass auf dem Boden der Ausstellungsfläche im Richard-Meier- Bau ein mintblaues Netz gezeichnet ist.
Die Linien, die dem sonst unsichtbaren Mobilfunknetz nachempfunden sind, führen den Besucher durch die Ausstellung und verbinden die Quadranten des Baus miteinander. Doch wie es auch beim echten Mobilfunknetz ist, führen manche der Verbindungen ins Leere. Jeglicher orthopädischer Kritik zum Trotz sollten die Besucher ihr Smartphone allerdings auf keinen Fall im Schließfach lassen.
Wenn der kaputte Bildschirm zum ästhetischen Moment wird
Die Kuratoren wollen nicht nur die negativen Auswirkungen der ununterbrochenen Vernetztheit der Smartphone-Nutzer beleuchten. Sie zeigen auch globale Praktiken und kulturelle Besonderheiten auf, die ohne das Mobiltelefon nie entstanden wären. Anfangs erst noch leise und unbemerkt ein Teil unseres Alltags, ist das Handy mittlerweile unverzichtbar und gesellschaftliche und kulturelle Umbrüche wurden unaufhaltsam.
Exemplarisch für die gegensätzlichen Seiten des Handys stehen der Hamster und der Hipster. Wurden um die Jahrtausendwende Handystrahlentests an den Tieren durchgeführt, um mögliche Schädigungen des menschlichen Gehirns und des Gehörs nachweisen zu können, ist der Hamster Stellvertreter der negativen Auswirkungen der Technik. Im Gegensatz dazu steht der Hipster als Kunstfigur.
Er ist der bejahende Konsument des 21. Jahrhunderts und repräsentiert den Kult um das Smartphone. So werden auch Objekte aus Birgit Richards Jugendkulturarchiv an der Goethe-Universität gezeigt. Richard ist Kuratorin der Ausstellung und lehrt am Institut für Kunstpädagogik. Doch nicht nur die teilweise absurden Auswüchse materieller Alltagskultur rund um das mobile Gerät, wie beispielsweise eine Handyhülle mit integriertem Schlagring, sind ausgestellt.
Das Handy hat längst Einzug in den künstlerischen Kontext gehalten: als Motiv, aber auch als Werkzeug oder Trägermaterial. Da sind Fotografien von David LaChapelle ausgestellt, in denen das Handy als Symbol für eine verschwenderische Konsumkultur und eine mediale Zerstreutheit steht. Oder ein Selbstporträt von Lynn Hershman Leeson, die den gesprungenen Bildschirm des Smartphones als ästhetisches Motiv umsetzt.
Über klassische Formen der Kunst wie Bilder und Skulpturen findet man natürlich jede Menge ausgestellter Handys. In einem Teil der Ausstellung sind fair produzierte Handymodelle, YouTube-Videos oder Apps zu sehen, die das Thema Nachhaltigkeit aufgreifen. Denn der konstante Hunger nach immer aktuellen Handymodellen lässt Elektroschrott-Müllberge in Westafrika oder Indien in die Höhe wachsen und Ressourcen wie Seltene Erden dramatisch schrumpfen.
Die Selfies eines Diebes oder das gestohlene Selfie
Den positiven Aspekten des Handys wird allerdings auch Beachtung geschenkt. Schon das Ausstellungsplakat suggeriert eine Ambivalenz: ein schwarzes Smartphone mit einem Heiligenschein. Hier wird ein religiöser Aspekt aufgegriffen und das Handy als zentraler, allgegenwärtiger Fetisch inszeniert, der Heil verspricht. Das Heilsbringende lässt sich ganz unironisch in der bekannten Fotografie „Illumination“ (2009) des berühmten chinesischen, regimekritischen Künstlers Ai Weiwei finden.
Unironisch aus dem Grund, weil er das Foto im Moment seiner Festnahme aufnahm. Im Zuge seiner regimekritischen Kunst geriet Weiwei öfter in Haft. In dem Fall wird das Handy mit seiner Fotofunktion und globalen Vernetztheit zum politischen Instrument. Doch auch diese Funktion kann manipuliert werden. Florian Mehnert zeigt in seiner Installation „Menschentracks“ über vierzig Videosequenzen, die aus der Linse gehackter Handys gefilmt wurden – ohne, dass die Betroffenen etwas davon wissen.
Auch wenn die Menschen darin unkenntlich gemacht wurden, kann man den kompletten Alltag dieser völlig Fremden problemlos mitverfolgen. Ganz ähnlich geschieht das auch in der Arbeit „Life of a stranger who stole my phone“. Das Handy des Künstlers wurde von einem gewissen Hafid aus Dubai gestohlen. Der vergaß die automatische Upload-Funktion des Handys auszuschalten, womit nun alle seine privaten Fotos ohne sein Wissen auf dem Tumblr-Konto des Künstlers landen, darunter natürlich auch viele Selfies des Diebes.
Und da Selfies zentral sind in der Handykultur, wird ihnen in der Ausstellung besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Das Selfie ist längst nicht mehr nur ein Selfie: es gibt Selfiebombing, Selfies unterschiedlicher Körperteile, das Selfie morgens im Bett, inszenierte Selfies von Kunstwerken und unzählige mehr. So spielen auch die Unterkategorien in Richards Forschung eine Rolle. Früher, als das Handy noch keine Frontkamera hatte, musste man es umdrehen und den Arm weit von sich strecken, um sich ohne Blick auf das Display auf dem Foto einzufangen.
So wurde das Selfie noch „One-Arm-Length- Shot“ genannt. Mittlerweile gibt es auch für diese Problematik ein vermarktbares Hilfsmittel: den Selfie-Stick. Dieser ist besonders bei Touristen beliebt, die gerne in den sozialen Medien Fotos von sich und ihren Urlaubsorten hochladen, auf denen dann möglichst viel exotische und beeindruckende Situation zu sehen sein muss. In der Netzgemeinde sind Selfies meist von Banalität geprägt und werden als Mittel zur Selbstvermarktung der Person genutzt.
Doch nicht so bei der Künstlerin Laurel Nakadate: Sie fotografiert sich jeden Tag weinend und stellt sich der dauerfröhlich inszenierten Selfie-Kultur entgegen. Auch Alberto Frigo entzieht sich dem typischen Selfie-Kult und hat stattdessen ein eigenes, mehrmals täglich stattfindendes Ritual geschaffen: Er fotografiert alles, was er in der rechten Hand hält, und das seit Jahren. Doch auch hier lassen sich im großen weiten Netz andere Gleichgesinnte finden.
Der in den letzten Jahren zunehmende Trend dieser ganz eigenen Kategorie nennt sich „Lifelogging“. Die Arbeiten, in denen das Handy zur eigenen Ausstellungsfläche wird, sind für den Besucher besonders reizvoll, denn sie sind interaktiv. Auch wenn ein nackter Router an der Wand auf den ersten Blick nicht sehr aufregend wirkt, so bedeutet das jedoch, dass der Besucher aufgefordert ist zu handeln.
Dann zückt er sein eigenes mobiles Gerät, loggt sich in das vor ihm befindliche W-Lan- Netz ein und kann, wenn er seinen Webbrowser öffnet, Kunst rezipieren. So ist das Kunstwerk schon gar nicht mehr physisch im White Cube zu finden, sondern ist in den virtuellen Raum abgewandert. [Autorin: Tamara Marszalkowski]
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Die Ausstellung ist noch bis zum 5. Juli 2015 im Museum Angewandte Kunst, Schaumainkai 17, zu sehen.
KuratorInnen: Prof. Dr. Birgit Richard, Eleni Blechinger, Katja Gunkel und Harry Wolf.
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