In der Frankfurter Vortragsreihe „Denken geht durch den Magen“ werden sich namhafte Experten aus Ethnologie, Soziologie, Philosophie, Literatur-, Kultur- und Filmwissenschaft sowie Psychologie, Kulturanthropologie und Molekulargastronomie mit den subtilen Verbindungen zwischen „Denken“ und „Essen“ auseinandersetzen.
Zum Hintergrund: In einer globalisierten Welt mit scheinbar unerschöpflichen. Ernährungsoptionen ist die Wahl der „richtigen“ (ethisch vertretbaren, gesunden, religiös zulässigen) Nahrung mitunter keine leichte Angelegenheit. Die politischen Konflikte um das Rindfleischverbot in Indien, ebenso aber auch Marine Le Pens Kritik an der vorgeblichen Monopolisierung des Pariser Fleischmarktes durch Halal-Fleisch oder die Debatte um den Veggie-Day zeigen, in welch komplexer Weise Ernährungsgewohnheiten heute zum politischen Streitfall werden können. Essen ist ein Politikum, weil es Identität stiftet und als unscheinbar-alltägliches, aber lebensnotwendiges Ritual subtile Möglichkeiten des gesellschaftlichen Ein- und Ausschlusses bietet.
Und Essen ist „Pop“ (Hanni Rützler), weil es als Ausdruck eines Lifestyle längst zu einem Medium der Individualisierung geworden ist. Die damit einhergehende zunehmende Diversifizierung der Verbrauchergewohnheiten macht es auch für Unternehmer im Food-Bereich zur unerlässlichen Aufgabe, sich mit aktuellen Ernährungstrends und ihrer (oft symbolisch-ideologischen) Motivation zu beschäftigen.
Essen und Kochen sind schließlich nicht nur die Stars eines nicht enden wollenden Medienkults, sondern werden bereits von Soziologen und Religionswissenschaftlern als eine Form der impliziten Religion betrachtet – während andererseits Essstörungen und ernährungsbedingte Erkrankungen zunehmen. In Filmen und Romanen der Gegenwart sind Essen und Kochen schließlich mehr als bloße Motive: Vielmehr bilden einzelne Essensszenen in ihrer Gesamtheit ein Zeichensystem, das gesellschaftliche Leitdiskurse auf subtile Weise bestätigen oder aber unterminieren kann. Die Esskultur der Gegenwart präsentiert sich somit als extrem vielschichtiges und widersprüchliches Phänomen, das nach einer interdisziplinären Erforschung verlangt.
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Programm „Denken geht durch den Magen“ im Wintersemester 2016/2017:
- (Achtung, Termin- und Raumänderung!) 1.11. Vinzenz Hediger: Zu viel Muskeln, zu viel Fett: Obszöne und obsolete Körper im post-industriellen Kino. Hörsaalzentrum, HZ 9
- 9.11. Eva Barlösius: Dicksein. Wenn der Körper das Verhältnis zur Gesellschaft bestimmt
- 18.11. Massimo Montanari, Maria G. Muzzarelli, Emanuele Gatti, Christine Ott: Was vom Essen übrigbleibt. Zur politischen Verwendung von Speisen / Ciò che resta del cibo. Sull’utilizzo politico delle vivande (Vorträge in italienischer Sprache mit deutscher Übersetzung) 10–16 Uhr, Seminarhaus, SH 1.104 (Uni-Campus Westend)
- 23.11. Tilmann Habermas: I prefer dying to become big as mamma – Kulturelle Genese und Psychodynamik der Magersucht
- 7.12. Frank Schulze-Engler: Welpeneintopf und 24 Teller Pommes: Komisches Essen in der globalisierten Moderne
- 16.12. Harald Lemke: Utopie-Ursuppe. Eine heitere bis nachdenkliche Tischgesellschaft (Vortrag und Koch-Event in der Freitagsküche, Mainzer Landstraße 105)
- 18.1. Laurent Gautier: Den Geschmack denken: von der Kommunikation zur Repräsentation im Bereich der Weinsensorik
- 1.2. Mita Banerjee: „Der Reis des Lebens“: Biopiraterie und Lebenserzählungen in Indien
- 8.2. Julika Griem: Kochende Männer. Zur Kulinarik gegenwärtiger Geschlechterverhältnisse
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Die Vorträge finden, sofern nicht anders vermerkt, mittwochs von 18–20 Uhr im IG-Farben-Haus, Campus Westend, Raum IG 411 statt. Die Vorlesungsreihe wird im Sommersemester 2017 fortgesetzt.
Weitere Informationen: Prof. Christine Ott, Institut für Romanische Sprachen und Literaturen, Goethe-Universität Frankfurt. Tel. (69) 798 32014; c.ott@em.uni-frankfurt.de