Eine internationale Konferenz unter Beteiligung der Goethe-Universität nimmt die Qualität von staatlich finanzierter Strafverteidigung in den Blick.
Wie ist die staatlich finanzierte Strafverteidigung in anderen Ländern Europas geregelt? Was kann man besser machen? Darum ging es bei einer internationalen Tagung im litauischen Vilnius, an der die Goethe-Universität maßgeblich beteiligt war. Auch das deutsche System ist durchaus kritikwürdig.
„Enhancing the Quality of Legal Aid: Common Standards for Different Countries“ – unter diesem Titel lud das Law Institute in Litauen zusammen mit der Goethe Universität Frankfurt und dem Legal Aid Board der Niederlande von 22. bis 23. November in die litauische Hauptstadt ein. 30 Spezialisten, die in ihrem Land im „Legal Aid“-System tätig sind – etwa in Legal Aid Boards, bei staatlichen Behörden, in der Justiz und in Anwaltskammern, aber auch in Forschungseinrichtungen – haben sich in Vilnius mit der Praxis staatlich finanzierter Strafverteidigung befasst. Ziel der Konferenz war es, die Abläufe bei der Bereitstellung von Legal Aid in den jeweiligen Systemen vorzustellen und zu diskutieren, wobei der Schwerpunkt auf den Qualitätsaspekt lag. Die Konferenz war Teil eines auf zwei Jahre angelegten Projektes der drei Veranstalter, das durch die EU-Kommission und durch das Justice Programme der Europäischen Union kofinanziert wird.
Hinter dem Begriff „Legal Aid“ („Prozesskostenhilfe in Strafsachen“) verbirgt sich ein weitreichender und tiefgehender Änderungsbedarf insbesondere für das bisherige deutsche System der Pflichtverteidigung im Strafprozessrecht. Während viele andere Mitgliedstaaten der EU staatliche Legal Aid-Agenturen betreiben oder die Anwaltskammern dabei unterstützen, Strafverteidiger und Mandant zusammenzubringen, ist die Bestellung des Pflichtverteidigers in Deutschland eine Aufgabe der Strafgerichte. Dies wird von vielen Seiten als ineffektiv und teilweise unfair kritisiert, nicht zuletzt von deutschen Strafverteidigern. Eine europäische Richtlinie (RL 2016/1919), die in dieses System eingreift, muss bis Mai 2019 in deutsches Recht umgesetzt werden. Forscher der Goethe-Universität sind daran beteiligt, Qualitätskriterien für die Umsetzung dieser Richtlinie zu entwickeln. Auf Basis der dort herausgearbeiteten Standards wird die Umsetzung der EU-Richtlinie dann vom Jahr 2022 an von der EU-Kommission evaluiert werden.
Eröffnet wurde die Konferenz durch Milda Vainiutė, die Justizministerin Litauens. Sie hob die große Bedeutung des Themas Legal Aid im gesamteuropäischen Kontext hervor. Der Vorsitzende der Anwaltskammer in Litauen, Ignas Vegele, sprach davon, dass die Konferenz einen Beitrag zur Verbesserung der Qualität von Legal Aid leisten könne. Die Vertreterin des litauischen Law Institute moderierte die erste Vortragsrunde zusammen mit Prof. Dr. Matthias Jahn, Leiter der Forschungsstelle für Recht und Praxis der Strafverteidigung der Goethe-Universität und Richter am Oberlandesgericht Frankfurt. Jahn verglich die Vorgaben für Legal Aid und den Mechanismus des Monitorings durch die EU-Kommission, die sprachliche Herkunft des Ortsnamens Vilnius aufgreifend, mit einer „kleinen Welle“ für manche der Mitgliedstaaten, die sich für andere – beispielsweise Deutschland – „als Flut für die Gesetzgebung und die praktische Umsetzung“ darstellen könne. Er gab der Hoffnung Ausdruck, dass die Konferenz als Frühwarnsystem dienen könne und solle, „um aus deutscher Sicht rechtzeitig einen aus dieser Richtung aufkommenden Tsunami zu erkennen, weil nicht alle Mitgliedsstaaten ausdifferenzierte und umfassende Verwaltungsstrukturen eines Legal Aid Systems wie die litauischen Gastgeber“ vorweisen könnten.
Den zweiten Tag der Konferenz eröffnete Prof. Dr. Christoph Burchard, Inhaber einer Professur für Straf- und Strafprozessrecht, Internationales und Europäisches Strafrecht, Rechtsvergleichung und Rechtstheorie an der Goethe-Universität, mit der Frage, wie man sich der Erarbeitung einheitlicher Qualitätskriterien für Legal Aid nähern könne. Er gab zu bedenken, dass es nicht ausgemacht sei, ob solche einheitlichen Kriterien für alle Mitgliedstaaten überhaupt existierten oder ob man hier nicht viel eher von einem Cluster verschiedener Kriterien sprechen müsse, um der Thematik innerhalb der verschiedenen Systeme gerecht zu werden.
Weitere Informationen zu dem Projekt QUAL-AID finden Sie (auf englisch) hier » | Informationen zur heutigen Rechtswirklichkeit der Pflichtverteidigerbeiordnung in Deutschland finden Sie hier (PDF) »
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Ansprechpartner für weitere Informationen: Forschungsstelle Recht und Praxis der Strafverteidigung (RuPS), Prof. Dr. Matthias Jahn, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Theodor-W.-Adorno-Platz 4, 60329 Frankfurt a.M., Tel. 069 798-34336, Fax: 069 798-34521, E-Mail: RuPS@jura.uni-frankfurt.de, Web: www.jura.uni-frankfurt.de/RuPS
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