Auf der Bad Homburg Conference 2021 wurden ausgewählte Fragen der Klimapolitik aus verschiedenen Perspektiven von internationalen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik diskutiert. Der UniReport hat einige Stimmen zur Konferenz eingeholt, die jeweils wichtige Erkenntnisse, aber auch Streitpunkte und offene Fragen benennen.
Prof. Darrel Moellendorf,
Professor für internationale politische Theorie und Philosophie an der Goethe-Universität und Vorsitzender des Panels »How fair is Europe’s climate policy?«.
„Wir haben die Konferenz organisiert, um ein gravierendes Problem anzugehen. Wir befinden uns mitten in einer Klimakrise, und unsere Politik reagiert nicht angemessen. 2015 haben sich die Vertragsparteien der UNFCCC verpflichtet, die Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen und eine Erwärmungsgrenze von 1,5 Grad anzustreben. Laut einem aktuellen Bericht der UNO würde sich der Planet bis zum Ende des Jahrhunderts immer noch um 2,7 Grad erwärmen, selbst wenn alle Länder der Welt ihre Versprechen zur Reduzierung der CO2-Emissionen einhalten würden. Das könnte für die Menschheit verheerend sein, aber für die Armen dieser Welt sicherlich katastrophal. Ein IPCC-Bericht zur Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad prognostiziert, dass, wenn die Erwärmung über 1,5 bis 2 Grad hinausgehen darf, Hunderte Millionen Menschen in Armut gefangen sein werden. 2,7 Grad sind eindeutig eine Katastrophe. Erschwerend kommt hinzu, dass die Unterstützung wohlhabender Länder, die ärmeren bei der Bewältigung des sich ändernden Klimas helfen, völlig unzureichend war. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Dinge ändern müssen, ist alarmierend. Die Energiebasis der gesamten Weltwirtschaft muss sich bis Mitte dieses Jahrhunderts ändern, und es gibt kaum Anzeichen dafür, dass sich die politischen Führer der Dringlichkeit unserer Umstände stellen. Stattdessen gehen junge Leute voran. Unsere Idee war, Akademiker, Mitglieder der Geschäftswelt, Regierungsmitarbeiter und junge Aktivisten einzuladen, um über den aktuellen und notwendigen Wandel zu sprechen.
Das von mir organisierte Panel beschäftigte sich damit, wie die Lasten der Reaktion auf die Klimakrise international gerecht verteilt werden können. Klimaverträge erkennen das Prinzip der unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und die Notwendigkeit an, dass wohlhabende Länder die Führung übernehmen. Es muss jedoch noch viel mehr getan werden, um Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen beim Übergang zu einer kohlenstofffreien Wirtschaft zu unterstützen und gleichzeitig ihren Bedarf zu decken, den Energieverbrauch massiv zu erhöhen, um ihre Ziele zur Armutsbekämpfung zu erreichen. Auch die weltweite Beseitigung der Armut ist ein dringendes Ziel, auf das die Länder nicht verzichten werden, damit die reichen Länder ihre hohen Emissionen fortsetzen können. Die Moralität hat dann eine harte Realität. Die fehlende Beachtung einer gerechten Lastenverteilung würde dann die globale Zusammenarbeit zur Lösung des Problems untergraben.“
Prof. Joachim Curtius,
Professor für Experimentelle Atmosphärenforschung an der Goethe-Universität, Moderator der Podiumsdiskussion »Die Umsetzung der Klimaziele im internationalen Kontext«
„Ein interessanter Einblick der diesjährigen Bad Homburg Conference war für mich die Äußerung, dass mehr als genug Geld zur Verfügung stehe, um die viele Billionen Euro teuren Investitionen zu stemmen, die notwendig sind, um nicht nur in Deutschland, sondern weltweit klimaneutral zu werden. Wichtig war mir auch die Perspektive aus der Praxis von Andreas Kuhlmann (Vorsitzender Deutsche Energie-Agentur), dass für die genügend schnelle Umsetzung der energetischen Sanierung im Gebäudesektor gar nicht genügend Handwerker zur Verfügung stehen, um eine Verdoppelung oder Verdreifachung der Sanierungsrate zu realisieren. Ein besonders interessanter Streitpunkt war meines Erachtens die Frage, ob die Transformationen der Energiesysteme von fossilen zu erneuerbaren Energien durch entsprechende technische Innovationen und Implementierung von vorhandenen technischen Lösungen schnell genug erfolgen, oder ob tiefgreifendere Änderungen – durch einen Systemwechsel, durch Verhaltensänderungen und Verzicht – dafür erfolgen müssen. Insgesamt funktionierte das Gespräch der Wissenschaftler* innen untereinander, aber auch mit Vertreter*innen von Unternehmen und Behörden sehr gut.
Es wurde klar, dass alle Gesprächsteilnehmer nach Lösungen suchen und auf dieser Suche bereit sind, offen zu diskutieren. Niemand bezweifelt mehr, dass schnelle Transformationen notwendig sind, und so wird eher über den richtigen Weg diskutiert als darüber, ob überhaupt die Transformationen notwendig sind. Wissenschaft, Unternehmen, Behörden und NGOs sind sich eigentlich überraschend einig und ziehen an einem Strang; entsprechend konstruktiv waren die Gespräche.
In dem von mir moderierten Podium zum Thema ‚Die Umsetzung der Klimaziele im internationalen Kontext‘ wurden einerseits die Erwartungen bezüglich der COP26 (UN-Klimakonferenz 2021) in Glasgow diskutiert. Ein Schwerpunkt lag auch auf der Frage, wie den Ländern des globalen Südens geholfen werden kann, sich gegen die Folgen des Klimawandels zu wappnen. Eine neue Regierung in Deutschland sollte auch nicht nur auf die Transformation in Deutschland fixiert sein, sondern sich gerade auch für den internationalen Klimaschutz starkmachen und die Gespräche mit den USA, China, aber auch Brasilien, Russland et cetera entschieden voranbringen.“
Prof. Matthias Lutz-Bachmann,
Direktor des Forschungskolleg Humanwissenschaften und Mitorganisator der Konferenz.
„Die diesjährige Bad Homburg Conference war die fünfte. Seit 2017 unterstützt die Stadt Bad Homburg das Forschungskolleg Humanwissenschaften der Goethe-Universität. Diese Reihe der ‚Bad Homburg Conferences‘ wird auch in den kommenden Jahren fortgesetzt. Das Ziel der Serie öffentlicher und internationaler Konferenzen ist es, Wissenschaft und Öffentlichkeit, Forschung und Gesellschaft in ein produktives Gespräch miteinander zu bringen. Dabei werden Ergebnisse der Forschung und Interessen der Bürgergesellschaft erörtert. Dem Forschungskolleg geht es dabei – neben der Öffnung der Wissenschaften zur Gesellschaft und der Wahrnehmung politischer Verantwortung – auch immer darum, Gruppen von Forscherinnen und Forschern der Universität durch die Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Realität in ihrem Bemühen um vertiefte Einsichten zu sensibilisieren und auf etwaige eigene blinde Flecken in der eigenen Forschung aufmerksam zu machen. Die Bad Homburg Conferences sind somit auch ein Raum des Lernens für uns, die Wissenschaften.
In diesem Jahr ging es um die Fragen ‚Klima Politik Wandel‘. In einzigartiger Weise haben hier Vertreter der Naturwissenschaften zusammen mit Vertretern der Geistes- und Sozialwissenschaften die Konferenz vorbereitet. Exzellent war der Vortrag des neuen Generaldirektors des Senckenberg Instituts für Naturforschung Prof. Klement Tockner über die ‚Domestizierung der Natur‘ durch uns Menschen sowie insbesondere auch die Panels von Prof. Joachim Curtius und Prof. Darrel Moellendorf. Inhaltlich bedeutsam waren die vorgelegten Daten über den Klimawandel als Folge eines enormen Ressourcenverbrauchs, der seit über einhundert Jahren beständig steigenden CO2-Emissionen, der modernen Lebens- und Verkehrsformen, der Zersiedlung des Landes, des Verlusts von Artenvielfalt weltweit oder der kolonialen sowie postkolonialen Ausbeutung von Menschen und Natur in der Welt.
Die Fakten liegen auf dem Tisch und verschärfen die Frage einer gerechten Verteilung von Reichtum, Ernährung und Energie sowie nach dem Zugang zu den natürlichen Ressourcen weltweit. Änderungen, die nicht gewaltförmig und verbunden mit Krieg, Unterdrückung und Vertreibung einhergehen, müssen und können auf dem Weg des friedlichen Dialogs und eines möglichst weltweiten Konsenses erreicht werden. Diesen Einsichten kann sich heute niemand, der nicht böswillig ist, verschließen. Die Konferenz hat uns allen klargemacht, dass mit diesen Problemen die Frage der Zukunftsfähigkeit des Lebens von Menschen auf der Erde sowie der Herstellung von globaler Gerechtigkeit verbunden ist.
Jetzt sind wir alle aufgefordert, mit geeigneten politischen und gesellschaftsverändernden Maßnahmen, aber auch mit dem Einsatz neuer Technologien und neuer Formen des Wirtschaftens diese gravierenden Weltprobleme zu lösen. Die Konferenz hat uns aber auch belehrt, welche Probleme mit der Lösung dieser Fragen angesichts der realen Machtinteressen großer und kleinerer Mächte verbunden sind. Hierüber werden wir weltzweit noch manche heftige Debatte und Auseinandersetzung führen müssen.
Doch infrage steht heute nicht mehr, ob wir einen dramatischen Wandel unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft, unserer Lebens-, Produktions- und Reproduktionsverhältnisse in Angriff nehmen müssen. Infrage steht nur noch, auf welchem Weg wir am besten diesen Wandel vollziehen; denn dieser Weg muss gerecht und solidarisch, effizient und entschieden, also auch schnell und mit nachhaltigen Ergebnissen gegangen werden. Das sind die überaus klaren Ergebnisse und Einsichten unserer diesjährigen Bad Homburg Conference. Sie enthalten somit einen Aufruf an uns alle, vor allem aber an die Politik, einen weltweiten Prozess des Wandels friedlich zu gestalten – einen Prozess, der bei uns zu Hause beginnen muss und sich doch nicht nur auf lokale Maßnahmen beschränken darf. Darüber wird aber mit politischen Mitteln weiter zu streiten sein: in Deutschland, in Europa, in der Welt.“
Videomitschnitte des Keynote-Vortrags von Prof. Klement Tockner sowie der Panel-Diskussionen finden sich auf YouTube https://www.youtube.com/c/ForschungskollegHumanwissenschaften
Weitere Infos zur Konferenz unter https://www.forschungskolleg-humanwissenschaften.de
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 5/2021 (PDF) des UniReport erschienen.