»Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, daß ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen.«
Th. W. Adorno
Um einen aktuellen Blickwinkel und den starken heutigen Wert der Thesen Th. W. Adornos ging es auf der Veranstaltung des FB 04, die Ende Januar durch Sabine Andresen initiiert wurde. In vielfältigen Vorträgen folgte man der Frage der Vergewisserung der Erziehungswissenschaft, ihrer Positionierung zwischen Vermittlung von Wissen sowie Reflexion und Etablierung ethischer Positionen und dem damit zusammenhängenden Diskurs über Handlungsfähigkeit deutscher Pädagogik, Reichweite und Funktion von Erziehung und Bildung.
Bildung, Förderung von Reflexivität, Nachdenken über Geschehenes, das Erkennen neuer ethnischer Herausforderungen und der Umgang mit ihnen standen im Mittelpunkt der Veranstaltung. So eröffnete Christiane Thompson neue Perspektiven auf den Umgang mit dem gemeinsamen Gedächtnis, Erinnerungs- und Aufarbeitungsstrukturen und dem Gedenken an Opfer der Nazizeit.
Auch Benjamin Ortmeyer beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der Auseinandersetzung der Nazi-Zeit, betonte dessen Bedeutsamkeit und stellte in diesem Rahmen die Tätigkeit der Forschungsstelle für NSPädagogik vor. Die beiden folgenden Vorträge durch Julia Eksner (Frankfurt University of Applied Sciences) und Andreas Zick (Universität Bielefeld) stellten Adornos Thesen in Bezug zu aktuellen Entwicklungstendenzen der Gesellschaft.
So zeichnete Erstere antisemitische Denkweisen und deren Entstehung bei Jugendlichen europäischer Länder auf und beschrieb Handlungsmöglichkeiten der pädagogischen Praxis, dem zu begegnen. Letzterer hingegen bezog abschließend Adornos Gedanken auf Radikalisierungsprozesse Jugendlicher und deren Entstehungsfelder in europäischen Ländern.
In der abschließenden Podiumsdiskussion mit namhaften Vertretern und Teilnehmern wurde vor allem der Frage des aktuellen Stellenwertes der Theorie Adornos für Schule und Hochschule nachgegangen. Hier sah Micha Brumlik (Berlin) eine klare institutionelle Aufklärungspflicht angesichts aktueller politischer Entwicklungen in Deutschland, bei denen man sich „keiner Illusion hingeben solle“.
Nur eine Erziehung, die auf Genozid-Merkmale aufmerksam macht und die unantastbare Würde des Menschen propagiert, sei in der Lage, die Entwicklung exkludierender gesellschaftlicher Tendenzen zu verhindern. Darin waren sich die Redner einig. So stimmte auch A. Lotz, stellvertretender Vorsitzender des Hessischen Philologenverbandes, zu, dass die Aufklärung der Geschehnisse der NS-Zeit trotz eintretender „Holocaust-Müdigkeit bei deutschen Schülern“ beibehalten werden müsse und durch Bestärken der persönlichen Handlungsfähigkeit des einzelnen Schülers Radikalisierungstendenzen vorgebeugt werden könne.
Aufgabe für Lehrerbildung
In diesem Sinne steht auch die Lehrerausbildung an den Hochschulen vor wahrzunehmenden Aufgabenfeldern. Alisa Siegrist, Präsidentin des Studierendenparlaments der Goethe-Uni, wies darauf hin, dass sich die Frage nach Unterstützung der Sensibilisierung mit der Thematik, der Reflexivität von Studierenden und der geschichtsdidaktischen Ausbildung gerade in modularisierten Studiengängen stelle.
Hier sah Jutta Ebeling, Vorsitzende des Fördervereins des Fritz-Bauer-Instituts, durch die neue präsidiale Leitung der Frankfurter Universität mehr Raum zur Aufarbeitung gegeben und betonte, dass zudem besonders die Stärken junger Menschen gefördert und gestützt werden und sich an Schulen mehr Raum für die Entwicklung emotionaler Intelligenz finden solle.
Dies befürwortete auch Diemut Kucharz, leitende Dekanin des FB 04, und machte deutlich, dass die ständige Sensibilisierung zu historischen Fragen und deren Verbindung zu aktuellen politischen Themenfeldern, wie beispielsweise dem Nahostkonflikt, unumgänglich seien. Obwohl das Thema des Nationalsozialismus auch im Rahmen modularisierter Studiengänge keine Pflichtveranstaltung darstelle, unterstütze und befürworte sie Studierende deutlich in ihrem Bemühen um historische Aufarbeitung und der Reflexion und Übertragung des Geschehenen auf aktuelle politische Themenspektren und damit einhergehend erziehungswissenschaftliche Teilgebiete der kritischen, weltoffenen und reflexiven Erziehung Heranwachsender.
Dies sei, so hob Micha Brumlik nochmals hervor, besonders wichtig, da Kinder und Jugendliche als dritte und vierte Generation nach Auschwitz kaum noch auf familiengeschichtliche Einbettung und Zeitzeugen zurückgreifen können. So zeigte das Symposium, wie vielfältig eine aktuelle Auseinandersetzung mit Adornos Thesen sein kann und dass eine Debatte in Schule und Hochschule lohnenswert ist.
[Autorin: Ines Schminke]
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 2.16 des UniReport erschienen [PDF]