Zur Preiswürdigkeit des Werks von Bob Dylan

blog_dylan-essay-knut-wenzelKnut Wenzel schreibt in seinem Dylan-Essay über „Pathos und Indolenz“ im Werk des gerade mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten Musikers und Lyrikers. Wenzel ist Professor für Fundamentaltheologie/Dogmatik im Fach Katholische Theologie; er hat 2011 das Buch „HoboPilgrim. Bob Dylans Reise durch die Nacht“ veröffentlicht.[dt_gap height=”10″ /]

Pathos und Indolenz. Zur Preiswürdigkeit des Werks von Bob Dylan

von Knut Wenzel

Bob Dylan erhält den Nobelpreis für Literatur 2016. Muss der Kunstbegriff erweitert werden, wieder einmal, um diese Entscheidung zu rechtfertigen? Wohl kaum. Was macht ein Kunstwerk aus? Dass es im selben, eminenten Maß, in dem es gewollt und gemacht ist, zustößt und unterläuft. Was nur ungewollt geschieht, ist ein naturhafter Ablauf; was nur produziert wird, ist Zweck- und Gebrauchsobjekt. Im Kunstwerk wird eine eigentümliche, nämlich unheimlich fruchtbare, Einheit des Willentlichen und des Unwillentlichen manifest.

Sorglosigkeitspol seiner Kunst

Präzision und Nachlässigkeit, oder Sorglosigkeit: Nicht durch die ausgefeilte Komposition noch durch die gebildete Kunstfertigkeit lässt sich ein gesuchter künstlerischer Ausdruck produzieren; auch stellt er sich nicht durch ein bloßes letting go idiosynkratischer Expressivität ein; weswegen der wohlgesetzte künstlerische Akt – in der Bearbeitung von Sprache, von Musik … – notwendig ist, genauso notwendig aber intrinsisch offen sein muss auf den nicht gewollten, nicht gewussten Ausdruck, auf das Wort, das der geschriebene Text, das aufgeführte Lied gar nicht ausdrücklich enthält, das gleichwohl mit gemeint ist, ohne deswegen freilich identifizierbar zu sein, sich jedoch im Bedeutungsfeld des Lieds wie von selbst einfinden und aufhalten kann. Jene Sorglosigkeit (im Umgang mit dem Material künstlerischer Bearbeitung, wie auch mit den Fähigkeiten zur Gestaltung), die ein vitales Verhältnis zum Präzisionspol künstlerischer Kreativität unterhält, räumt die Möglichkeit des sich Einstellens ungeahnter Bedeutungen ein. Was also als das Unkontrollierte, Triviale oder nur reduziert Literarische an der Kunst Bob Dylans wahrgenommen wird – lyrics nur, doch nicht Lyrik –, verdankt sich dem Sorglosigkeits- oder Fahrlässigkeitspol seiner Kunst; indem von ihm her die Verknüpfungen der Bedeutungstextur weitmaschig werden, die Muster ihre Ordnungsschärfe verlieren, die Geweberänder ausfransen können, wird unintendierbaren Bedeutungen Platz eingeräumt: sie können gelesen, gehört, gedeutet werden, aber sie stehen nicht da.

My love she speaks like silence (aus Love Minus Zero/No Limit von 1965): Es sind gerade Lieder der Liebe, in denen ersichtlich wird, wie in diesem Werk insgesamt das Sag- und Singbare unter dem Vorbehalt des Absoluten steht, ein Vorbehalt, der nichts vorenthält, sondern alles freisetzt. Wenn dieses, das Absolute, das in jedem Wort – in jeder Lebens-Artikulation – stets Gemeinte ist, wird es doch als das jeweils nicht Einholbare benannt: It’s just a shadow you’re seein’ that he’s chasing (aus Mr. Tambourine Man von 1965). Daraus entsteht eine Lebens- und Dichtungsbewegung ins Unendliche: Ain’t talkin‘, just walkin‘ // Heart burnin‘, still yearnin‘ (Ain’t Talkin‘ von 2001) – knappe Notate einer nicht abschließbaren Gegenwart des Sehnens, des Gehens, des sich Verzehrens, unter dem Siegel des Nicht-Sprechens: das unendliche Lied.

Bob Dylan hat einmal in einem poetologischen Lied eine Weise der Identität von Präzision und Sorglosigkeit beschrieben – als Series Of Dreams (von 1989). Der Traum – die erinnerte, erzählbare Traumsequenz – ist diese Einheit von verantworteter Bedeutung und unwillentlich-überwältigend sich einstellendem Bild.

Religiöse Metaphorik

Es ist deswegen weder künstlerischer Eigenwilligkeit noch etwa dem Schema des Folksongs geschuldet, dass Dylans Werk von Anfang an mit religiöser Metaphorik durchsetzt ist. Wenn das Religiöse, die pietas, vor aller Programmatik oder Doktrin zuerst eine Haltung ist, eine Wirklichkeitseinstellung, die eine gedeutete fundamentale Existenzerfahrung zu ihrem Kern hat, dann lässt diese sich treffend mit dem Doppelausdruck von Pathos und Indolenz bestimmen: unbedingtes Sich-beanspruchen-Lassen durch das Je-Konkrete; von allem Je-Einzelnen prinzipiell abgelöstes Offensein auf das Ganze, Unendliche, Absolute. In diesem Spannungsfeld von Pathos und Indolenz zu leben (nicht anders zu können), kann als Haltung der Frömmigkeit bestimmt werden. Als solche geht sie jeder Religion voraus – und mag sich gegebenenfalls dann eine Ausdrucksgestalt suchen, in den Kulturen der Religion, der Poesie …, diskursiv. Bob Dylan hat in der Geschichte seines Werks wie auch seiner Pop-Identitäten exemplarisch das prius der pietas vor jeder Ausdruckskultur, und sei es die einer manifesten Religion, begreifbar gemacht. Es war vielleicht zwangsläufig, dass er auch das Christentum durchspielte, und zwar in der hocherhitzten Variante des Pfingstlertums, notwendig aber war es, dass er es wieder verlassen hat. So hat er viele Ausdrucksidentitäten durchlaufen, die des Folk-Revival der frühen 60er Jahre, die damit verquickten Protestkulturen von Bürgerrechts- und Anti-Vietnamkriegsbewegung, einen durch hermetisch-surreale Poesie aufgeladenen Gestus des elektrischen Rock, Spielarten von Beat-Poetry und, erst in der Phase der Rolling Thunder Revue (1975/76), der Hippie-Kultur, die Ruralität des Country und die Urbanität des Soul, die mehrfache Berührungsaufnahme mit dem Bedeutungsraum der jüdischen Tradition, die komplette Ort-, Heimatlosigkeit eines ununterbrochenen Unterwegsseins auf der Never Ending Tour seit 1988 bis in die Gegenwart … Keine dieser und anderer Ausdrucks- und Identitätsgestalten ist auf Dylans Pilgerfahrt ohne festgesetztes Ziel als verbindlich authentisch unangetastet geblieben, keine aber auch als wert-los abgelegt worden; jede scheint stattdessen eingegangen zu sein in den Zusammenhang eine jede einzelne Gestalt transzendierenden Gültigkeit.

If dogs run free, why not me / across the swamp of time? / My mind weaves a symphony and tapestry of rhyme (aus If Dogs Run Free von 1970). Unterm Schein bloßer Pop-Musik arbeitet das Werk Bob Dylans an einer radikalen Verwirklichung des Poetischen. In diesem radikal Poetischen selbst, das Dylan vermittels einer dialektischen Schreibweise aus Präzision und Sorglosigkeit zu verwirklichen sucht, erschließt sich jene Haltung von Pathos und Indolenz, die zuvor als pietas bestimmt worden ist und die einem Religionsbekenntnis voraus- oder entgeht. Es gibt einen gemeinsamen Quellgrund des Poetischen und des Religiösen; darüber, diesem Ausdruck zu verleihen, dessen Formen aber stets wieder auflösen zu müssen, kann Bob Dylans Kunst sich nicht beruhigen.

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blog_knut-wenzel-foto-homepage-uni-frankfurtKnut Wenzel ist Professor für Fundamentaltheologie/Dogmatik im Fach Katholische Theologie an der Goethe-Universität. Von ihm ist 2011 das Buch „HoboPilgrim. Bob Dylans Reise durch die Nacht“ erschienen.

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