Schaffen wir es den Klimawandel aufzuhalten – oder nicht? Zwei Standpunkte von Forschern der Goethe-Universität

Heute soll laut Plan die Weltklimakonferenz im ägyptischen Scharm el-Scheich zu Ende gehen, doch noch ringen die Regierungen der Welt um verbindliche Vereinbarungen und Maßnahmen, die die Erwärmung der Atmosphäre auf 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit begrenzen können.

Im Forschungsmagazin „Forschung Frankfurt“ der Goethe-Universität haben vor zwei Jahren Prof. Volker Mosbrugger und Prof. Joachim Curtius ihre Einschätzung gegeben, ob wir dieses im Pariser Klimaabkommen gesetzte Ziel erreichen oder nicht.

„Wir schaffen es nicht mehr“, meinte vor zwei Jahren Professor Volker Mosbrugger, damals Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und Professor am Institut für Geowissenschaften, „zumindest nicht innerhalb der Zielsetzungen des Pariser Abkommens.“

Der Atmosphärenforscher Prof. Joachim Curtius vom Institut für Atmosphäre und Umwelt sagte dagegen: „Ich bin Klima-Optimist“ und plädierte für einen realistischen Optimismus in dieser Frage.

Die Argumentationen der beiden Wissenschaftler sind zweifellos heute noch gültig und hier (Nein | Ja) nachzulesen.

Schaffen wir es, den Klimawandel aufzuhalten und die Erwärmung bei 1,5 Grad Celsius zu stoppen?

NEIN

Volker Mosbrugger (Foto: Michael Frank/Senckenberg)

Wir schaffen es nicht mehr, zumindest nicht innerhalb der Zielsetzungen des Pariser Abkommens – denn hier muss man differenzieren: Ohne Zweifel werden wir es schaffen, den Klimawandel aufzuhalten, aber eben erst oberhalb der erstrebten 2 Grad Celsius. Und genau aus diesem Grund sollten wir einerseits alles tun, um die globalen anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen so rasch als möglich zu reduzieren (Mitigation), aber wir sollten uns andererseits ebenso intensiv mit Anpassungsmaßnahmen (Adaptation) befassen.

Ich will beispielhaft nur vier Problemfelder nennen:

1. Das Trendproblem: Seit 1960 steigt die atmosphärische CO2-Konzentration kontinuierlich an, wir liegen heute je nach Saison zwischen 410 und 420 ppm (normal wären etwa 280 ppm), und man erkennt keinerlei Trendwechsel als Folge etwa der IPCC-Reports oder der internationalen Klimakonferenzen in Kopenhagen oder Paris. Es spricht nichts dafür, dass sich das in den nächsten 40 Jahren signifikant ändern wird.

2. Das Trittbrettfahrerproblem: Es ist ein zutiefst menschliches Phänomen: Wenn ein Gut (wie etwa die Atmosphäre) frei verfügbar ist, warum sollte gerade ich als Person oder Staat mich in dessen Nutzung einschränken, wo doch andere – entweder die größeren Verschmutzer der Atmosphäre oder aber die am stärksten vom Klimawandel Betroffenen – zunächst einmal mit gutem Beispiel vorangehen sollten? Auch hier gibt es keinerlei Hinweise, dass sich dieses TrittbrettfahrerProblem in der Staatengemeinschaft in näherer Zukunft auflösen wird.

3. Das Komplexitätsproblem: Das Klimaproblem ist sehr eng mit weiteren Nachhaltigkeitsproblemen verknüpft: Wir reden daher von einem Erdsystem, in dem die grundlegenden Komponenten Atmosphäre, Hydrosphäre, Biosphäre, Geosphäre eng miteinander verbunden sind. So stammt ein wesentlicher Teil der anthropogenen CO2-Emissionen aus der Verbrennung von Biomasse, also von Wäldern; als Folge des atmosphärischen CO2-Anstiegs kommt es zur Versauerung des Ozeans und zum Korallensterben. In diesem komplexen Wechselwirkungsnetz gibt es unendlich viele Zielkonflikte, die nur schwer zu lösen sind: Biodiesel ist gut für den Klimaschutz, aber schädlich für die Biodiversität, ein Climate Engineering (etwa die Einbringung großer Mengen an Schwefeldioxid in die Stratosphäre, um die solare Einstrahlung auf die Erde zu reduzieren) wie auch eine unterirdische »Endlagerung« von CO2 (»Carbon Capture and Storage«) wird aus Sicherheitsgründen von der (deutschen) Bevölkerung abgelehnt, eine klimatisch und ökologisch besser austarierte Landwirtschaft ist politisch nicht durchsetzbar. Diese Situation wird ebenfalls bleiben.

4. Das Verteilungsproblem: Im globalen Mittel beträgt der CO2-Ausstoß pro Kopf und Jahr derzeit rund 4,5 Tonnen. Dabei liegen etwa 3 Milliarden Menschen z.T. deutlich darüber (USA: ca. 15 Tonnen CO2 /Kopf/Jahr, Deutschland: ca. 8 Tonnen CO2 /Kopf/Jahr). 4 Milliarden Menschen stoßen derzeit weniger als 2 Tonnen CO2 /Kopf/Jahr aus (IEA-Daten von 2020; sie beziehen sich nur auf energiebezogene CO2-Emissionen). Dass sich bei dieser ungleichen Verteilung des CO2-Ausstoßes pro Kopf und Jahr und den oben geschilderten Problemen 1 – 3 das vom IPCC angestrebte Ziel von rund 2 Tonnen CO2 pro Jahr und Erdenbürger rechtzeitig erreichen lässt, ist doch sehr unwahrscheinlich.

Was in theoretischen Überlegungen und Modellen möglich ist, ist eben in der Praxis unendlich viel schwieriger. Dennoch ist es keine Frage: Es besteht größter Handlungsbedarf! Immerhin schätzen neueste Modellierungen, dass wir aufgrund des klimawandelbedingten Meeresspiegelanstiegs bis Ende dieses Jahrhunderts zwischen 150 und 630 Millionen Menschen umsiedeln müssen, je nach CO2 -Entwicklung. Wir sollten also intensiv nicht nur an der Mitigation, sondern auch an der Adaptation arbeiten.

Der Autor Volker Mosbrugger, Jahrgang 1953, studierte Biologie, Meeresbiologie und Chemie an der Universität Freiburg i.Br. und im französischen Montpellier und wurde 1983 in Freiburg mit einem paläontologischen Thema promoviert. 1989 habilitierte er sich an der Universität Bonn, war von 1990 bis 2005 Professor am Institut für Geowissenschaften der Universität Tübingen und wurde dann Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und Professor am Institut für Geowissenschaften der Goethe-Universität. Seine Hauptforschungsinteressen sind die Evolution und Konstruktionsmorphologie von Landpflanzen, die Evolution terrestrischer Ökosysteme und die terrestrische Paläoklimatologie. Dabei sind die Erforschung der Auswirkungen des Klimawandels und der damit verbundene Verlust an Biodiversität auf den Menschen sowie auf das System Erde sein größtes Anliegen. Prof. Mosbrugger hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft und die Ehrendoktorwürde der Universität Lyon.

JA

Joachim Curtius (Foto: Dettmar)

Ich bin Klima-Optimist. Der Klimawandel stellt uns vor eine gewaltige Herausforderung, eine echte Menschheitsaufgabe – und es braucht mehr als einen Herkules oder eine Greta Thunberg, um eine katastrophale Entwicklung zu verhindern, es braucht uns alle. Werden wir gemeinsam, wird unsere globale Gesellschaft diese Aufgabe meistern können?

Ich plädiere für einen realistischen Optimismus in dieser Frage. Nur mit Optimismus werden wir alle die Tatkraft und den inneren Antrieb aufbringen, allen Barrieren, Sachzwängen, Gewohnheiten, Bequemlichkeiten und inneren Schweinehunden zum Trotz, schnell genug umzusteuern. Und ich bin fest überzeugt: Wir können es schaffen!

Klimaschutz ist zur zentralen Aufgabe geworden: Was stimmt mich optimistisch? Ein paar Fakten: Großbritannien hat es geschafft, in nur zehn Jahren seine Treibhausgas- Emissionen zwischen 2010 und 2019 um 29 Prozent zu senken. China hat im Sommer 2020 erstmalig erklärt, das Land werde bis 2060 klimaneutral sein. Solarstrom ist inzwischen an vielen Standorten ohne jede Subvention günstiger als fossil hergestellter Strom. Auch in den Chefetagen der Wirtschaft wird Nachhaltigkeit inzwischen nicht mehr als lästige Nebensache angesehen, sondern als zentrale Aufgabe, die auch riesige Chancen für die Unternehmen mitbringt. Wer als Erster umweltgerechte, nachhaltige und klimaneutrale Konzepte, Technologien und Geschäftsideen bereitstellt, der wird belohnt – wer hingegen bei fossiler Technologie verharrt, wird die kommenden 20 Jahre nicht überstehen.

Enormer Anstieg des Wissens: Derzeit beruhen 80 Prozent der globalen Energieerzeugung auf fossilen Energieträgern und die globalen CO2-Emissionen sind in den letzten 30 Jahren um 63 Prozent angestiegen. Dies sind zwei Fakten, die mich pessimistisch stimmen. Aber in diesen 30 Jahren hat sich unser Wissen zum Klimawandel und den notwendigen Schutzmaßnahmen vervielfacht. Das Thema wird nun in allen Schichten der Gesellschaft ernst genommen, nicht nur unter Experten und Umweltaktivisten. Dank Pariser Abkommen ist mit dem 1,5-Grad- Celsius-Ziel ein vernünftiges Limit gesetzt, das von Fridays for Future überall mit Nachdruck eingefordert wird.

Wir spüren bereits die Folgen: Die schon lange vorhergesagten Folgen des Klimawandels treten immer häufiger und mit immer gravierenderen Schäden tatsächlich ein. Und dies nicht nur in weit entfernten Ländern, sondern wir beobachten horrende Waldschäden vor der Haustür und erleben Hitzewellen am eigenen Leib. Es ist uns klar, dass Waldbrände, wie sie dieses Jahr in Australien, Sibirien und Kalifornien wüteten, mit jedem weiteren Zehntelgrad an Erwärmung noch schlimmer zuschlagen werden. Unter diesem Eindruck wird es uns gelingen, das Wissen in Handeln umzusetzen.

Es gibt Instrumente: Die notwendigen Instrumente wurden in den vergangenen Jahren entwickelt: CO2-Preissysteme und ein Zertifikatehandel, der nun endlich funktioniert und Wirkung zeigt. Technische Lösungen, um Verbrennungsmotor, Kohlekraftwerk, Öl- und Gasheizung zu ersetzen, Nachhaltigkeitskonzepte für Verkehr und Landwirtschaft und v. a. die Bereitschaft in einer breiten Mehrheit der Bevölkerung, das Problem entschlossen anzugehen und sich gemeinsam die notwendigen Regeln aufzuerlegen, um die Emissionen zu senken. Es liegt immer noch ein weiter Weg vor uns und riesige Anstrengungen sind notwendig, aber ich bin überzeugt, dass in 20 bis 30 Jahren die Nutzung von fossiler Energie global ähnlich geächtet sein wird wie heute die Herstellung von FCKW.

Wer Kinder hat, der begreift die eigene Verantwortung. Wir müssen dafür sorgen, dass ihre Zukunft nicht durch unsere Übernutzung der Atmosphäre und der Biosphäre massiv beschränkt wird. Wir begreifen auch, dass sich die Zukunftsaussichten nicht auf den materiellen Wohlstand beschränken, sondern dass wir viel mehr tun müssen, um Artenvielfalt, Klima und Umwelt zu schützen.

Der Autor Joachim Curtius, Jahrgang 1969, studierte Physik an der Universität Heidelberg und fertigte seine Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg an, wo er über Schwefelsäure in der Atmosphäre und im Nachlauf von Düsenflugzeugen forschte. Nach einer Zeit als Postdoc in Heidelberg und am Aeronomy Laboratory der National Oceanic and Atmospheric Administration NOAA in Boulder (Colorado, USA) arbeitete er am Institut für Physik der Atmosphäre der Universität Mainz. 2007 wurde er als Professor für Experimentelle Atmosphärenforschung an das Institut für Atmosphäre und Umwelt der Goethe-Universität berufen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Erforschung von Aerosolen, Ionen, Eiskeimen und Spurengasen in der Atmosphäre, der Aerosol-Wolken-Wechselwirkungen, Flugzeugemissionen und Einflüssen von Aerosolpartikeln auf das Klima. Joachim Curtius ist Träger der Otto-Hahn-Medaille der Max-Planck-Gesellschaft und engagiert sich u. a. bei Scientists for Future.

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