Nachbericht zu argentinisch-deutscher Konferenz in Buenos Aires
Viele sozio-politische Innovationen treten heutzutage zuerst in Asien auf und greifen dann auf Lateinamerika über. Trotz aller Unterschiede weisen diese beiden Regionen im globalen Süden häufig gemeinsame politische und soziale Dynamiken auf. Allerdings behindern die schiere Distanz, Prioritätensetzung und mangelnde Forschungsförderung in Lateinamerika das Studium von Asien. Daher organisierten die Politologen Dr. Kerstin Duell von der Goethe-Universität und Prof. Dr. Fernando Pedrosa von der Universidad de Buenos Aires im November 2023 eine von der Fritz Thyssen Stiftung geförderte Konferenz. Gastgeberin in Buenos Aires war die Grupo de Estudios sobre Asia y América Latina (GESAAL), die größte Gruppe für Asienstudien in Argentinien und eine der renommiertesten in Lateinamerika.
Elf Wissenschaftler aus Lateinamerika analysierten zusammen mit dem Spanier Dr. Daniel Gomà und Dr. Duell das Wachstum autokratischer Diskurse und Macht in beiden Regionen und ihre Auswirkungen auf Europa. Diskutiert wurden Fragen im Zusammenhang mit autokratischen Prozessen wie dem Einfluss der Großmachtstrategien Chinas, der USA und Russlands sowie zentrale Themen, die in Studien zu Regimewechsel und der Autokratieforschung allgemein noch nicht in vollem Umfang berücksichtigt worden sind – zum Beispiel Extraktivismus oder die Konsolidierung von Religionen im Kontext von Regimewechsel. Einige Teilnehmer der Konferenz betonten auch die Rolle endemischer politischer Gewalt und von Menschenrechtsverletzungen im Wechselspiel zwischen Repression, Mobilisierung und Demobilisierung.
Gerade im aktuellen, sogenannten „asiatischen Zeitalter“ sind die verschiedenen autoritären Strömungen in Asien besorgniserregend. Andererseits mobilisieren sich dort gerade sehr viele Menschen, angeführt von der Generation Z, gegen alte und neue Diktatoren, sowie – zunehmend explizit – gegen deren Unterstützung aus China. Protestbewegungen u. a. in Hongkong und Thailand sowie der breite Widerstand der Bevölkerung Myanmars gegen die menschenverachtende Militärdiktatur dokumentieren das sehr eindrücklich. Auch die jährliche Umfrage des renommierten Singapurer Thinktanks Institute of Southeast Asian Studies (ISEAS) spiegelte klar die Sorge vieler Südostasiaten über die wachsende Einflussnahme Pekings in ihren jeweiligen Ländern wider. In dieser globalen Lage suchen einige Länder Lateinamerikas nach Strategien, um Abhängigkeiten, die sich aus ihren Beziehungen zu chinesischen Staatsunternehmen ergeben haben, zu vermindern oder zu durchbrechen. Gleichzeitig gilt es ganz allgemein, Asiens globale Bedeutung auch über China hinaus wissenschaftlich zu analysieren und dadurch besser zu verstehen. Zu diesem Thema organisierte der argentinische Thinktank für Internationale Beziehungen, Consejo Argentino para las Relaciones Internacionales (CARI), einen separaten Vortrag von Dr. Duell, in dem sie südostasiatische Strategien vis-à-vis China darlegte. Die deutsche Politologin wurde bereits 2021/2022 von verschiedenen Forschungseinrichtungen in Argentinien und Chile zu Asien-bezogenen Vorträgen eingeladen.
Dr. Kerstin Duell hat über 20 Jahre in Südostasien und Indien gelebt, in Singapur promoviert und in der Region mit Schwerpunkt auf transnationalem Aktivismus und politischer Diaspora geforscht. In der Entwicklungspolitik arbeitet sie zu menschlicher Sicherheit im Brennpunkt autoritärer Systeme vor allem zu Themen der Menschenrechte, Migration, Genderforschung und der transnational organisierten Kriminalität. Dabei lernte sie aus erster Hand, wie man als Forscherin sich und seine Interview- oder Projektpartnerinnen in Situationen von Überwachung und Repression schützt – ob in Grenzgebieten, unter Flüchtlingen oder politischen Exilanten. Seit 2022 verstärkt Duell das Team der Abteilung Tropenmedizin und Global Health im Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Goethe-Universität im Bereich der interdisziplinären naturwissenschaftlichen Friedens- und Konfliktforschung.