Die Studentische Poliklinik der Goethe-Universität im Gesundheitsamt der Stadt Frankfurt hat im Juni ihr zehnjähriges Bestehen gefeiert. Bei der Jubiläumsfeier wurde deutlich: Diese Initiative hat vielen Menschen geholfen – sowohl den Patienten als auch den angehenden Medizinerinnen und Medizinern.
Ein solches Wahlpflichtfach hätte sich Prof. Robert Sader als Student auch gewünscht: „Zu meiner Studienzeit vor 40 Jahren war die medizinische Lehre extrem theorielastig, und richtigen Patientenkontakt hatten wir erst im Praktischen Jahr“, erinnert sich der Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie am Universitätsklinikum Frankfurt in einem Interview zum Jubiläum. Die Idee, dass der Fachbereich Medizin sich in die Versorgung Bedürftiger einbringen könnte, hatte der Frankfurter Anatom Prof. Helmut Wicht. Sader, damals Studiendekan, griff sie auf und entwickelte sie gemeinsam mit Studierenden weiter. Nachdem – auch mithilfe des Frankfurter Gesundheitsamtes – so manche Hürde beseitigt werden konnte, ging die Studentische Poliklinik am 17. Juni 2014 als bundesweit erstes Angebot dieser Art in Betrieb. Seither wurde hier vielen Patientinnen und Patienten geholfen, die mangels Krankenversicherung nur im Akutfall Anspruch auf ärztliche Versorgung haben. Für die Studierenden bietet die StuPoli die Möglichkeit, sich schon im Studium unter Aufsicht ärztlich betätigen zu können. Eine besondere Bestätigung für das Projekt: 2017 zeichnete Boris Rhein, damals Wissenschaftsminister, die StuPoli mit dem Hessischen Hochschulpreis für Exzellenz in der Lehre aus, der mit 60 000 Euro dotiert war.
Wertvoller Perspektivwechsel
„Diese Erfahrung sollte eigentlich jeder angehende Mediziner machen“, sagte Studiendekanin Prof. Miriam Rüsseler bei der Jubiläumsfeier im Gesundheitsministerium. Als Professorin für Medizindidaktik und klinische Simulation sehe sie im Angebot der StuPoli einen „unglaublichen Schritt, der das Studium enorm verändert“ habe. Der hier erfahrbare Perspektivwechsel sei besonders wertvoll: Die Studierenden erlebten nicht nur das Bewusstsein eigenverantwortlichen Arbeitens, sondern auch sich selbst in einer ungewohnten Umgebung.
„Dass die Studentinnen und Studenten bereits während des Medizinstudiums viele unterschiedliche praktische Erfahrungen sammeln können, ist ein Gewinn für die Menschen in Frankfurt, für die Patientinnen und Patienten sowie natürlich für die Studenten und Studentinnen. Vielen Dank für zehn Jahre Stupoli. Es ist ein bemerkenswertes Projekt“, würdigte PD Dr. Peter Tinnemann, Amtsleiter des Gesundheitsamtes Frankfurt, die studentische Einrichtung. Elke Voitl, Frankfurts Dezernentin für Soziales und Gesundheit, stellte die Studentische Poliklinik in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang: Gesundheit sei die Voraussetzung für Teilhabe. Indem die StuPoli sich – ebenso wie die Humanitäre Sprechstunde der Stadt Frankfurt – um Menschen ohne Krankenversicherung kümmere, leiste sie einen wichtigen Beitrag zur Demokratie. „Ohne diese Angebote wäre unsere Stadt weniger human“, so Voitl.
Student-run Free Clinics als Vorbild
In einer von den Studierenden PetraSporerova und Léon Lück charmant moderierten Talkrunde blickte man gemeinsam zurück in die Gründungszeit. Dr. Dr. Lukas Seifert, einer der studentischen Initiatoren, erinnerte sich an zahlreiche Treffen im Apfelweinlokal, wie sie bis heute Tradition sind. Hier sei die Idee für eine bürgernahe Sprechstunde entstanden. In Europa habe es damals nichts Vergleichbares gegeben. Die amerikanischen Student-run Free Clinics dienten als Vorbild, eine studentische Delegation machte sich u.a. in Harvard ein Bild von Ablauf und Organisation. Auf dem Weg zur Realisierung der StuPoli habe es vor allem zwei Hürden gegeben, schilderte Prof. Sader, der im Jahr 2004 von Basel nach Frankfurt gewechselt war: Zum einen die versicherungsrechtliche Problematik – sie sei gelöst worden, indem das Gesundheitsamt zur akademischen Lehreinrichtung der Universität akkreditiert, das klinische Wahlfach der StuPoli entwickelt und im Studium implementiert wurde. Zum anderen gestaltete sich die Suche nach Räumlichkeiten schwierig, aber auch dieses Problem wurde mithilfe des Gesundheitsamtes gelöst. Sader betonte die Bedeutung der StuPoli für die Persönlichkeitsentwicklung der künftigen Ärztinnen und Ärzte. Es sei nicht wahr, dass die Generation Z faul und für nichts zu begeistern sei: „Manchmal braucht es nur ein kleines Streichholz für ein großes Feuer.“ Nach und nach, so berichtete Ex-Student Lukas Seifert, habe man auch andere Bereiche einbezogen wie Studierende der Sozialen Arbeit und Psychotherapeuten. Er selbst arbeite zwar inzwischen als Chirurg, die Menschlichkeit habe er aber aus der StuPoli mitgenommen.
Ärztliche Begleiterin der 1. Stunde
Von Beginn an als ärztliche Supervisorin dabei ist Dr. Petra Tiarks-Jungk. Sie leitete die Humanitäre Sprechstunde und gab den ersten StuPoli-Studierenden die Gelegenheit, dort zu hospitieren. Ihre Skepsis in Bezug auf die Qualität der studentischen Medizinkenntnisse sei rasch verflogen, berichtete sie im Gespräch mit Lück und Sporerova: Von deren Engagement und Versiertheit sei sie „hellauf begeistert“ gewesen. Deshalb habe sie die StuPoli gern als ärztliche Supervisorin unterstützt und tue das auch heute noch – nach dem aktiven Berufsleben. „Frau Dr. Tiarks-Jungk hat mir die Angst genommen, dass ich etwas falsch machen könnte“, bescheinigte ihr Studentin Sporerova, die schon ganz zu Beginn ihres Studiums in der StuPoli mithalf.
Dort treffen die Studierenden nicht unvorbereitet auf Patienten. Erst nach einem Semester und einem erfolgreich absolvierten Untersuchungskurs und Fallseminaren können sie praktisch in der StuPoli arbeiten – begleitet von einem „Senior“, also einem älteren Semester, und unter ärztlicher Supervision. Die Sprechstunden der Studentischen Poliklinik finden dienstags von 17 bis 19 Uhr und mittwochs von 18 bis 20 Uhr statt. Jeweils zwei Teams aus zwei Studierenden – ein Junior und ein Senior – untersuchen die Patienten, stellen die Anamnese, nehmen Blut ab oder machen einen Ultraschall. Oft geht es um akute Leiden, aber auch chronische Erkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck kommen vor. Robert Sader zufolge haben sich nicht wenige StuPoli-Engagierte für eine Tätigkeit in einer Hausarztpraxis entschieden. „Durch meine Mitarbeit in der StuPoli ist mein Interesse an der Allgemeinmedizin gestärkt worden“, bestätigt Petra Sporerova vom aktuellen StuPoli-Team. „Es macht viel Freude, den Patienten helfen zu können. Man erhält so viel Dankbarkeit zurück“, so die Medizinstudentin.
Anke Sauter