Glasübergänge von Elektronen in molekularen Metallen entdeckt

Gläser sind den Menschen seit Jahrtausenden bekannt. Der Prozess der Glasbildung zählt aber bis heute zu den großen Rätseln der Festkörperphysik. In der aktuellen Ausgabe von „Science“ zeigen Forscher der Goethe-Universität in Kooperation mit japanischen Kollegen an einem neuartigen molekularen Metall, dass glasartige Phänomene universeller Natur sind.

Die Glasproduktion umfasst nicht nur die aus dem Alltag bekannten Silikat-Gläser, sondern auch metallische Gläser und plastische oder Orientierungsgläser aus organischen Molekülen wie Glycerol und Glukose. Gemeinsam ist diesen strukturellen Gläsern, dass sie auf atomarer oder molekularer Ebene eine ungeordnete, amorphe Struktur aufweisen. Analog dazu kennt man Spin-Gläser. Hier bezieht sich die Bezeichnung auf die gemeinsame Ausrichtung der magnetischen Momente, die keine Fernordnung, sondern lediglich eine Nahordnung besitzen.

Campus Riedberg, Physik-Gebäude

Experimentell ist die Glasbildung oftmals schwer zugänglich, weil sich die ungeordneten Strukturen über sehr lange Zeiträume und in großen Temperaturbereichen umlagern. „Das von uns entdeckte Quanten-System erlaubt es nun, die allen Gläsern eigene langsame Dynamik und die allgemeinen Prinzipien von Flüssigkeit-zu-Glas-Übergängen vergleichsweise einfach zu untersuchen“, erklärt Prof. Jens Müller vom Physikalischen Institut der Goethe-Universität, der das Material im Rahmen einer Gast-Professur am „Institute for Materials Research“ der japanischen Tohoku Universität in Sendai erforschte.

Müller und seinen japanischen Kollegen ist es gelungen, die Bewegung von Elektronen in niedrigdimensionalen organischen Metallen in einen glasartigen Zustand einzufrieren. Aufgrund der starken elektrischen Abstoßung zwischen den Elektronen geht das System bei tiefen Temperaturen von einem metallischen in einen isolierenden Zustand über. Die zuvor als Ladungsflüssigkeit über den gesamten Kristall verteilten Elektronen ordnen sich dann regelmäßig auf dem zugrunde liegenden Kristallgitter an. Die Forscher sprechen von einem Elektronen- oder Ladungskristall.

Wenn man Systeme mit einer besonderen Symmetrie der Kristallstruktur hingegen schnell abkühlt, entsteht ein Elektronenglas-Zustand, wobei die Ladungen ungeordnet auf dem Kristallgitter einfrieren. Zur Überraschung der Wissenschaftler folgen sowohl dieser Glasübergang als auch die damit konkurrierende Kristallisation der Elektronen den gleichen Gesetzen wie die konventionellen strukturellen Gläser. Das spricht für die universelle Natur glasartiger Phänomene.

Für die Erforschung von Glasübergängen bringt diese Entdeckung große experimentelle Vorteile. In strukturellen Gläsern wie Glycerol oder Glukose müsste man zum Beispiel die relevanten flüssigen und festen Volumenanteile aufwendig mittels hydrodynamischer Strömung messen, während man bei den neu entdeckten molekularen Metallen einfach den elektrischen Widerstand messen kann, eine Standard-Methode der experimentellen Festkörperphysik. Zudem sind die Temperatur- und Zeitskalen in den molekularen Metallen vergleichsweise kurz und damit bequem zu messen. „Unsere Erkenntnisse eröffnen eine neue Sichtweise auf viele glasartige Phänomene: die Dynamik, Alterungsprozesse, Memory-Effekte, kooperatives Verhalten und die immer noch ungeklärte Frage, ob einem Glasübergang ein wahrer, thermodynamischer Phasenübergang zugrunde liegt, oder nicht“, erklärt Jens Müller die Bedeutung der Ergebnisse.

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Publikation: S. Sasaki, K. Hashimoto et al., Crystallization and vitrification of electrons in a glass-forming charge liquid, in: Science 29 Sep 2017: Vol. 357, Issue 6358, pp. 1381-1385. DOI: 10.1126/science.aal3120

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