Die Grundlagenforschung in afrikanischen Staaten zu stärken, das ist das Ziel der neuen Postgraduiertenakademie in der malischen Stadt Bamako – insbesondere im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Einrichtung, die von der Gerda Henkel Stiftung finanziert und von Wissenschaftlern aus Frankfurt und Mali konzipiert wurde, ist am 2. März 2020 feierlich eröffnet worden.
Trotz großer Fortschritte finden die frankophonen afrikanischen Länder weltweit noch wenig Beachtung in der globalen Wissensproduktion. Insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaften orientiert man sich stark am Problemlösungsbedarf von Politik und Entwicklungsindustrie – auf Kosten des Weiterentwicklungspotenzials der Fächer. „In politisch orientierten Diskursen steht die Wissenschaft in der Pflicht, Lösungen für menschliche Probleme zu liefern, und der praktische Nutzen wird zum Messstandard für die Feststellung der Gültigkeit von Wissen“, beschrieb Prof. Elisio Macamo von der Universität Basel, einer der beiden Gründungsdirektoren, die Situation bei der Eröffnung. Tatsächlich laufe die Debatte darüber, inwieweit die Wissenschaft gefordert ist, relevantes Wissen zu produzieren, auf ein Dilemma hinaus, das die Diskussion äußerst schwierig gemacht habe. „Die Wissenschaftler stecken besonders in Afrika in einer Zwickmühle zwischen der Vermittlung nützlichen Wissens bei gleichzeitiger Verwässerung wissenschaftlicher Standards einerseits und der Aufrechterhaltung wissenschaftlicher Standards bei gleichzeitigem Risiko der Irrelevanz andererseits“, so Macamo.
Welche Rolle spielt Grundlagenforschung in den Sozial- und Humanwissenschaften in einem Kontext, der im öffentlichen Bewusstsein vor allem durch „scheinbar offensichtliche Problemlagen“ gekennzeichnet ist, die es mit Hilfe des an den Universitäten erlernten wissenschaftlichen Repertoire zu lösen gelte, fragte auch Prof. Mamadou Diawara vom Institut für Ethnologie der Goethe-Universität, der die neue Akademie gemeinsam mit Macamo und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Mali gegründet hat. Die konzeptuelle und methodische Weiterentwicklung der Disziplinen selbst bleibe dabei oft auf der Strecke. Es sei jedoch von größter Wichtigkeit, die Probleme grundlegend zu verstehen und die richtigen Fragen zu formulieren. Dies sei leider alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Das Übermaß an „angewandter Forschung“ im Dienst der Entwicklungspolitik führe dazu, so die Wissenschaftler, dass Afrika in der globalen Wissensproduktion immer weiter zurückfalle, was sich besonders im frankophonen Afrika zeigt, das im Zentrum des Projektes steht.
Die „Pilote African Postgraduate Academy (PAPA)“, die von Goethe-Universität, Universität Basel und Forschungszentrum Point Sud in Bamako entwickelt wurde, versteht sich jedoch ausdrücklich nicht als dekoloniales Projekt. „Wir sind nicht auf der Suche nach einer afrikanischen Wissenschaft, die alles anders macht als die sogenannte europäisch geprägte Wissenschaft. Wir wollen das wissenschaftliche Vokabular vielmehr von solchen gedanklichen Korsetten befreien“, führte Macamo aus. PAPA soll die Grundlagenforschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften stärken. Fünfzehn Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus acht Ländern nahmen nach der Eröffnung ihre Forschungsarbeit auf. Die wissenschaftliche Leitung haben Prof. Mamadou Diawara und Prof. Elisio Macamo inne. Das Ausbildungsprogramm der Akademie soll die Stipendiaten ermutigen, sich in einem kritischen Dialog mit ihren Disziplinen, den Area Studies und ihrer Identität als Wissenschaftler mit grundlegenden epistemologischen Fragen auseinanderzusetzen. Nach Abschluss des dreijährigen PAPA-Zyklus sollen die sorgfältig ausgewählten jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an ihren Heimatinstitutionen auf einem neuen Niveau lehren und veröffentlichen. Zweimal im Jahr soll es zweiwöchige Workshops in Bamako geben, an denen fünfzehn ausgewählte Nachwuchswissenschaftler und bis zu vier etablierte Wissenschaftler in Bamako teilnehmen. Ein Mentoring-Programm soll hochrangige Forscher und Preisträger an ihren Heimatinstitutionen zusammenbringen. Zudem soll ein starkes Netzwerk entstehen, das Wissenschaftlern und Dozenten aus frankophonen afrikanischen Ländern, die innerhalb und außerhalb Afrikas leben, für Austausch und gemeinsame Projekte zur Verfügung steht. Das Projekt wird von der Gerda Henkel Stiftung für die ersten drei Jahre gefördert.
Feierlich eröffnet wurde die Veranstaltung vom malischen Minister für Bildung und Forschung, Prof. Mamadou Famanta, und dem Deutschen Botschafter in Mali, Dr. Dr. Dietrich Fritz Reinhold Pohl. Den Festvortrag hielt der renommierte senegalesische Philosophieprofessor Prof. Souleymane Bachir Diagne von der Columbia University, New York zum Thema „La question de l’Universel et les Etudes Postcoloniales“. Auch Diagne wandte sich gegen die Radikalität von Post- und Dekolonialisten: „Natürlich sollen wir die koloniale Bibliothek nicht verbrennen, sondern nutzen und kritisieren.“ Er sprach sich gegen eine „Erfahrungswissenschaft“ aus, in der Forschungen über bestimmte Bevölkerungsschichten nur noch von dieser selbst durchgeführt werden können, da alle anderen angeblich keine Vorstellung von deren Lebenswirklichkeit haben können. „Die Vorstellung, dass die Alltagsprobleme schwarzer Frauen ausschließlich von schwarzen Frauen untersucht werden können, ist absurd. Mit so einem Vorgehen ist die Wissenschaft schnell am Ende“, so Diagne. Mit seinem brillanten Vortrag und einer mehr als einstündigen Diskussion mit den Fellows endete die Eröffnungsfeier.
Am Nachmittag ging es dann ins Forschungszentrum Point Sud, das seit 2012 von der Goethe-Universität im Rahmen eines DFG-Programms finanziert wird. Hier lernten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die dort arbeitenden Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler kennen. Abends wurde der Projektstart bei traditioneller Kora-Musik gefeiert.
Weitere Informationen zum PAPA-Projekt und den ausgewählten Stipendiatinnen und Stipendiaten finden Sie auf der Webseite von Point Sud und auf der Webseite der Gerda Henkel Stiftung sowie im Webmagazin der Goethe-Universität.
Quelle: Pressemitteilung vom 4. März 2020