Noch nicht in voller Blüte

Wann pflanzliche Medikamente helfen könnten

Pflanzliche Arzneimittel haben nichts mit Homöopathie oder ­Nahrungsergänzung zu tun. Und doch unterscheiden sie sich von herkömmlichen Medikamenten. Beatrice Bachmeier erforscht, welche Rolle sie im Gesundheitssystem einnehmen können. Dabei muss sie auch verbreitete Skepsis überwinden.

Die Blüten der Königskerze (Verbascum densiflorum) werden häufig Hustentees beigemischt, weil sie als reizstillend und schleimlösend gelten. Foto: Uwe Dettmar

Erst neulich ist es wieder geschehen, bei einem Vortrag, den Beatrice Bachmeier an der Universität hielt. Es ging um das Thema »Gesund bis ins hohe Alter«, eine ihrer Mit­arbeiterinnen saß in den hinteren Reihen und lauschte Bachmeiers Ausführungen. Als die Professorin für Arzneimittel-Versorgungsforschung am Institut für Pharmazeutische Biologie begann, über die Möglichkeiten pflanzlicher Arzneimittel zu reden, hätten nicht wenige der Zuhörer, so erzählte es die Kollegin später, angefangen, die Augen zu rollen und die Köpfe zu schütteln. Dazu Tuscheleien: Homöopathie dürfe man auf keinen Fall unterstützen, alles Humbug, Quacksalberei.

Bachmeier kennt solche Reaktionen zwar schon, und doch machen sie sie betroffen bis ärgerlich. »Die haben das gar nicht verstanden, dass ich über pflanzliche Arzneimittel rede. Ich habe das Wort Homöopathie überhaupt nicht in den Mund genommen«, sagt die studierte Chemikerin. »Es passiert irgendwas in den Köpfen: Man sagt ›pflanzliche Arzneimittel‹ und viele Menschen assoziieren das sofort mit Homöopathie. Und da muss man unbedingt was machen. Das ist das allerschlimmste Missverstehen.«

Denn, um das gleich zu Beginn klarzu­stellen: Pflanzliche Medikamente haben nichts mit Homöopathie zu tun. Und auch nicht mit Nahrungsergänzungsmitteln – auch zu dieser Gruppe werden sie fälschlicherweise mitunter gerechnet.

Was pflanzliche Medikamente genau sind, ist einerseits leicht zu beantworten, denn das Arzneimittelgesetz regelt dies ziemlich genau. Es handelt sich um Arzneimittel, die als Wirkstoff ausschließlich pflanzliche Stoffe wie etwa Blätter, Blüten oder Wurzeln oder pflanzliche Zubereitungen (Tinkturen, Säfte) enthalten, mindestens einen, manchmal auch mehrere. Sie dürfen keine tierischen oder synthetischen Zusatzstoffe enthalten. Und sie müssen dafür vorgesehen sein, bestimmte Krankheiten, Schäden oder Beschwerden zu heilen, zu lindern oder solchen vorzubeugen.

Für Laien kaum zu unterscheiden

Der Wirkstoff Cyclosporin A stammt aus dem norwegischen Schlauchpilz Tolypocladium inflatum. Er unterdrückt die Immunabwehr und wird unter anderem nach Organtrans­plantationen verabreicht. Bild: Yikrazuul, Public domain, via Wikimedia Commons

Doch es gibt ein Andererseits. Denn zwar ist genau geregelt, was ein pflanzliches Medikament ist und damit auch, was es von Homöopathie oder Nahrungsergänzungsmitteln abgrenzt. Doch für Laien ist das, wenn sie Apotheke oder Drogerie betreten, gar nicht leicht zu erkennen. So gibt es Baldrian-Hopfen-Präparate für besseren Schlaf einmal als pflanzliches Arzneimittel, aber auch als Nahrungsergänzungsmittel. Man bekommt die Präparate in der Apotheke oder in der Drogerie. Nicht selten stehen sie neben­einander im Regal. »Es ist wirklich nicht leicht zu erkennen. Es gibt apothekenpflichtig und nicht apothekenpflichtig, rezeptpflichtig und nicht rezeptpflichtig«, sagt Bachmeier. »Wie man es gut erkennt: Wenn es sich um ein ­pflanzliches Arzneimittel handelt, dann steht auch ›pflanz­liches Arzneimittel‹ drauf. Das muss so sein.«

Und was unterscheidet es nun, mal abge­sehen von der synthetischen Herstellung, von herkömmlichen Medikamenten? »Ein pflan­z­liches Arzneimittel ist Fluch und Segen, weil es meistens an mehreren Stellen wirkt. Manche sprechen von ›schmutzigen Medikamenten‹, von ›Dirty Drugs‹, weil man gar nicht so genau weiß, wo es überall wirkt«, sagt Bachmeier.

Normale Medikamente hingegen werden exakt für die Zielregion optimiert, an der sie binden und wirken sollen. Typischerweise untersucht man erst den Pathomechanismus der Erkrankung und entwirft dann das Medikament.

Verbreitete Vorurteile

Daraus ergeben sich dann ein paar Unterschiede zwischen den beiden Medikamentenformen. Die Wirksamkeit, die Nebenwirkungen, auch welche Erkrankungen behandelt werden – zumindest kursieren diese Aussagen im Internet. Doch was davon stimmt?

Behauptung eins: Normale Medikamente wirken schnell, pflanzliche hingegen verzögert. Bachmeier sagt dazu: »Die Wirksamkeit ist ganz unterschiedlich. Wenn das Molekül bei einem herkömmlichen Medikament zielgerichtet an sein Target geht, kann das schon einen schnelleren Effekt haben. Bei pflanzlichen Arzneimitteln kann man es nicht pauschal sagen, manche wirken innerhalb weniger Stunden, andere brauchen Tage bis Wochen, bis sie ihre Wirkung voll entfalten.«

Behauptung zwei: Pflanzliche Medikamente haben im Vergleich eine schwächere, eine sanftere Wirkung. Bachmeier: »Ja, das sagt man immer so. Aber die pflanzliche Arznei kann auch nicht so sanft sein. Alles, was eine pharma­kologische Wirkung hat, kann auch Nebenwirkungen haben. Die schlimmsten Gifte kommen ebenso aus der Natur wie sehr potente Arzneimittel. Cyclosporin A wird zum Beispiel aus einem Pilz gewonnen und bei Organtrans­plantation als Immunsuppressivum genutzt. Da würde niemand sagen, dass ein synthetisches Medikament potenter sei.«

Behauptung drei: Die richtige Dosierung hinzubekommen, fällt bei herkömmlichen Medikamenten leichter. Bachmeier: »Ja, das stimmt. Wobei man das auch einschränken muss. Denn klinische Studien zu synthetischen Medikamenten werden oft nur hauptsächlich mit Männern durchgeführt, und deswegen weiß man oft gar nicht so genau, was die richtige Dosierung für Frauen oder Kinder ist.«

Antibiotika vermeiden

Pflanzliche Medikamente lassen sich also in der Tat nicht eins zu eins mit synthetischen vergleichen. Aber vielleicht müssen sie das auch gar nicht. Vielleicht könnten sie in der Gesundheitsversorgung einfach eine andere, eine ergänzende Rolle einnehmen.

Noch ein Beispiel sind unkomplizierte ­Blasenentzündungen. Hauptsächlich sind davon Frauen betroffen, meist lösen Bakterien die Erkrankung aus, und in der Regel verschreiben Ärztinnen zur Behandlung Antibiotika. »Frauen spüren eine Blasenentzündung meist schon sehr früh«, sagt Bachmeier. »Wenn sie dann gleich anfangen würden, ein bestimmtes pflanzliches Arzneimittel zu nehmen, bevor es schlimmer wird, bräuchten sie vielleicht das Antibiotikum nicht.«

Das hätte gleich mehrere positive Effekte. Zum einen hilft jedes Antibiotikum, das weniger verschrieben und genommen wird, gegen die zunehmend zum Problem werdende Bildung von Resistenzen. Je häufiger ein Antibiotikum eingenommen wird, desto eher werden bakterielle Erreger resistent gegen seine Wirkung und es braucht immer neue Antibiotika, um die antibakterielle Wirkung zu erzielen (siehe auch »Resistente im Visier« ). Zum anderen würde es der Umwelt helfen, wenn weniger Antibiotika im Umlauf sind. Denn einerseits müssen sie produziert werden und diese Produktion ist weniger umweltfreundlich als bei pflanzlichen Medikamenten, sagt Bachmeier. Und andererseits gelangen sie über Abwässer in die Umwelt, in Seen und Flüsse bis ins Grundwasser. »Ich bin kein Freund davon, dass man lebensbedrohliche Erkrankungen mit pflanzlichen Arzneimitteln behandelt«, sagt Bachmeier. »Aber pflanzliche Arzneimittel können schon, wenn man sie geschickt einsetzt, einen guten Beitrag in der Versorgung leisten.«

In der Realität haben sie jedoch keine Chance dies zu tun, weil es viel zu wenig Forschung gebe und sie deshalb zu wenig eingesetzt werden, sagt Bachmeier. Es müsste viel mehr Erkenntnisse über die Wirksamkeit, die Nebenwirkungen und über die Wechselwirkungen mit anderen Wirkstoffen geben.

Studien zur Wirksamkeit

Doch die Forschung mit pflanzlichen Medikamenten ist eine besondere Herausforderung. Herkömmliche Arzneimittel wirken zielgerichtet und bewirken oft eine Veränderung eines Markers im Serum oder einer anderen im Labor leicht messbaren Größe. Pflanzen können auf vielfältige Weise wirken. Ein Zusammenspiel dieser verschiedenen möglichen Mechanismen verursacht dann einen therapeutischen Effekt. Aufgrund dieser vielschichtigen Wirkung ist es jedoch bislang nicht gelungen, einen einfach messbaren Labormarker zu entwickeln, der Auskunft gibt über die Wirksamkeit im Patienten.

Bachmeier geht daher gerade einen anderen Weg: Sie will Patientendaten auswerten und Patienten befragen, um so zu erkennen, ob ein pflanzliches Arzneimittel wirkt oder nicht. Denn sie merken schon selbst, ob es ihnen besser gehe oder nicht. »Der Patient kommt ja nicht zum Arzt und sagt, ›ich habe einen hohen Brain-­natriuretic-Peptide-Wert‹ oder ›mein CRP ist hoch‹. Der sagt, dass er hier oder da Schmerzen hat«, so Bachmeier. »Und im Laufe einer Therapie kann er ganz gut einschätzen, ob sich die Beschwerden bessern.«

Ob Goldrute (Solidago virgaurea, oben) oder Mönchs­pfeffer (Vitex agnus-castus, unten) Frauen mit Zystitis oder Menstruationsbeschwerden helfen, will eine Umfrage unter den Betroffenen aufklären. Fotos: (oben) Nele Bößneck, (unten) Markus Bernards

Diese Einschätzung will Bachmeier nun erfassen und auswerten. Ein paar solcher Studien und Befragungen gibt es bereits, deren Ergebnisse Bachmeier und ihr Team auswerten können. Doch sie führt auch selbst gerade eine Befragung durch, um eigene Daten zu erheben.

Dazu hat sie mit ihrem Team zwei Online-Befragungen zum Thema gynäkologische Beschwerden entwickelt. Ein Fragebogen richtet sich an Patientinnen, und der andere an Personen aus der Versorgung wie Ärztinnen, Arzthelfer oder Apotheker. Bachmeier will wissen, wie die Anwendungsrealität von Medikamenten, ins­besondere von pflanzlichen Arzneimitteln in Deutschland aussieht. Welche Arzneimittel werden bevorzugt? Wie ist das Vertrauen in pflanzliche Arzneimittel? Wie ist die Wirksamkeit? Was sind die Barrieren? Sind sie zu teuer? Was wissen die Profis über die Medikamente? Haben sie Bedenken? Welche? Erste Ergebnisse aus einer Pilotstudie von über 300 Befragten liegen bereits vor, die Umfrage startet jedoch erst jetzt so richtig.

Eigene Auswertungen aus einer pharmakoepidemiologischen Datenbank hatten im Vorfeld bereits gezeigt: »Frauen mit Menstrua­tions­problemen profitieren sehr stark vom Mönchspfeffer. Frauen mit Wechseljahresbeschwerden profitieren sehr stark von Traubensilberkerze. Und Frauen mit unkomplizierter Zystitis profitieren sehr stark von Bärentraube und Goldrute«, sagt Bachmeier. »Die allerwenigsten, so um die zwei bis fünf Prozent, haben keine Wirkung durch pflanzliche Medikamente festgestellt. Die meisten aber, über 70 Prozent, haben angegeben, dass die pflanzlichen Medikamente ihnen ›sehr gut‹ oder ›gut‹ geholfen haben.«

Es sind Erkenntnisse wie diese, die langfristig dazu beitragen könnten, dass pflanzliche Medikamente einen ergänzenden oder präventiven Einsatz in der Gesundheitsversorgung finden können. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Trotzdem sollte es das Ziel sein, diesen Weg zu gehen, findet Beatrice Bachmeier. Denn: »Wenn wir das bestmögliche Versorgungssystem erreichen möchten, sollten wir auch den ganzen Werkzeugkasten medikamentöser Therapien ausschöpfen, der uns zur Verfügung steht.«

Photo: private

Zur Person / Beatrice Bachmeier arbeitete nach Studium, Promotion und Habilitation an der LMU München als Wissenschaftlerin im In-und Ausland. Im Labor erforschte sie Stoffe, die das Wachstum von Tumor­zellen beeinflussen. Ein Kollege fragte sie, ob sie nicht testen wolle, ob Curcumin wachstumshemmend wirke, und so begann sie, die Wirkmechanismen pflanz­licher Inhaltsstoffe zu untersuchen. Danach verlegte sie ihren Forschungsschwerpunkt auf die Wirksamkeit therapeutischer Interventionen in der realen Welt des Praxisalltags. Im Juli 2021 wechselte sie von der TU München an die Goethe-Universität, wo sie seither die Professur für Arzneimittel­versorgungsforschung innehat.
b.bachmeier@em.uni-frankfurt.de

Foto: Luise Aedtner

Der Autor / Jan Schwenkenbecher ist freier Wissenschafts­journalist und lebt im Rhein-Main-Gebiet. Er hat in Gießen und Mainz Psychologie studiert und danach im Volontariat bei der Süddeutschen Zeitung das journalistische Handwerk gelernt.
jan.schwenkenbecher@posteo.de

Zur gesamten Ausgabe von Forschung Frankfurt 1/2024: Vom Molekül zum Menschen

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