Der Biologe Jens Amendt sucht für das Institut der Rechtsmedizin der Goethe-Universität nach einem geeigneten Areal für eine »Body Farm«.
Body Farm ist sicherlich ein irreführender Begriff“, gibt PD Dr. Jens Amendt zu. In einem Radiobeitrag wurde der Forscher der Goethe-Universität zu allem Überfluss auch noch als „Farmer aus Frankfurt“ anmoderiert, erzählt er augenzwinkernd. „Human Forensic Taphonomy Facility“ lautet die exakte wissenschaftliche Bezeichnung, die aber „etwas sperrig“ sei, wie Amendt zugibt.
„‚Verwesungsgelände‘ wäre der deutsche Begriff, der allerdings nicht einschlägig ist, daher bleiben die Medien lieber eingängiger bei ‚Body Farm‘“. Der Biologe, der ursprünglich als Entomologe am Senckenberg-Institut zu Insekten geforscht hat, arbeitet heute in der Rechtsmedizin: „Ich bin sicherlich eine Art Quereinsteiger, musste mich anfangs an das olfaktorisch und optisch nicht unbedingt attraktive Forschungsfeld menschlicher Verwesungsprozesse gewöhnen“, lacht Amendt.
Aktuell ist er auf der Suche nach einem geeigneten Areal, auf dem zu Forschungszwecken Leichen verwesen können. Tierische Kadaver, aber auch menschliche Leichen, die über Wochen und Monate im Freien liegen. Was ist aber der wissenschaftliche Hintergrund für eine Einrichtung, die nicht nur beim medizinischen Laien zuerst einmal eine virtuelle Gänsehaut auslösen dürfte?
„In der Rechtsmedizin ist die Todeszeitbestimmung maximal in einem Zeitraum bis zu 48 Stunden nach Eintreten des Todes möglich. Parameter wie Körpertemperatur, Leichenstarre und Leichenflecken sind nach zwei Tagen, manchmal aber auch schon früher, nicht mehr verlässlich. Daher geht es darum, Methoden zu entwickeln, die es ermöglichen, auch zu einem späteren Zeitpunkt Todeszeit und auch -ursache festzustellen“, erläutert Amendt.
Darüber hinaus hätten aber auch noch andere Disziplinen und Berufsgruppen Interesse an den Möglichkeiten einer Body Farm: Kriminalbiologen und Spurensicherer der Polizei könnten z. B. die vielfältigen und oft komplexen Auffindesituationen von Leichen in einem realen Umfeld durchspielen; oft werde eine solche Situation leider zu spät, nämlich erst im beruflichen Alltag, erlebt. „Indem man es vorher bereits geübt hat, kann man sich in der Praxis dann viel besser auf die Spurensicherung konzentrieren“, sagt Amendt.
Ebenso könnten auf der Body Farm auch Leichenspürhunde trainiert werden. Bislang müssen deutsche Wissenschaftler und Forensiker die einzige Body Farm Europas in den Niederlanden aufsuchen. „Dabei handelt es sich allerdings um ein sehr kleines Areal in der Größe eines Tennisplatzes. Außerdem dürfen Leichen dort nicht im Freien liegen, sie müssen eingegraben werden, was natürlich die Ergebnisse des Verwesungsexperiments einschränkt“, betont Amendt. Auch seien die sandigen Bodenverhältnisse nicht mit denen im Rhein- Main-Gebiet vergleichbar (s. Abb.).
Seitdem in den Medien über Amendts Suche nach einem geeigneten Areal berichtet wurde, trudelten auch schon einige Angebote bei ihm ein. „Einige Orte habe ich auch schon besichtigt; nicht alle sind für den Zweck wirklich geeignet. In manchen Fällen war der Abstand zu Siedlungen zu gering, in anderen Fällen handelte es sich um Naturschutzgebiete, bei denen die Auflagen zu streng sind.“ Man könne natürlich nicht einfach irgendwo Leichen ablegen, es gebe Umweltschutzauflagen, aber auch Bestattungsund Friedhofsgesetze, die es zu beachten gelte. Geruchsbelästigungen seien auch nicht auszuschließen.
Die Anforderungen für die Body Farm sind nicht gering. Ein Objekt, das bereits von der Frankfurter Forensik genutzt wird, liegt in Nordrhein-Westfalen, auf einem ehemaligen Militärgelände. „Es hat, abgesehen von der etwas größeren Entfernung zu unserem Institut, viele Vorteile: Es weist eine Infrastruktur mit Zäunen, Gebäuden, Wasser- und Stromanschluss auf, verfügt über verschiedene Landschaftsformen und liegt fernab von Siedlungen.“ Zum Einsatz kommen in Amendts Disziplin öfter auch tierische Kadaver, meist von Schweinen. Doch Amendt betont, dass bei aller Ähnlichkeit zu menschlichen Verwesungsprozessen der Vergleichbarkeit Grenzen gesetzt sind.
„Im molekularbiologischen Bereich gibt es neue Ansätze für die Bestimmung des Todeszeitpunktes: Man nutzt dafür das Mikrobiom des Menschen, also die Gesamtheit von Flora und Fauna, um zu schauen, was biologisch auf und in dem Leichnam passiert; das ist sehr speziell und kann nicht durch einen Tierkadaver abgedeckt werden.“ Sorgen, dass nicht genügend Spenderkörper vorhanden sein werden, muss sich die Forensik wohl nicht machen, wie Amendt berichtet: Seit den ersten Medienberichten über sein Projekt wurde er bereits von Interessierten angerufen, die ihren Körper nach ihrem Tode seiner Wissenschaft zur Verfügung stellen wollen.
Bis zur Skelettierung liegen die Leichen auf dem offenen Feld. Spekulationen darüber, dass eine Body Farm ungewollt Neugierige anlocken könnte, seien weitgehend unbegründet, sagt Jens Amendt. Erfahrungen aus den USA zeigten zudem, dass diesen ungewöhnlichen Forschungsorten eine hohe Akzeptanz entgegengebracht werde. Amendt hofft, dass die Frankfurter Rechtsmedizin mit der ersten Body Farm auf deutschem Boden Vorreiter sein könnte: „Auf diesem Forschungsfeld gibt es noch viele unbeantwortete Fragen. Und eine solche Einrichtung könnte angesichts der vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten für Forensik, Archäologie und Kriminalpolizei eine Strahlkraft bis ins Ausland erhalten.“
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 3.19 des UniReport erschienen.