Motivierter arbeiten und lernen mit Medikamenten? Die Soziologin Greta Wagner hat für ihre Doktorarbeit zum Thema »Neuroenhancement« den WISAG-Preis 2015 erhalten.
Frau Wagner, wie sind Sie als Soziologin auf das Thema „Neuroenhancement“ gekommen?
Es gab im Jahr 2009 eine relativ große mediale Aufmerksamkeit: „Immer mehr Studierende nehmen leistungssteigernde Medikamente, um den Anforderungen der Leistungsgesellschaft gerecht zu werden“, auch in der Arbeitswelt verbreite sich die Einnahme leistungssteigernder Psychopharmaka, hieß es. Ich habe mich gefragt: Wer sind diese Personen, die das machen? Denn es hat erst einmal etwas Verstörendes, Psychopharmaka zu nehmen, ohne dass man sie medizinisch nötig hat. Dann bin ich auf die Suche nach Interviewpartnern gegangen. Ich hab in allen möglichen Onlineforen Annoncen bzw. Aufrufe gestartet, verschiedene Stellen an der Uni angeschrieben, unter anderem die Psychosoziale Beratung. Es hat sich aber niemand gemeldet – außer Fernsehsender und Zeitungsredakteure.
Wie erklären Sie sich dieses mediale Interesse an Ihrer Forschung?
Die haben sich nicht etwa für meine Meinung als Soziologin interessiert, sondern für meine Interviewpartner – weil sie Reportagen über dieses Thema machen wollten. Da dachte ich, das scheint eine ziemliche Medienblase zu sein, wenn offensichtlich niemand an diese geheimnisvollen Konsumenten herankommt.
Wie sind Sie dann weiter vorgegangen?
Dann hatte ich die Idee, Gruppendiskussionen mit Studierenden zu führen und herauszufinden, was die eigentlich darüber denken. Mit Studierenden, die keine Medikamente nehmen, um zu ermitteln, wie es eigentlich zu dieser Aufregung kommt um ein Phänomen, das scheinbar empirisch gar nicht so verbreitet ist. In den Gruppendiskussionen zeigte sich dann, dass es die Sorge gibt, der Leistungsdruck könne so weit ansteigen, dass wir bald alle gezwungen sind, Medikamente zu nehmen, um noch mithalten zu können. Weit verbreitet ist auch die Annahme, viele nähmen bereits heimlich Medikamente. Anders sei das gar nicht zu erklären, dass andere so leistungsfähig sind. Diese geradezu fantasmatische Angst ist sehr verbreitet. Um eine vergleichende Perspektive einzunehmen, habe ich meine Forschung in New York fortgesetzt. Denn dort gibt es viel mehr dieser Konsumenten.
Warum nimmt man überhaupt Neuroenhancer ein, welche Wirkung lässt sich beobachten?
Mit der Zeit fand ich nicht nur in New York, sondern auch in verschiedenen Städten Deutschlands Interviewpartner, die leistungssteigernde Medikamente nehmen. Es gibt in der akademischen Diskussion vor allem im Bereich der Bioethik eine intensive Debatte darüber, ob die Einnahme erlaubt sein sollte, ob Neuroenhancement moralisch gerechtfertigt ist. Gefragt wird hier beispielsweise, was eigentlich mit unserem Streben nach Exzellenz in Forschung und Lehre passiert, wenn wir es uns pharmakologisch so einfach machen.
Man geht davon aus, dass diese Medikamente zu einer kognitiven Leistungssteigerung führen, weiß aber wenig darüber, worin diese eigentlich besteht. In den Interviews erzählten mir die Konsumenten, dass die Medikamente nach einer halben Stunde anfangen zu wirken. Dann empfindet man für einen begrenzten Zeitraum, für ca. 3-4 Stunden, ein brennendes Interesse für das, womit man sich gerade beschäftigt und hat eine erstaunliche Arbeitsmotivation.
Labortests von Medizinern haben aber gezeigt, dass die Ergebnisse, die unter dem Einfluss dieser Medikamente erzielt werden, gar nicht besser sind, man wird auf keinen Fall intelligenter. Das ist ein Befund, der in der bioethischen Diskussion total vernachlässigt wird, und ich glaube, die Tatsache, dass es sich bei sogenannten „neuroenhancers“ vor allem um „motivation enhancers“ handelt, ist besonders interessant, wenn wir uns anschauen, was heute in der modernen Arbeitswelt für Fähigkeiten verlangt werden.
Wie sehen diese nach Ihrer Einschätzung aus?
Es wird immer wichtiger, mögliches Interesse zu empfinden, Begeisterung auszustrahlen für das, was man tut. Man muss vor allem in der Lage zu sein, Eigenmotivation zu erbringen, gerade dann, wenn man nicht mehr in festgelegten Arbeitszeiten arbeitet. So wie es beispielsweise bei mir als Wissenschaftlerin der Fall ist: Niemand kontrolliert meine Arbeits- zeiten. Ich bin also ständig mit der Aufgabe konfrontiert, mich selbst zu motivieren.
Neuroenhancer sorgen also für die Struktur, die in immer informelleren Arbeitsstrukturen gar nicht mehr vorhanden ist.
Ganz genau. Interviewpartner erzählten mir: „Ich nehme morgens nach dem Frühstück eine Tablette, die wirkt dann für 3-4 Stunden. Dann mache ich Mittagspause. Dann nehme ich die zweite, die wirkt wieder für 3 Stunden und so komme ich auf einen Arbeitstag von 6 Stunden.“ Soziologisch gesehen werden hier auf pharmakologischem Wege fordistische Arbeitsstrukturen in postfordistische Arbeitsverhältnisse eingezogen. Es gibt aber unterschiedliche Gebrauchsweisen. Manche Studierende nehmen Tabletten hintereinander, um ihren Schlaf aufzuschieben und damit am Ende des Semesters eine Deadline einhalten zu können.
Daran zeigen sich doch recht unterschiedliche kulturelle und sozialpsychologische Muster bei Amerikanern und Deutschen. Zieht der Deutsche häufiger in Betracht, was andere über ihn denken könnten?
So allgemein kann ich das nicht sagen, aber die Normen und dementsprechend die Angst vor Ablehnung bei Normverstößen ist eben eine andere. Die Konsumenten in Deutschland befürchten, dass andere ihre Praxis missbilligen würden, und erzählen Kommilitonen daher häufig nichts von ihrem Medikamentenkonsum. Sie haben die Sorge, dass andere denken, dass sie sich dadurch einen illegitimen Vorteil verschaffen.
In den USA ist es unter Undergraduate-Studierenden dagegen sehr verbreitet, die Medikamente gemeinsam zu nehmen. Bei dieser gemeinsamen und vergemeinschaftenden Praxis rückt der Konkurrenzgedanke in den Hintergrund. Die Hausarbeiten werden ja in den letzten beiden Semesterwochen geschrieben, in den Finals, ein Ausnahmezustand für die Studierenden. Dann setzt man sich häufig zusammen in die Studyrooms der Bibliothek und nimmt gemeinsam die Substanzen. Man kann sogar fast sagen, dass das so eine Art adoleszente Praxis ist. Eine, die vielleicht auch recht nah an gemeinsamen Drogenerfahrungen ist.
Adoleszent heißt, dass sich das dann irgendwann wieder ändert?
Ja, es wird irgendwann sozusagen „uncool“. Irgendwann ist dann auch die Eigenmotivation hoch genug. Und je länger man studiert, desto mehr merkt man auch, es ist nicht unbedingt sinnvoll, eine Substanz zu nehmen, die mich dazu bringt, jeden Gedanken für mitteilenswert zu halten.
Also helfen die Substanzen bei bestimmten Aufgaben auch nicht?
Mir sagte beispielsweise ein Dozent in den USA, man erkenne sogar die Hausarbeiten, die auf Amphetaminen geschrieben sind. Das sind typische „Adderall-Paper“. Die kommen nie zum Punkt, die mäandern, man hat das Gefühl, der Verfasser habe sich für alles interessiert, was ihm gerade durch den Kopf ging und aufgeschrieben. Letztendlich fehlt der Arbeit die Struktur. Das, was wir mitunter beim Schrei- ben als quälend empfinden: „Wie soll ich’s nur formulieren?“, „Ach nein, das ist ein Irrweg, ich muss diesen Weg einschlagen“, das ist genau das, was diese Medikamente abkürzen. Die führen das Denken sozusagen auf eine Autobahn, ohne dass das Ergebnis dadurch besser würde.
Wenn man in Deutschland über neurosynthetische Drogen spricht, werden in der Regel Gesundheitsgefährdung, Abhängigkeit und Verlust von Lebensqualität damit assoziiert.
Genau, das ist auch ein Unterschied zwischen hier und dort. In den USA hab ich immer wieder den Eindruck gehabt, man schaut eigentlich ein bisschen herab auf diejenigen, die das nötig haben und die Leistung nicht von sich aus erbringen können. Hingegen sieht man in Frankfurt den Konsumenten leistungssteigernder Mittel als ‚Superpotenten‘. Weit verbreitet ist hier auch die Vorstellung, dass die Manager alle „gedopt“ seien. Auch Professoren unterstellt man die Einnahme von Medikamenten.
Ich glaube, es hat etwas mit Fantasien über Leistungsfähigkeit zu tun. Erstaunlich ist überhaupt der Terminus „Neuroenhancement“. Denn den hat die Bioethik mit ihrer Debatte über die Legitimität oder Illegitimität der Einnahme dieser Substanzen geprägt und in die öffentliche Auseinandersetzung hineingetragen. Dabei ist Neuroenhancement nicht so neu, wie dieser Begriff suggeriert. Studien belegen, dass der Amphetaminmissbrauch in den 70er Jahren höher war als heute. Viele Substanzen gab es rezeptfrei in der Apotheke.
In Ihrer Arbeit steckt etwas Aufklärerisches: Sie zeigen auf, dass Diskussionen auch dadurch falsch geführt werden, dass nur über Medikamente gesprochen wird, nicht aber darüber, was eigentlich Selbstoptimierung heißt.
Ich versuche mit der Arbeit auf der einen Seite ein bisschen die Luft rauszulassen aus dieser bioethischen Debatte, die für meinen Geschmack zu alarmistisch geführt wird. Ich glaube aber, dass diese Fokussierung auf pharmakologische Leis- tungssteigerung eine Engführung ist, die uns vielleicht wegführt von den wichtigeren Fragen. Nämlich: Welche Rolle soll denn Leistung und Leistungsfähigkeit überhaupt spielen, um ein gutes Leben zu führen? Welche gesellschaftlichen Tendenzen gibt es, den Wert eines Menschen immer stärker an seinem beruflichen Erfolg zu messen?
Ihr Thema dürfte auch bei Studierenden auf großes Interesse stoßen.
Ja, Leistungssteigerung, Leistungsfähigkeit und das Scheitern an diesen Anforderungen ist recht verbreitet. Dabei erlebe ich die Studierenden selbst als unglaublich fleißig und sehr gut. Also ich habe das Gefühl, die werden immer besser, aber machen sich gleichzeitig immer mehr Sorgen.
[Die Fragen stellte Dirk Frank.]
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Lesen Sie das komplette Interview in der UniReport-Ausgabe 5-2015, was Neuroenhancement für negative Neben- und Langzeitwirkungen hat, ob es als Thema zu kulturkritisch bewertet wird und wie sich das Verständnis von Leistungsgerechtigkeit in Deutschland und Amerika unterscheidet. (PDF-Download).
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