Frankfurt und Kunst? Für viele wird das zunächst nicht zusammenpassen, assoziiert man Frankfurt doch vielmehr mit Banken oder Verbrechen. Dass Frankfurt eine nicht unbedeutende Galerienszene hat, wird man vermutlich nur auf dem Schirm haben, wenn man sich für Kunst interessiert. Im Wintersemester 2018/2019 untersuchten Studierende der Wirtschaftssoziologie in einem Forschungspraktikum von Prof. Christian Stegbauer den Kunstmarkt der Galerien in Frankfurt.
»Saisonstart« der Frankfurter Kunstgalerien
Traditionell im September eröffnen die Frankfurter Galerien mit dem „Saisonstart“. Dieser versteht sich als „Wochenende der offenen Türen“ und soll das kunstinteressierte Publikum anlocken. Fast alle Galerien Frankfurts sind dabei. Zur Veranstaltung wird ein Stadtplan zur Verfügung gestellt, in dem die Galerien des Saisonstarts verzeichnet sind. Ein erster Blick darauf verrät, dass es eine Zusammenballung von Galerien in der Innenstadt gibt, nämlich in der Fahrgasse und der Braubachstraße. Diese Lage befindet sich in der Nähe des Römers, der Paulskirche, des Frankfurter Kunstvereins und des Museums für moderne Kunst sowie weiterer Ausstellungsflächen, wie etwa der Galerie der 1822er Sparkasse, der Karikatura oder des Fotografie Forums.
Standortwahl begünstigt Zusammenarbeit
Die Nähe zu den Museen legt die Vermutung nahe, dass Galerist/inn/en versuchen, den einen oder anderen Museumsbesucher für einen Abstecher in ihre Galerie zu gewinnen. Allerdings unterscheiden sich museale Kunst und das, was die Galerien für „das große Bild hinter dem Sofa“ anbieten, oft deutlich. Die Konzentration des Kunstgeschäfts in diesem Stadtbereich muss eine andere Erklärung haben. Die Nähe
zu anderen Galerien bietet die Möglichkeit zur Zusammenarbeit: Insbesondere die Galerien in der Fahrgasse organisieren gemeinsame Vernissagetermine.
Internationale Partnerschaften wichtiger als lokaler Zusammenhalt?
Die restlichen Galerien kooperieren weniger mit den anderen, sie finden ihre Partner eher in anderen Städten, oft auch international. Solche Kontakte erhöhen die Reputation. Manche dieser Galerien sind in der Stadt kaum sichtbar, sie liegen eher etwas versteckt oder gar in einem Büro ohne Fenster. Auf „Laufkundschaft“ legen diese nur begrenzten Wert – auf betuchte Sammler hingegen schon.
Förderung neuer Talente und die Teilnahme an bedeutenden Messen
Der Standort vermittelt also nicht, welche Galerie besonders gut aufgestellt ist. Wir fragten deshalb weiter, was eine bedeutende Galerie ausmacht. Die Antwort ist nicht so eindeutig: „Die Entdeckung und Förderung junger Künstler“, so die eine Antwort. Galerien in dieser Tradition sehen sich als „Scout“, der neue Talente entdeckt und ihnen zu ihrem großen Durchbruch verhilft. In einer anderen Weise bedeutender sind jedoch diejenigen, welche auf Kunstmessen ausstellen, etwa der Art Basel oder der Art Cologne, die besonders Sammler aus aller Welt anziehen. Doch leider haben kleinere Galerien schlicht nicht die finanziellen Möglichkeiten, an solchen Messen teilzunehmen. Selbst wenn kleinere Galerien das Geld für die Messeteilnahme investieren, fehlen ihnen noch die Kontakte zu den bedeutenden Sammlern. Will ein Künstler richtig Erfolg haben, muss er zu einer Galerie wechseln, die international auftritt und die auf großen Kunstmessen ausstellt.
Talentsuche an Kunsthochschulen
Doch wie kommen die Galerien überhaupt an die Künstler, deren Kunst sie ausstellen? Um Kontakte zu Künstlern zu knüpfen, gehört der regelmäßige Besuch der Werkschauen von Absolventen der Kunsthochschulen zum Pflichtprogramm. Neben Authentizität und einer eigenständigen Ausdrucksweise sollten Künstler nach wie vor eine exzellente künstlerische Ausbildung genossen haben. Das Ziel einer Galerie ist es, Künstlerinnen und Künstler exklusiv zu vertreten. Obgleich im Verhältnis zur Kapazität der Galerien viel mehr Kunstschaffende die Hochschulen verlassen, wird um die aussichtsreichsten Absolventen gebuhlt. Die Kunst, die von Galerien gerne in Ausstellungen gezeigt wird, sollte den ästhetischen Ansprüchen der Kunden gerecht werden. Das bedeutet aber auch, dass nicht jedes Kunstgenre gleiche Chancen auf eine Übernahme in Galerien bekommt. Die
eingegangenen Beziehungen sollen langfristig sein – man möchte aneinander wachsen. Eine Galerie, die eine aufstrebende Künstlerin unter Vertrag hat, wächst mit ihr oder die Künstlerin wechselt zu einem renommierteren Kunsthandelshaus. Letzteres steht für einen Aspekt der sozialen Ordnung des Kunstmarkts: Entdeckung und große Verwertung des Erfolgs fallen meist auseinander.
ÜBER DAS SEMINAR / Am Forschungsseminar nahmen 24 Studierende teil. Die Zahl der Frankfurter Galerien veränderte sich während des Forschungszeitraumes. Einige schlossen, andere eröffneten neu. Von den 45 Galerien, die in unserem Untersuchungsgebiet lagen und noch aktiv waren, konnten 24 interviewt werden. Die Untersuchung erfolgte qualitativ mit Hilfe eines Interviewleitfadens. Das Seminar gliederte sich in fünf Teilprojekte. Diese Projekte wurden entlang unterschiedlicher Beziehungsarten ausgerichtet. So übernahm eine Gruppe die Relationen der Galerien untereinander, eine andere die der Galerien zu den Künstlerinnen und Künstlern und eine weitere die der Galerien zum Publikum. Ein Teilprojekt interessierte sich für die Entstehung von Reputation und eines schließlich für die Bedeutung der Digitalisierung für den Kunstmarkt.
Ein Markt mit zu engen Nischen?
Wie andere Märkte ist der Kunsthandel ebenfalls in Nischen aufgeteilt. Solche Nischen geben ein wenig Sicherheit in einem mit vielen Widrigkeiten versehenen Markt. Nischen im Kunstmarkt können bestimmte Gebiete für Sammler sein. Über eine solche Zuordnung von Marktnische und Sammelgebiet können Galerien mit der Zeit eine Stammkundschaft aufbauen. Allerdings geben fast alle Galerien den weit gefassten Begriff der zeitgenössischen Kunst als ihr Genre an, das jedoch eine lange Reihe weiterer Subgenres umfasst. Manche dieser Nischen sind so schmal, dass sie in Frankfurt nur von einer einzigen Galerie vertreten werden. Im ersten Moment würde man vermuten, dass dies für die Galerie gut sei, einziger Anbieter in der Nische und ohne Konkurrenz. Allerdings ist
zu wenig Wettbewerb für den/die Galeristen/in nicht immer positiv, denn ein zu kleiner Bereich lässt den Frankfurter Sammlern auf dem lokalen Markt keine Chance zu vergleichen und die Galerien wiederum haben nicht die Möglichkeit, sich durch „gegenseitiges Beobachten“ weiterzuentwickeln.
Komplizierte Preisfindungsmechanismen
Aus einem soziologischen Blickwinkel ist es besonders interessant, wie die Preise auf dem Kunstmarkt entstehen. Der Preis eines Kunstwerks hat mit seinem „Gebrauchswert“ nur wenig zu tun. Eine Möglichkeit der Orientierung stellt die Konvention des „Künstlerfaktors“ dar. Absolvent/inn/en direkt von der Kunstakademie bekommen einen niedrigen Faktor von vielleicht 10, je stärker sich eine Künstlerin etabliert, umso mehr steigt dieser Faktor. Errechnet wird er, indem man die Länge eines Kunstwerkes zur Breite addiert und dann mit dem Faktor multipliziert. Ein Bild mit den Maßen 80 x120 schlägt damit mit ca. 2000 Euro zu Buche. So kommen große Werke auf deutlich höhere Preise. Seitdem es Datenbanken über Auktionsergebnisse gibt, ist der Markt deutlich transparenter geworden. Das hilft dabei, Unsicherheiten der Preisgestaltung zu vermeiden. Allerdings scheint es, als habe sich auch hier eine soziale Konvention herausgebildet: die Preise nicht mehr unter ein einmal erreichtes Niveau sinken zu lassen. Aus diesem Grund würden einige Galeristen gar zur Not selbst bieten, um den Wert ihrer Künstler zu schützen.
Offen für alle? Die Galerie als Ort der Kulturvermittlung
Für die meisten Galerist/inn/en ist jeder Besucher willkommen – auch der ohne Kaufinteresse. Solche Galerien betrachten sich als eine Instanz im Bereich der Kulturvermittlung und nicht als reinen Kunsthandel. Andere Galeriebesitzer klagen jedoch auch über zu wenig Sachverstand beim Publikum. Mancher berichtet, dass er nicht an jeden Interessenten verkaufen würde. Es zeigt sich, dass der Markt hinsichtlich seiner Beziehung zum Publikum ein weiteres Mal aufgeteilt ist: Die einen Galerien sind offen für die Heranführung des Publikums an Kunst. Sind diese dann erst einmal sachverständig und vermögend geworden, dann profitieren die
anderen davon, die zunächst nichts von diesem Publikum wissen wollten. Manche Galeristen würden am liebsten an Museen oder bekannte Sammlungen verkaufen. Das hilft beim Entstehen von Reputation für Galerie und Künstlerin weit mehr als das Bild über dem Sofa beim Privatier. Den meisten Galerien geht es nach eigener Auskunft aber nur
sekundär um das Geldverdienen: Die tragende Motivation eines „wahren Galeristen“ sollte immer die Kunstförderung und -vermittlung sein.
Autoren: Anna Kosores, Helen Weber, Christian Stegbauer
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 2.19 des UniReport erschienen.