Hat Jan Böhmermann berechtigte Kritik am türkischen Präsidenten geübt oder nur eine satirische Grenzüberschreitung zelebriert? Der UniReport hat sich darüber mit dem Juristen Prof. Uwe Volkmann unterhalten.
Herr Volkmann, wundern Sie sich als Jurist darüber, dass seit Böhmermanns Sendung mit dem Erdogan-Gedicht anscheinend die ganze Nation darüber diskutiert, was den Straftatbestand einer Schmähung erfüllt, was Satire kann und darf?
So erstaunlich ist das gar nicht. Wenn man sich die Geschichte der Satire anschaut, dann hat es immer Fälle gegeben, in denen satirische Texte eine große öffentliche Bedeutung erlangt haben. Allein gegen das in Frankfurt ansässige Satire-Magazin TITANIC wurden schon unzählige Prozesse geführt. Ich erinnere nur an das Bild des Papstes mit der befleckten Soutane. Im Fall Böhmermann kommt die Besonderheit hinzu, dass es um einen Straftatbestand geht – die Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes –, bei der die Regierung ausdrücklich ihre Ermächtigung für ein Strafverfahren erteilen musste. Dadurch hat die Debatte noch eine andere Dimension bekommen, weil sie von einer politischen Entscheidung ihren Ausgang genommen hat.
Halten Sie die Erteilung der Ermächtigung für angemessen?
Ja. Dass man sagt: Die Bewertung von Satire obliegt nicht der Regierung, sondern den dafür zuständigen Gerichten, finde ich richtig. Wenn man sich die medienrechtliche Bewertung in den verschiedenen Foren anschaut, dann ist es ungefähr unentschieden: Die eine Hälfte hält die Erteilung der Ermächtigung für vertretbar, die andere Hälfte nicht.
In der Öffentlichkeit äußert man Befremden darüber, dass die Regierung einerseits die Ermächtigung erteilt, andererseits aber angekündigt wird, dass der Paragraph 103 StGB nicht mehr zeitgemäß sei und daher abgeschafft wird.
Man muss natürlich sehen, dass der Antrag des türkischen Präsidenten auf Strafverfolgung die Regierung in eine Bredouille gebracht hat: Sie entscheidet unter der Aufmerksamkeit der Medien. Wenn der Paragraph wegfällt, hätte das den praktischen Vorteil, dass solche Fälle nicht mehr auftreten können. Man kann generell fragen, ob dieser Paragraph heute noch seine Berechtigung hat. Es handelt sich ja im Prinzip um den Tatbestand der Majestätsbeleidigung. Der Paragraph ist damit ein Relikt aus vordemokratischen Zeiten. Er hat aber durchaus auch heute noch eine sinnvolle Funktion, denn er stellt eine Möglichkeit dar, Konflikte zwischen Staaten zu entschärfen
Böhmermann hat kürzlich im ZEIT-Interview gesagt: „Jeder, der dieses Gedicht aus dem Zusammenhang nimmt und losgelöst von der ganzen Nummer vorträgt, hat nicht alle Latten am Zaun.“ Ist das nicht einigermaßen überzeugend?
Ja, man kann sicherlich sagen, der Rahmen und das Gedicht selber bilden eine Einheit, die man nicht auseinanderreißen darf. Man könnte sogar weitergehend sagen: Der Rahmen ist der eigentliche Inhalt und das Gedicht ist nur die Einkleidung dieses Inhalts. Es ist aber andererseits ein Text, der aus sich selbst heraus beleidigend wirken kann. Zum Vergleich: Wenn es um die Veröffentlichung unerlaubt aufgenommener Fotos geht, wie z. B. bei Nacktfotos von Prominenten, dann kann eine Zeitung nicht hingehen und so tun, als ob sie über die Dreistigkeit von Paparazzi berichtet, und die Fotos dann einfach mit abdrucken. Und bei dem Gedicht von Böhmermann kommt hinzu, dass sich darin durchaus Passagen finden, die einen realen politischen Hintergrund haben, etwa die Unterdrückung der Kurden. Es ist also nicht einfach alles nur Inszenierung oder Performance.
In Ihrem Beitrag auf verfassungsblog.de erinnern Sie an den Fall Engholm: Damals musste die Satirezeitschrift TITANIC einen Titel mit einer Fotomontage zurückziehen, hat sich dann in der folgenden Ausgabe gewissermaßen „gerächt“. Sie sehen darin ein „Zelebrieren“ dessen, was vom Recht alles verboten ist.
Wir haben uns mittlerweile an alle möglichen Grenzüberschreitungen in den Medien gewöhnt. Dinge, die vor einigen Jahrzehnten noch zu einem Aufschrei geführt hätten, nimmt das Publikum achselzuckend zur Kenntnis. Das ist für Satiriker, die provozieren wollen, mitunter ein Problem. Die müssen dann auf Biegen und Brechen versuchen, weitere Grenzen zu überschreiten, auch die des Geschmacks. Von diesen Grenzüberschreitungen sind aber auch der politische und der gesellschaftliche Diskurs betroffen. Satiresendungen beispielsweise wie die „heute-show“ stellen Politiker oft bloß als unfähige Trottel dar, Politik wird grundsätzlich als etwas Lächerliches präsentiert, und das prägt insgesamt den gesellschaftlichen Umgang mit Politik.
Sehen Sie darin auch einen Grund für Politikverdrossenheit?
Es spielt jedenfalls eine Rolle. In Teilen der Gesellschaft führt das mittlerweile zu einer regelrechten Politikerverachtung, deren Auswüchse man dann etwa an AfD und Pegida sehen kann. Und das wirft Fragen nach einer angemessenen Form des politischen Diskurses bei uns auf. Es gibt sicherlich berechtigten Anlass, Kritik am türkischen Präsidenten und an der politischen Situation in der Türkei zu üben. Aber Böhmermann schreibt eben nicht in der Türkei, sondern bei uns – und dies aus der sicheren Position eines Satirikers des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der im Unterschied zu seinen türkischen Journalismus-Kollegen nicht fürchten muss, dass er hinter Gitter wandert.
Das wirft die Frage auf, welche Zielgruppe und welche Wirkung Böhmermann überhaupt im Blick hatte: eine deutsche Medienöffentlichkeit oder eine europäische …
… Letztere hat er dann auch erreicht. Dass man ihn dem türkischen Präsidenten „ausgeliefert“ hätte, klingt aber dann doch etwas wehleidig. Zudem es seiner Bekanntheit auch nicht gerade geschadet hat. Deswegen darf er sich auch gar nicht darüber beschweren.
Wie schätzen Sie denn den Ausgang des Verfahrens ein?
Die weitere Verbreitung der vermeintlichen Satire wird möglicherweise untersagt, vielleicht wird Böhmermann zu einer geringen, dann eher symbolischen Geldstrafe verurteilt. Es ist aber auch durchaus denkbar, dass Böhmermann freigesprochen wird, die rechtliche Bewertung ist da offen. Jedenfalls ist in dem Verfahren nicht ansatzweise mit dem zu rechnen, was in einem vergleichbaren Fall auf türkische Journalisten zukäme.
Sie sehen bei Justizminister Heiko Maas den Widerspruch, einerseits gegen Sexismus in der Werbung vorgehen zu wollen, andererseits aber bei Böhmermann für eine Ehrenrettung der Zote einzutreten.
Das Vorgehen gegen sexistische Werbung rechtfertigt sich darüber, sexuelle Diskriminierung abzuwenden, aber im Grunde auch darüber, eine bestimmte Form von Anstand durchzusetzen, die sich offenbar nicht von selbst versteht. Man könnte aber da fragen, ob nicht auch Böhmermanns Gedicht gegen solche ungeschriebenen Regeln verstößt. Die Grundfrage ist doch: Kann und soll das Recht gegen solche Grenzüberschreitungen mobilisiert werden? Es gibt zwar durchaus Argumente dafür, dass man hier auf die selbstreinigenden Kräfte des Diskurses vertrauen soll. Das Recht könnte aber auch im öffentlichen Diskurs die Aufgabe haben, Grenzpfosten einzuschlagen, die signalisieren, dass es hier nicht weitergeht. Die Liberalität kann nicht in eine Schrankenlosigkeit münden.
Wie lange wird die „Causa Böhmermann“ die Juristen beschäftigen?
Es wird möglicherweise einige Jahre dauern, bis die Sache rechtlich entschieden ist. Selbst wenn Böhmermann verurteilt wird, könnte es sein, dass sich nach dem Gang durch die Instanzen sogar das Bundesverfassungsgericht damit beschäftigen muss. Sicherlich wird der Fall Böhmermann als Klausurthema künftig auch die Jura-Studierenden beschäftigen.
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Zur Person: Uwe Volkmann ist Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Goethe-Universität. Zu seinem Beitrag auf verfassungsblog.de.
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Das Interview führte Dirk Frank.
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 3.16 des UniReport erschienen. [PDF-Download]