Semesterstart für das Academic Welcome Program

Von Kabul bis Kyjiw: 50 Personen, 50 Lebensgeschichten, 50 unterschiedliche Zukunftsperspektiven

Am 1. Oktober nahm das Academic Welcome Program (AWP) for highly qualified refugees zum Semesterstart 50 Geflüchtete auf, die nun ihre studienvorbereitenden Deutschkurse beginnen. Zudem erhalten die Teilnehmenden des durch das Land Hessen unterstützten Programms, welches die Goethe-Universität 2015 zum Zeitpunkt der damaligen Flüchtlingskrise in Europa ins Leben rief, eine Vielzahl an weiteren Unterstützungsangeboten, inklusive Möglichkeiten der sozialen Vernetzung.

Paul Scherer begrüßt die neue AWP-Kohorte. Mit einer Gesamtanzahl von 26 kommt mehr als die Hälfte der 50 Teilnehmenden aus der Ukraine. Danach folgen Afghanistan (11), die Türkei (8), sowie jeweils ein*e Teilnehmende*r aus Aserbaidschan, Irak, Iran, Russland und Äthiopien. Die Mehrzahl – 27 – ist weiblich. Die meisten Teilnehmenden sind zwischen 17 und 24 Jahren alt (30), gefolgt von der Alterspanne zwischen 25 und 34 Jahren (15). Fünf weitere wurden vor 1990 geboren. (Fotos: Leonie Schultens / Goethe-Universität Frankfurt)

Dienstagmorgen, 9 Uhr, Campus Bockenheim. In dem großen Raum mit Blick auf die Bockenheimer Warte sitzt eine Vielzahl an Menschen unterschiedlicher Herkunft und Alters. Was sie vereint: Alle sind Geflüchtete, alle wollen sich auf ihr Studium vorbereiten und alle haben im Wintersemester 2024/25 einen Platz im AWP-Programm der Goethe-Universität erhalten. Mit den bereits im Programm befindlichen Personen gibt es damit aktuell fast 100 Teilnehmende im AWP, die Nachfrage ist weiterhin hoch.

Was genau das für die Teilnehmenden bedeutet, welche Rechte und Pflichten sich daraus ergeben, und welche optionalen Angebote zur Verfügung stehen, erklärt Paul Scherer, Leiter des Academic Welcome Program im Bereich Studium Lehre Internationales (SLI). Gemeinsam mit seinem Team, den AWP-Mitarbeitenden Alberto Atha und Pedro Schlepper, sowie den studentischen Hilfskräften Elena Terekhina und Johannes Nebe, führt Scherer durch die vier Kernelemente des AWP: kostenfreie Deutsch-Intensivkurse, Beratung zu Studium und Beruf, soziale Beratung und Begleitung, sowie Zugang zu universitärer Infrastruktur.

Die Basis schaffen: Deutsch-Intensivkurse sowie Beratung zu Studium und Beruf

Alle Neuaufgenommenen mussten bei ihrer Bewerbung ein B1-Sprachzertifikat nachweisen. Viele Teilnehmende würden erfahrungsgemäß nach dem Einstufungstest zurückgestuft, erklärt Scherer den Anwesenden – dies liege an dem hohen Niveau der Kurse, die das Internationale Studienzentrum (ISZ) der Goethe-Universität anbietet und auf Deutsch als Wissenschaftssprache ausgerichtet ist. Davon sollten sie sich jedoch nicht entmutigen lassen, sondern so viel wie möglich auch im Privaten Deutsch sprechen. „Machen Sie Fehler und lernen Sie daraus.“ Aufgrund der hohen Nachfrage und des fünfwöchentlichen Kursrhythmus beginnt für einige der Kurs bereits Anfang Oktober, während andere erst Mitte November beginnen.

Über die Sprachkomponente hinaus, welche durch das ISZ als Hauptpartner des AWP angeboten wird, bietet das AWP auch Beratung in den Bereichen Studienfachwahl, Zugang zum Studienkolleg, Ausbildung und Beruf an. Als Antwort auf die Frage, wie lange es brauche, um das AWP mit der sogenannten Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang (DSH) abschließen zu können, verweist Scherer auf die fünfwöchige Kursdauer. „Diejenigen unter Ihnen, die mit B1.2 anfangen, werden ungefähr 40 Wochen – also knapp ein Jahr brauchen – bis Sie die DSH-Prüfung ablegen zu können. Mit Sprachkenntnissen auf B1.3 Niveau kann das bereits in ungefähr 30 Wochen der Fall sein.“

Je nach Hochschulzugangsberechtigung (HZB) stehen den Teilnehmenden verschiedene Wege des Zugangs zum Studium offen. Teilnehmende mit direkter HZB für ein Fachstudium bereiten sich ab dem Deutschniveau C1 auf die DSH-Prüfung, die Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang, vor und können sich nach deren Bestehen anschließend auf einen Studienplatz an einer deutschen Hochschule bewerben. Wenn Teilnehmende über eine indirekte HZB verfügen, bewerben sie sich in einem separaten Verfahren für ein einjähriges Studienkolleg, das dem Fachstudium vorgeschaltet ist. Der Zugang zum Studienkolleg sei sehr kompetitiv, sagt Scherer, und weist darauf hin, dass die Deutschkenntnisse der entscheidende Faktor für eine Aufnahme in das Studienkolleg Frankfurt seien.

Auch im Bereich der DSH-Prüfung gibt es unterschiedliche Niveaus. So erfordere ein Studium in der Regel einen DSH-II-Abschluss, eine Ausnahme bilden die Studiengänge der Medizin an der Goethe-Universität, für die eine DSH 3-Abschluss oder ein äquivalentes Sprachzertifikat benötigt wird, erklärt Scherer. Insgesamt bietet das AWP eine breite Palette an Unterstützung bei der Studien- und / oder Berufswahl und Informationen zu den jeweiligen Zugangsvoraussetzungen an und arbeitet dabei mit vielen weiteren Beratungsstellen zusammen wie der Zentralen Studienberatung oder der Fachstudienberatung der Fachbereiche der Universität und einschlägigen externen Stellen in Frankfurt und der Region. „Wir sind genau dafür da, mit Ihnen gemeinsam die richtige Vorbereitung für Ihren akademischen Werdegang zu finden.“ Einige der neuen Teilnehmenden haben bereits einen ersten Universitätsabschluss im Herkunftsland erworben, wie zum Beispiel drei Afghanen*innen, die in ihrem Land nicht weiterstudieren können oder dürfen, oder ukrainische Geflüchtete aus Kharkiv, Mariupol und Kyjiw. Sie möchten ihre Studien in einem Master fortsetzen oder aufgrund der nun uneingeschränkten Studienwahl in Deutschland nochmals in der Fachrichtung verändern. 

Flankierende Angebote: Soziale Beratung und Begleitung

Das AWP, das derzeit gemeinsam vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur (HMWK) und der Goethe-Universität finanziert und ermöglicht wird, umfasst zudem eine wichtige soziale Säule, die sich aus verschiedenen freiwilligen Angeboten zusammensetzt. Ein solches Angebot ist das Studienfreund*innenprogramm, das AWP-Teilnehmende mit Studierenden aus Deutschland zusammenbringt. Begleitet wird es von Johannes Nebe, der derzeit für seinen Master in Theater, Film und Medienwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt studiert, und seit einem Jahr als studentische Hilfskraft beim AWP tätig ist. „Bei unserem Matching achten wir auf Gemeinsamkeiten – sei es auf Fachbereichsebene oder bei Hobbies,“ erklärt er den Anwesenden. Ziel sei es, gemeinsam Deutsch zu üben, neue Freundschaften zu schließen, andere Kulturen kennenzulernen, und gegebenenfalls mehr über den Universitätsalltag zu erfahren. Nebe unterstützt das Matching des Peer-Programms und organisiert wöchentliche Treffen der Studienfreunde. „Das kann ein gemeinsamer Koch- oder Spieleabend, ein Museumsbesuch oder ein Picknick sein,“ sagt er und hebt hervor, dass dank der Förderung und einer Zusammenarbeit mit Places2See die regelmäßigen Treffen kostenfrei seien. Auch das regelmäßig stattfindende AWP-Sprachcafé sei eine gute Anlaufstelle für Vernetzung und Sprachgebrauch.

Scherer und Atha führen die Teilnehmenden der neuen AWP-Kohorte in einem kurzen Rundgang durch die wichtigsten Anlaufstellen am Campus Bockenheim. (Fotos: Leonie Schultens / Goethe-Universität Frankfurt)

Über diese sozialintegrative Komponente hinaus beinhaltet das Beratungsportfolio des AWP auch die Verweise zu Angeboten der Psychologischen Beratungsstelle für Flüchtlinge (PBF) am Zentrum für Psychotherapie der Goethe-Universität, und der Goethe Uni Law Clinic (GULC). Während die PBF kostenfreie, vertrauliche psychologische Beratung in mehreren Sprachen anbietet und bei Bedarf weitervermitteln kann, stehen die Expert*innen der GULC allen Geflüchteten für eine Rechtsberatung mit Schwerpunkt Migrations- und Sozialrecht zur Seite. Als Teil der Vorstellung weist Scherer die neue AWP-Kohorte zudem auf die Antidiskriminierungsstelle der Goethe-Universität hin, deren vertrauliche, bei Bedarf auch anonyme Beratung für derartige Vorfälle im Rahmen der Universität zur Verfügung steht.

Darüber hinaus besteht als Anlaufstelle für bereits im Studium befindliche Geflüchtete an der Goethe-Universität die Servicestelle Studium und Flucht, die von Pedro Schlepper verantwortet wird. Hier erhalten Studierende etwa Beratung zu hessischen und deutschlandweiten Stipendien für Geflüchtete sowie zu asylrechtlichen Fragestellungen, die sich aufgrund des Statuswechsels als Studierende ergeben.

Teilnehmende des AWP dürfen zudem ab einem Deutsch-Niveau von B2 kostenfrei als Gasthörer*innen an Vorlesungen und Seminaren der Goethe-Universität teilnehmen und sich so noch während des Spracherwerbs bereits mit Studieninhalten auseinandersetzen und somit optimal auf ihr späteres Studium vorbereiten. 

„Nicht zuletzt erhalten Sie bald auch Ihre eigene Goethe Card“, schließt Scherer die Vorstellung des AWP-Programms ab. Neben der Nutzung der Bibliotheken und der PC-Räume sowie des Uni-WiFi (eduroam) bietet diese auch kostenfreien Eintritt in den Palmengarten sowie vergünstigten Einlass in Museen.

Mit dem Academic Welcome Program (AWP) for highly qualified refugees schafft die Goethe-Universität einen Rahmen, der die Integration von hochqualifizierten Geflüchteten aller Nationalitäten an der Goethe-Universität unterstützt und ebenso einen Beitrag zur Fachkräftegewinnung in der Region leistet. Durch den Zugang zu Sprachkursen und universitärer Bildung sowie Netzwerken und universitärer Infrastruktur werden Geflüchteten Zukunftsperspektiven eröffnet und Austausch und Teilhabe ermöglicht. Seit Beginn im Wintersemester 2015/16 haben bereits mehr als 700 Personen am Programm teilgenommen.

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