Goethe in progress 2022

Goethe in progress 2022 – Forschung

Weltoffen forschen

Rund 3.700 Wissenschaftler*innen gestalten an der Goethe-Universität eine weltoffene Werkstatt der Zukunft: Sie arbeiten gemeinsam mit regionalen, nationalen und internationalen Partnern an Lösungen für Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft und tragen mit ihrer Forschung dazu bei, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu bewältigen. Dabei wird die herausragende Einzel- und Verbundforschung an unserer Hochschule in sechs interdisziplinäre Profilbereiche gebündelt. 

Etliche unserer Wissenschaftler*innen haben für ihre Forschung 2022 Preise erhalten, viele von ihnen haben in diesem Jahr erfolgreich Projekte eingeworben – bei Bund und Land, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die Europäischen Union und anderen Institutionen. Bei den Forschungsgruppen, Sonderforschungsbereichen und Graduiertenkollegs waren sogar alle Vollanträge unter Federführung der Goethe-Universität erfolgreich. Einige stellen wir Ihnen vor.

Ersthelfer bei verletzten Geweben

2022 hat die Goethe-Universität zwei Sonderforschungsbereiche eingeworben. Der SFB „Schadenskontrolle durch das Stroma-vaskuläre Kompartiment“ beispielsweise untersucht die Rolle von Stützzellen bei der Reparatur von geschädigten Organen.  

Wie abstraktes Wissen im Gehirn gespeichert wird

In der neuen DFG-Forschungsgruppe ARENA arbeiten Psycholog:innen und Informatiker:innen zusammen. Ihre Erkenntnisse in der Hirnforschung sollen dazu beitragen, künstlich intelligente (KI)-Systeme effizienter und flexibler zu machen.

Wie Zukunft „repariert“ werden kann

Das Graduiertenkolleg „Fixing Futures“ erforscht, wie neue Technologien auf zukünftige Ereignisse vorbereiten können. Es ist eines von zwei neuen DFG-geförderten Forschungsprojekten, die junge Wissenschaftler*innen in der Promotionsphase begleiten. 

Expertise für Cybersicherheit und Krebsforschung

Seit Ende 2022 wirken Forschende an ATHENE mit, Europas größtem Forschungszentrum für Cybersicherheit. ATHENE ist eines von zahlreichen Projekten an der Goethe-Universität, die vom Land und Bund gefördert werden. Wie zum Beispiel das LOEWE-Zentrum „Frankfurt Cancer Institute“.

EU-Förderung für bahnbrechende Forschung

Fünf Wissenschaftlicher*innen haben 2022 renommierte ERC-Förderungen für ihre Forschungsvorhaben eingeworben. Auch die Mitarbeit theoretischer Physiker am ersten Bild des Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße wurde vom Europäischen Forschungsrat gefördert.

Schnitt durch geschädigtes Herzgewebe (Herzmuskelzellen grün, Bindegewebe rot): Man sieht, wie von dem Blutgewebe ausgehend große Mengen an Bindegewebe in den Muskel hineinziehen. Dadurch verschlechtern sich die mechanischen Eigenschaften des Herzens (Bild: Vessel)

Ersthelfer bei verletzten Geweben

Wenn sich durch Infarkt geschädigte Organe selbst reparieren, werden sie von Gerüst- und Stützzellen unterstützt. Wie genau das geschieht, erkundet der neue Sonderforschungsbereich „Schadenskontrolle durch das Stroma-vaskuläre Kompartiment“.

Wer heute einen Herz- oder Hirninfarkt erleidet, hat gute Chancen, ihn zu überleben. Der große medizinische Fortschritt in der Akutversorgung führt dazu, dass vor allem die Durchblutung schnell wiederhergestellt wird und somit weniger Gewebe abstirbt. Doch auch heute vergeht oft noch zu viel Zeit bis zur rettenden Therapie. So überleben viele Patienten zwar den akuten Infarkt, aber gleichzeitig nehmen die chronischen Folgen wie Herzinsuffizienz zu.

Für die medizinische Wissenschaft eröffnet sich ein neues translationales, also mit der Praxis eng verbundenes Forschungsfeld: Es geht darum zu verstehen, wie Reparationsprozesse ablaufen – und wie sie mit Therapien unterstützt werden können. Ziel ist es, die Folgen zu reduzieren.

Diesem Forschungsfeld widmet sich der neue Sonderforschungsbereich (SFB) „Schadenskontrolle durch das Stroma-vaskuläre Kompartiment“; eine entscheidende Rolle spielen jüngste Fortschritte in der wissenschaftlichen Methodenentwicklung: in der Massenspektrometrie, der Einzelzell-RNA-Sequenzierung von Geweben und der Bioinformatik. Sie ermöglichen es nämlich erst, Prozesse in Zellen zu beobachten und auch den zeitlichen Ablauf von Reaktionen zu verstehen. „Die Zeit musste reif sein für unser Projekt“, erklärt der Physiologe Prof. Ralf Brandes, Direktor des Instituts für Kardiovaskuläre Physiologie an der Goethe-Universität und Koordinator des SFB.

Ausgangspunkt des Forschungsbereichs ist die entscheidende Rolle, die das Stroma-vaskuläre Kompartiment (SVC) in dem Reparationsprozess spielt – also die Gerüst- und Stützzellen für jenen Zelltypus, der für eine spezifische Organfunktion verantwortlich ist. Die stützenden Zellen des SVC werden als Ersthelfer etwa bei verletzten Herzmuskelzellen aktiv und sorgen dafür, dass sich nach einer Verletzung neue Blutgefäße bilden. Die Wissenschaftler*innen des SFB sind an den Mechanismen und molekularen Akteuren interessiert, die die Reaktion auf eine Verletzung in einem multizellulären Kontext orchestrieren. Dabei konzentriert der SFB seine Forschung auf Herz, Gehirn und Blutgefäße. Es geht um das komplexe Zusammenspiel zwischen den Zelltypen des SVC und darum, wie die Reparatur koordiniert wird und wie es schließlich gelingt, dass Zellen wieder funktionieren.

Für die Erforschung der „Schadenskontrolle durch das Stroma_vaskuläre Kompartiment“ wird der SFB von 2022 an für vier Jahre mit insgesamt 14,2 Millionen Euro gefördert. 28 leitende Wissenschaftler*innen gehören dem Konsortium an, darunter zehn jüngere Forschende. Sprecherin ist die Goethe-Universität, Partner sind das Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim, das Berliner Institut für Gesundheitsforschung an der Charité, das Universitätsklinikum Heidelberg und die Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Ein Graduiertenkolleg für Nachwuchswissenschafter*innen soll das Konsortium bald noch ergänzen.

Das multidisziplinäre Konsortium geht zunächst zweigleisig vor: Einige Wissenschaftler*innen untersuchen die zelleigene Mechanismen, Schaden zu erkennen, darauf zu reagieren und sich anzupassen. Was geschieht nach einem Schlaganfall oder Herzinfarkt im Stoffwechsel, wie werden Gene kontrolliert, wie sind die zellulären Kommunikationslinien? Eine andere Gruppe konzentriert sich auf die Schadenskontrolle zwischen einer Vielzahl von Zellen. Wie ist der physiologische zelluläre „Crosstalk“ organisiert, und wie kommt es dazu, dass verschiedene Zellpopulationen wieder ihre regulären Funktionen aufnehmen?

Wir würden gerne Wege finden, wie wir medizinisch körpereigene Heilungsprozesse unterstützen können

Das Ziel des Projekts ist, Mechanismen zu identifizieren, die genutzt werden können, um das SVC in seinem Reparaturprozess falls nötig zu unterstützen. Die Wissenschaftler*innen werden nach Ablauf der ersten Förderung eine zweite Förderung beantragen, um die Schadenskontrolle in noch komplexeren Umgebungen zu erforschen, nämlich im Zusammenhang mit Fettstoffwechselstörungen, Zuckerkrankheit oder Alterung. Dies sei nötig, erklärt Brandes, weil Herzinfarkte oft bei älteren, „multimorbiden“ Menschen auftreten, die typischerweise unter mindestens zwei Krankheiten leiden. Erst in einer dritten – und letzten – Förderstufe wird der Fokus der Forschenden auf möglichen Therapien liegen. „Wir würden gerne Wege finden“, betont Brandes, „wie wir medizinisch körpereigene Heilungsprozesse unterstützen können“.

(pb)

Neue Sonderforschungsbereiche

Die Goethe-Universität hat 2022 zwei Sonderforschungsbereiche (SFB) eingeworben. Sie werden in den kommenden vier Jahren mit insgesamt 28 Millionen Euro gefördert: Der SFB 1531 befasst sich mit körpereigenen Reparaturmechanismen von Gewebsverletzungen des Herzens oder des Gehirns, die als Folge etwa von Infarkten auftreten. Die Forscher:innen untersuchen, wie die Bindegewebsumgebung zur Reparatur dieser Schäden beiträgt (siehe den Beitrag „Ersthelfer bei verletzten Geweben“).

Der SFB „Proteinverbünde und Maschinerien in Zellmembranen“ (1507) nimmt ein Grundprinzip des Lebens in den Blick: biochemische Reaktionen und subzelluläre Architekturen an Membranen. Die Proteinanordnungen und molekulare Mechanismen in Zellmembranen sind nämlich für wesentliche Lebensprozesse von zentraler Bedeutung – sie übertragen etwa Energie, transportieren Nährstoffe und Stoffwechselprodukte und die Steuerung der Kommunikation innerhalb und zwischen Zellen. Um die hochkomplexen Organisationsprinzipien noch weitgehender zu verstehen, untersuchen Wissenschaftler*innen des SFB 1507 Proteinkomplexe in der Zellmembran – von Protein-Verbünden über zelluläre Maschinen bis zu Superkomplexen. Der SFB, dessen Sprecher der Biochemiker und Strukturbiologe Prof. Robert Tampé ist, setzt dabei auf das weltweit sichtbare Kompetenz-Zentrum in der Struktur und Funktionsanalyse von Membranproteinen.

Beide Sonderforschungsbereiche kooperieren unter anderem mit der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und unterstreichen die starke Vernetzung in der Allianz der Rhein-Main-Universitäten RMU.

Neues Schwerpunktprogramm der DFG

Im Rahmen eines neuen Schwerpunktprogramms der Deutschen Forschungsgemeinschaft startet das Projekt „Visuelle Kommunikation“ (ViCom). Beantragt haben das Verbundprojekt Prof. Dr. Cornelia Ebert (Goethe-Universität) und Prof. Dr. Markus Steinbach (Universität Göttingen), beide Linguistik. Die Sprecherschaft liegt bei der Goethe-Universität. In dem Schwerpunktprogramm geht es um kommunikative Möglichkeiten, Informationen außerhalb der gesprochenen Sprache, auch im Verhältnis zu den anderen Kanälen, zu vermitteln.

Kurz & bündig: Neues aus der Forschung

Auf dem Weg zur Schärfung des Forschungsprofils wurde 2021 ein entscheidendes Etappenziel erreicht: Es wurden sechs Profilbereiche bestimmt, die Forschungsleistungen der Goethe-Universität abbilden, in denen aber auch innovatives Potenzial für weitere Forschungsfragen liegt.

Im November 2022 startete eine Vorlesungsreihe, in der sich die Profilbereiche innerhalb der Universität präsentierten: An welchen Themen forschen sie? Wer gehört dazu und welches Selbstverständnis haben sie? In den Profilbereichen wird fachbereichsübergreifend und interdisziplinär gearbeitet. Folgende Profilbereiche arbeiten zusammen: Orders & Transformations, Space, Time & Matter, Molecular & Translational Medicine, Structure & Dynamics of Life, Sustainability & Biodiversity, Universality & Diversity.

Forschung an der Goethe-Universität

Meist zitiert

Von den knapp 7.000 am meisten zitierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Welt forschen sechs an der Goethe-Universität Frankfurt. Dies ging aus dem aktuellen Zitationsranking des „Web of Science“ 2022 des Unternehmens Clarivate Analytics hervor.

Zentrum für interreligiöse Dynamiken

Das Frankfurt-Tel Aviv Center für Interreligiöse Studien ging am 19. Dezember mit einer zweitägigen Tagung in Israel an den Start. Höhepunkt des Auftakts war die Unterzeichnung des Kooperationsvertrages durch die Universitätspräsidenten der Tel Aviv University und der Goethe-Universität. Vor einem Jahr war bereits ein „Letter of Intent“ unterzeichnet worden. Das neue Zentrum widmet sich der Erforschung religiöser und interreligiöser Dynamiken.

Frankfurt-Tel Aviv Center startet nun offiziell mit einer Konferenz in Israel

Fünf gehen ins Rennen

Ende 2022 fiel an der Goethe-Universität die Entscheidung: Für die anstehende Runde der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder wird sich die Universität im kommenden Jahr mit vier neuen Forschungsclustern bewerben. Der seit 2019 bestehende Exzellenzcluster Cardiopulmonary Institute (CPI) wird direkt einen Vollantrag einreichen.

Die neuen Forschungsprojekte forschen zu den Themen Vertrauen im Konflikt (CONTRUST), Infektion und Entzündung (EMTHERA), Ursprung der Schweren Elemente (ELEMENTS) und zelluläre Architekturen (SCALE). Dabei kooperieren die Wissenschaftler*innen der Goethe-Universität mit Kolleg:innen des Verbunds der Rhein-Main-Universitäten (RMU) und weiteren Partnern.

Ausgezeichnet: Fritz-Bauer-Institut

Das Fritz-Bauer-Institut bietet mit seiner hochwertigen Forschung „beeindruckende Leistungen“ trotz seiner „geringen personellen Ausstattung“ – so heißt es in einem Bericht des Wissenschaftsrats, der vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst mit der Evaluation des Instituts beauftragt wurde. Die Forschung des Frankfurter Instituts zu nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, vor allem zum Holocaust, sowie zum juristischen und gesellschaftlichen Umgang damit nach 1945 sei von hoher Qualität. Positiv hervorgehoben wird auch die engere Zusammenarbeit mit der Universität, die durch eine Kooperationsprofessur ermöglicht wurde.

Wissenschaftsrat bescheinigt Fritz Bauer Institut „beeindruckende Leistungen“ 

Wandel der Arbeitswelt durch Digitalisierung

Eine neue Stiftungsprofessur „Digitale Transformation und Arbeit“ bereichert zukünftig die sozialwissenschaftliche Forschung an der Goethe-Universität in der Tradition einer kritischen Gesellschaftstheorie: Dazu wurde Anfang November 2022 der Vertrag von den beiden Stiftern ProLife Stiftung und Frankfurter University of Labour sowie der Goethe-Universität unterzeichnet. Die neue Stiftungsprofessur soll den sozialen Wandel der Arbeitswelt durch die Digitalisierung erforschen.

Das Digitalzeitalter verstehen

Italienforum: RMU-gebündelt

Die Strategische Allianz der Rhein-Main-Universitäten (RMU) hat im Dezember 2022 ihr neu gegründetes RMU-Italienforum eröffnet. Das Forum soll italienbezogene Forschung an den jeweiligen Universitäten vernetzen und sichtbar machen. Dazu haben sich acht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Rhein-Main-Universitäten aus geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern zusammengeschlossen.

Rhein-Main-Universitäten eröffnen RMU-Italienforum | Rhein-Main Universitäten (rhein-main-universitaeten.de)

Eine Orange ist eine Orange ist eine Orange: Ein für die Bild- und Spracherkennung entwickeltes KI-System kann ein Bild von einer Orange mit dem Wort „Orange“ verknüpfen. Auf andere Sinneseindrücke verallgemeinern kann es jedoch nicht – was unser Gehirn dagegen mühelos schafft (Foto: Mae Mu/unplash)

Wenn Hirnforschung und Künstliche Intelligenz im Austausch sind

Wie abstraktes Wissen im Gehirn gespeichert wird, untersuchen Psycholog:innen und Informatiker:innen in der neuen DFG-Forschungsgruppe ARENA. Die Erkenntnisse sollen dazu beitragen, künstlich intelligente (KI)-Systeme effizienter und flexibler zu machen.

Seitdem künstlich intelligente Systeme Objekte und Sprache zuverlässig erkennen können, erlebt die KI-Forschung einen Boom. Doch nach wie vor müssen die Systeme mit hohem Arbeits- und Energieaufwand trainiert werden – und speichern ihr Wissen über Objekte und Wörter trotzdem anders als das menschliche Gehirn: Moderne KI-Systeme sind in der Regel neuronale Netzwerkmodelle. Sie bestehen aus mehreren Schichten von künstlichen Nervenzellen, die miteinander verknüpft sind. Deshalb werden sie auch als tiefe neuronale Netze („deep neural networks“) bezeichnet. Ein KI-System, das für die Bilderkennung und die Spracherkennung entwickelt wurde, kann ein Bild von einer Orange (Input) mit dem Wort „Orange“ (Output) verknüpfen. Auf andere Sinneseindrücke verallgemeinern kann ein solches KI-System jedoch nicht – was unser Gehirn dagegen mühelos schafft.

Denn eine der wichtigsten Eigenschaften des menschlichen Gehirns ist die Fähigkeit zur Abstraktion: So kann unser Wissen über eine Orange aktiviert werden, wenn wir sie sehen, sie fühlen, schmecken oder riechen. Unser semantisches Wissen über Orangen wird also im Gehirn abstrakt abgebildet oder repräsentiert – unabhängig davon, wie wir Orangen über die Sinne wahrnehmen.

Diese Art der abstrakten Wissensrepräsentation könnte die KI vom menschlichen Gehirn lernen. Allerdings ist das ‚Format‘, in dem unser semantisches Wissen im menschlichen Gehirn gespeichert ist, noch nicht gut verstanden. Hier wiederum kann die Hirnforschung von den mächtigen KI-Modellen profitieren. Die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte interdisziplinäre Forschungsgruppe ARENA („Abstrakte Repräsentationen in neuronalen Architekturen“) an den Instituten für Psychologie und für Informatik der Goethe-Universität, dem Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) und dem Max-Planck-Institut für Softwaresysteme in Saarbrücken schlägt eine Brücke zwischen Informatik, Psychologie und Neurowissenschaften, um diese Fragestellungen zu erforschen. Sie erhält in den kommenden vier Jahren insgesamt rund 3,7 Millionen Euro.

Ein wichtiges Ziel der ARENA-Forschungsgruppe ist es, zu untersuchen, ob KI-Systeme, die mit Daten unterschiedlicher Formate – mit Bildern, Sprache oder Videos, also mit multimodalen Daten – trainiert werden, abstraktere oder zumindest dem menschlichen Gehirn ähnlichere Wissensformen entwickeln. Bei diesen Arbeiten nimmt Prof. Gemma Roig, die in der Forschungsgruppe als Brückenprofessorin zwischen Informatik und Psychologie fungiert, eine tragende Rolle ein.

Umgekehrt interessiert die Psycholog:innen und Neurowissenschaftler:innen, wie gut KI-Systeme die Arbeitsweise des Gehirns bei der Verarbeitung abstrakter Bedeutungen erklären können. Dazu wollen sie vergleichen, wie ein KI-System und das menschliche Gehirn arbeiten, wenn sie dieselben Aufgaben lösen. Zur Beantwortung dieser Fragestellung werden KI-Modelle als ein statistisches Werkzeug zur Analyse von Hirnaktivität verwendet, die mit den Methoden der funktionellen Magnetresonanztomographie und der Magnetenzephalographie am Brain Imaging Center am Universitätsklinikum während der Bearbeitung von Sprach- und Objekterkennungsaufgaben gemessen werden. Die Forscher:innen erwarten, dass dabei auf dem höchsten Abstraktionsgrad die gleichen Repräsentationen im Gehirn angesprochen werden.

Ein Kernstück dieser Arbeit wird die Erhebung eines sehr großen Datensatzes an Versuchspersonen sein, die in mehreren Untersuchungssitzungen eine ganze Reihe von entsprechenden Aufgaben bearbeiten, während ihre Hirnaktivität gemessen wird. „Der geplante Datensatz ist einzigartig und soll in der Zukunft auch im Sinne der Open Science mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geteilt werden“, erläutert Christian Fiebach, Sprecher der ARENA-Forschungsgruppe und Professor für Neurokognitive Psychologie am Fachbereich Psychologie.

Doch zunächst dienen die erhobenen Daten den Modellierer:innen in der ARENA-Forschungsgruppe, zu erforschen, ob sie KI-Systeme nach dem biologischen Vorbild des menschlichen Gehirns flexibler und effizienter gestalten können. Hierzu werden auch Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie einbezogen. Umgekehrt möchten die Experimentator:innen von den Modellierer:innen neue Analysetechniken lernen, um ihre Modelle des Gehirns zu präzisieren. Oder anders gesagt: Wie lässt sich das neuronale Abbild der Orange im Gehirn besser entschlüsseln, und wie kann diese Erkenntnis dazu beitragen, KI-Modellen in der Zukunft ein menschenähnlicheres Wissen über die Orange zu vermitteln?

(mb)

Neue Forschungsgruppen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unter Frankfurter Sprecherschaft

In Forschungsgruppen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) werden mehrere herausragende Wissenschaftler*innen bei der gemeinsamen Bearbeitung einer Forschungsaufgabe gefördert. Diese Förderung geht über die Förderungsmöglichkeiten der DFG im Rahmen einer Einzelförderung weit hinaus. 

Fünf große Traumazentren in Deutschland, an den Universitäten Frankfurt, Ulm, Aachen, Magdeburg und Erlangen, haben sich zur DFG-Forschungsgruppe „Translational Polytrauma Research to Provide Diagnostic and Therapeutic Tools for Improving Outcomes“ (FOR 5417) verbunden, die 2022 erstmals gefördert wurde. Der Verbund unter der Sprecherschaft von Prof. Ingo Marzi vom Fachbereich Medizin der Goethe-Universität will dazu beitragen, nach einem Trauma den klinischen Verlauf besser zu erklären und vorherzusagen. Die Fördersumme für die erste Förderperiode von vier Jahren beträgt circa 3,5 Millionen Euro.

Zu den beiden weiteren neuen DFG-geförderten Forschungsgruppen lesen Sie die Beiträge „Austausch zwischen Hirnforschung und Künstlicher Intelligenz“ und „Wie sich familiäre Entscheidungen auf die Wirtschaft auswirken – und umgekehrt“.

Reinhart-Koselleck-Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Der Mikrobiologe Prof. Volker Müller hat Reinhart-Koselleck-Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingeworben, das besonders innovative und im positiven Sinne risikobehaftete Forschungsprojekte fördert. Müller erforscht erfolgreich seit Jahren, wie Essigsäure-herstellende Bakterien (Acetogene) Energie aus C02 gewinnen. Jetzt möchte er das letzte Rätsel dieser Energieerzeugung knacken.

Wie private Haushalte organisiert sind, beeinflusst Einkommen, Konsum und Vermögen in einer Volkswirtschaft. (Foto: Annie Spratt/Unplash)

Wie sich familiäre Entscheidungen auf die Wirtschaft auswirken – und umgekehrt

Singles, Paare, alleinerziehende Elternteile, Familien mit einem Kind oder mit mehreren – private Haushalte können sehr unterschiedlich aussehen. Eine neue Forschungsgruppe an der Goethe-Universität will herausfinden, wie sich das individuelle Verhalten von Haushalten einerseits und die gesamtwirtschaftliche Situation und die Familienpolitik andererseits gegenseitig beeinflussen.

Wie Einkommen, Konsum und Vermögen in einer Volkswirtschaft verteilt sind, hat viel mit den Entscheidungen zu tun, die in den einzelnen Haushalten getroffen werden. Die Forschungsgruppe „Makroökonomische Implikationen von Intra-Haushalt-Entscheidungen“ (5399) will die Verhaltensweisen einzelner Haushaltsmitglieder im Hinblick auf Konsum-, Beschäftigungs- und Investitionsmöglichkeiten stärker in den Blick nehmen und deren Wechselwirkung erforschen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) wird die Forschungen für zunächst vier Jahre mit 2,44 Millionen Euro finanzieren. Sprecher der Gruppe ist Prof. Alexander Ludwig, der an der Goethe-Universität die Professur für Public Finance and Macroeconomic Dynamics innehat. Die Forschungsgruppe besteht ausschließlich aus Frankfurter Ökonomen: Georg Dürnecker, Professor für Internationalen Handel, Entwicklung und Wachstum, die Leibniz-Preisträgerin Nicola Fuchs-Schündeln, Professorin für Makroökonomie und Entwicklung, Leo Kaas, Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomik und Arbeitsmärkte sowie die Nachwuchswissenschaftlerinnen Chiara Lacava und Dr. Zainab Iftikhar, die ebenfalls auf arbeitsmarkt- und familienökonomische Fragestellungen spezialisiert sind.

Traditionelle makroökonomische Modelle berücksichtigen die Dynamik in privaten Haushalten nicht

„Traditionelle makroökonomische Modelle berücksichtigen die Dynamik in privaten Haushalten nicht. Jeder Haushalt wird durch ein einziges Mitglied repräsentiert. Mit Hilfe komplexer Wirtschaftsmodelle können wir nun Interaktionen zwischen den Haushaltsmitgliedern in makroökonomische Modelle einführen“, erklärt Prof. Ludwig. Auf diese Weise werde man dazu beitragen, die mikroökonomischen Grundlagen der Makroökonomie noch besser zu verstehen. Das Thema Ungleichheit soll nicht nur zwischen Haushalten untersucht werden, sondern auch innerhalb von Haushalten – z.B. der ungleichen Einkommensverteilung zwischen Mann und Frau.

Die Forschungen sind in acht Projekte gegliedert, die unterschiedliche Themen bearbeiten werden. Eines der Projekte widmet sich der Frage, inwiefern die Möglichkeit, Eizellen einzufrieren und damit die Realisierung des Kinderwunsches zu vertagen, die Arbeitsbiographien von Frauen beeinflussen kann. Manche Firmen bieten dabei eine Kostenübernahme an, um so die Arbeitskraft im Betrieb halten zu können. Doch welche Auswirkungen hat dies auf die Frauen? Und auf die gesamte Volkswirtschaft? Weitere Themen sind etwa die Auswirkungen innerfamiliärer Arbeitsteilung auf die Einkommenssituation von Individuen oder die Wohnentscheidungen von Familien in Abhängigkeit von wohnungspolitischen Maßnahmen.

Die Forschenden erhoffen sich von ihrer Arbeit einen grundlegenden Erkenntniszuwachs darüber, wie ökonomische Maßnahmen wirken, die etwa durch Steuer- und Transferzahlungen Arbeitsangebots-, Spar-, Fertilitäts- und Wohnnachfrageentscheidungen beeinflussen. Diese Maßnahmen sollen hinsichtlich ihrer gesamtwirtschaftlichen Effizienz- und ihrer Verteilungswirkungen untersucht werden. Um diese Zusammenhänge sichtbar zu machen, wird etwa gefragt, inwieweit die Spezialisierung eines Partners in einer Familie auf dem Arbeitsmarkt, verursacht etwa durch die Geburt eines Kindes oder durch steuerpolitische Maßnahmen wie Ehegattensplittingtarife, zu stärkerer Ungleichheit zwischen Männern und Frauen führt. Untersucht wird auch, inwieweit dies die gesamtökonomische Effizienz verringert – z.B. durch eine verringerte Erwerbspartizipation von Frauen – oder etwa erhöht –, da eine stärkere Spezialisierung die Arbeitsproduktivität des Haupternährers im Haushalt steigert.

(asa)

Wie werden Standards des Regierens in die Praxis umgesetzt? Dazu forschen Doktoranden verschiedener Disziplinen im neuen Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“

Wie gutes Regieren funktioniert

Während immer wieder von der „Krise der Demokratie“ zu hören ist, hat sich das Konzept der „good governance“, das öffentliche und private Akteure auf Normen guten Regierens verpflichtet, weltweit verbreitet. Ein neues Graduiertenkolleg von Goethe-Universität und TU Darmstadt widmet sich der Frage, wie „Standards des Regierens“ die Möglichkeit kollektiver Selbstbestimmung verändern.

Demokratische Gesellschaften stehen heute vor großen Herausforderungen. Viele Versuche, das westliche Demokratiemodell in andere Teile der Welt zu übertragen, sind gescheitert. Der weltpolitische Einfluss autoritär regierter Staaten wie China nimmt seit Jahren zu. Während also die Demokratie als Staatsform in der Krise zu sein scheint, nimmt das Konzept der „good governance“, des guten Regierens, einen steilen Aufstieg. Es prägt mittlerweile nicht nur politische Strukturen, sondern auch Unternehmen und Einrichtungen.

Die Anforderungen der „good governance“ richten sich gleichzeitig an den öffentlichen und den privaten Sektor

Das neue standortübergreifende Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft für die nächsten fünf Jahre mit 4,4 Millionen Euro fördert, beschäftigt sich mit dem Konzept der „good governance“: Es beinhaltet allgemeine Normen wie Transparenz, Partizipation und Verantwortlichkeit („accountability“) der Regierenden, aber je nach Konzeption auch spezifischere Aspekte wie Geschlechtergerechtigkeit, Korruptionsbekämpfung und systematische Evaluation von Politik. Die Anforderungen der „good governance“ richten sich gleichzeitig an den öffentlichen und den privaten Sektor. Staaten und Kommunen, börsennotierte Unternehmen, Finanzmarktakteure und Nichtregierungsorganisationen – sie alle werden heute nach ihrer Performance auf Skalen der „good governance“ beurteilt und in Rankings gelistet.

Die innovative Leitidee des Graduiertenkollegs besteht darin, Normen des guten Regierens als Standards zu begreifen – vergleichbar technischen Normen – und zu analysieren. In der interdisziplinären Zusammenarbeit und in Kombination von empirisch-analytischer und normativer Forschung wird es etwa um die Frage gehen, wie Standards des Regierens eigentlich entstehen und warum sie kodifiziert werden. Weitere Forschungsfragen sind: Warum verbreiten sich Standards des Regierens unter Bedingungen der Transnationalisierung über Grenzen hinweg? Wie werden Standards des Regierens in die Praxis umgesetzt, und wie wird ihre Einhaltung gemessen? Wie wird versucht, diese Standards durchzusetzen, warum formiert sich Widerstand gegen solche Versuche, und können sie auch demokratischen Zwecken dienen?

Durch die Verbindung von Forschungsperspektiven, die normalerweise nicht gemeinsam betrachtet werden, soll im Kolleg auch ein Dialog zwischen politischer Theorie und Institutionenlehre und Fachdisziplinen wie der politischen Ökonomie, den Internationalen Beziehungen, der Rechtswissenschaft und der soziologischen Modernisierungsforschung stattfinden.

Das neue Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“ wurde gemeinsam von der Goethe-Universität und der Technischen Universität Darmstadt beantragt. Die Sprecherschaft hat Jens Steffek, Professor für transnationales Regieren an der TU Darmstadt inne, stellvertretende Sprecherin an der Goethe-Universität ist die Demokratieforscherin Professorin Sandra Seubert. Beide Universitäten sind mit jeweils fünf Wissenschaftlerinnen bzw. Wissenschaftlern aus den Fächern Politologie und Soziologie, Philosophie und Rechtswissenschaft beteiligt. Das Kolleg ist interdisziplinär angelegt und dient der Qualifikation von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.

„Es ist eine zentrale Herausforderung dieses Graduiertenkollegs, die demokratiewissenschaftlichen Großtheorien auf empirische Studien herunterzubrechen“, sagt Prof. Sandra Seubert. So könnten die wichtigsten Thesen in der Kooperation überprüft werden. Goethe-Universität und TU Darmstadt gehören zum Hochschulverbund der Rhein-Main-Universitäten und bieten die standortübergreifenden Masterstudiengänge „Internationale Studien, Friedens- und Konfliktforschung“ sowie „Politische Theorie“ an.

Insgesamt sieht das Kolleg zunächst zwei Gruppen mit jeweils zehn Promovierenden vor. Dabei gehe es nicht nur um die Nachwuchsgewinnung für die Wissenschaft, betont Seubert: „Angesichts der Aufgaben und Probleme, vor denen demokratische Gesellschaften heute stehen, ist es sehr wichtig, junge Menschen für unterschiedliche Bereiche der Politik gut auszubilden und das wissenschaftlich generierte Wissen mit der Gesellschaft zu verbinden.“

(asa)

Erforschen auf verschiedene Weise die Zukunft: Professorinnen und Professoren am neuen Graduiertenkolleg „Fixing Futures“ (obere Reihe, von links nach rechts): Thomas Lemke (Foto: Mafra Merielli), Martina Klausner (Foto: privat), Peter Lindner (Foto: A. Nikulin), Thomas Scheffer (Foto: Uwe Dettmar), (untere Reihe, von links nach rechts): Marc Boeckler (Foto: privat), Lizzie Richardson (Foto: privat), Barbara Brandl (Foto: Jan-Frederik Bandel), Josef Barla (Foto: Merielli Mafra), Gisela Welz (Foto: privat).

Wie Zukunft „repariert“ werden kann

Wie bereitet man sich auf zukünftige Ereignisse vor? Welche Rolle spielen dabei neue Technologien? Und was ist, wenn alles anders kommt als erwartet? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das neue Graduiertenkolleg „Fixing Futures“ an der Goethe-Universität.   

Menschen haben sich schon immer Gedanken gemacht, was die Zukunft bringen könnte. Aber noch nie war die Frage so drängend wie heute. Die Gesellschaften der Gegenwart sind mit neuartigen politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen konfrontiert – zum Beispiel in Zusammenhang mit der Erderwärmung, mit Pandemien und immer wieder neuen Fluchtbewegungen. Um für die Zukunft gewappnet zu sein, werden Szenarien und Problemlagen antizipiert und häufig technologische Lösungen vorbereitet. Die Zukunft wird „fixiert“ – wobei das englische Wort „to fix“ in seiner Doppeldeutigkeit benutzt wird: „Einerseits geht es darum, Zukünfte festzulegen, damit man sich darauf einstellen kann. Andererseits beinhaltet es auch, dass als defizitär gesehene Zukünfte repariert werden“, erklärt Prof. Lemke, der im Kolleg mit acht weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammenarbeiten wird. Außer der Soziologie und der Kulturanthropologie ist auch das Fach Humangeographie am Graduiertenkolleg beteiligt.

Wie bereitet man sich auf Ereignisse vor, die man für die Zukunft erwartet? Welche Vorkehrungen werden getroffen? Wie begründet man diese Entscheidungen? Und was ist, wenn die Zukunft doch anders aussieht und man nicht vorbereitet ist? Derartige Fehleinschätzungen können gravierende Folgen haben. Untersucht werden sollen die drei Bereiche Economies, Governance und Life. Auffällig sei, dass in allen Bereichen technologische Lösungen angeboten werden – und dass die Entscheidungen darüber oft dem Individuum überlassen sind. Als Beispiel nennt Lemke das so genannte social freezing, bei dem der Kinderwunsch in die Zukunft verschoben wird im Interesse der Karriere. „Man fragt sich: Warum werden diese Dinge nicht gesellschaftlich diskutiert?“, sagt Lemke. Ob Genbank für aussterbende Tierarten oder Umstieg auf E-Mobilität – oft setze man auf das Credo: „Technologien werden uns retten“ – dabei könnte man auch darüber nachdenken, wie die Probleme ursächlich angegangen werden könnten. Hier spielten auch Machtverteilungen eine große Rolle, was besonders beim Thema Klimawandel offenkundig ist: Diejenigen, die am meisten unter den Folgen leiden, sind weder für die Ursachen verantwortlich noch haben sie nennenswerte Mitsprache bei Lösungsansätzen.

Das Graduiertenkolleg „Fixing Futures“ knüpft an den Masterstudiengang „Science and Technology Studies. Economies, Governance, Life“ und das interdisziplinäre Forschungsnetzwerk „Lab for Studies in Science and Technology“ an und bietet neue Perspektiven für junge Forscherinnen und Forscher, die sich in diesem Bereich qualifizieren wollen. Die Sprecherschaft liegt beim Soziologen Prof. Thomas Lemke, Ko-Sprecherin ist die Kulturanthropologin Prof. Dr. Gisela Welz. Zehn Promovierende und zwei Post-docs werden im Graduiertenkolleg forschen – und so für eine Vielzahl von Berufsfeldern und Einrichtungen im akademischen Bereich und darüber hinaus vorbereitet werden.

(mb/pb)

Graduiertenkollegs

Graduiertenkollegs begleiten junge Wissenschaftler in ihrer Promotionsphase. Zugleich bereiten sie sie auf den Arbeitsmarkt „Wissenschaft“ vor. Die Goethe-Universität hat im Jahr 2022 zwei neue Graduiertenkollegs hinzugewonnen: Das Graduiertenkolleg „Fixing Futures“ befasst sich mit der Antizipation von „Zukünften“ und damit, wie sich Gesellschaft und Individuum darauf vorbereiten. Ein weiteres, gemeinsam mit der TU Darmstadt eingeworbenes Graduiertenkolleg widmet sich der Frage, wie „Standards des Regierens“, die öffentliche und private Akteure auf Normen guten Regierens verpflichten, die Möglichkeit kollektiver Selbstbestimmung verändern.

Förderstart für die beiden Graduiertenkollegs „Fixing Futures“ und „Standards des Regierens“ ist der 1. April 2023, Laufzeit ist zunächst fünf Jahre. Anschließend ist eine Fortführung für weitere vier Jahre möglich.

Das Graduiertenkolleg „Auflösung von Entzündungsreaktionen“ der Goethe-Universität wird für viereinhalb weitere Jahre fortgesetzt. Das Graduiertenkolleg befasst sich mit der relativ jungen Erkenntnis, dass auch das Abklingen einer Entzündung aktiv durch den Körper gesteuert wird, und will erforschen, wie dieser Prozess auf zellulärer und molekularer Ebene abläuft.

Ausgezeichnet in der Forschung

Prof. Ralf Brandes,

Direktor des Instituts für Kardiovaskuläre Physiologie, erhält für seine Beträge zur Physiologie und Pathophysiologie von Blutgefäßen gemeinsam mit zwei weiteren Preisträgern den Robert-Pfleger-Forschungspreis 2020. Die Preisträger erhalten zusammen ein Preisgeld von 60.000 Euro. Der Robert-Pfleger-Forschungspreis, der diesmal wegen der Corona-Maßnahmen nachträglich verliehen wurde, gehört zu den höchstdotierten Medizinpreisen in Deutschland.

Mediziner Prof. Dr. Ralf Brandes erhält Robert Pfleger-Forschungspreis

Prof. Stefanie Dimmeler,

Direktorin des Instituts für Kardiovaskuläre Regeneration im Zentrum für Molekulare Medizin, erhält für ihre bahnbrechenden Arbeiten auf dem Gebiet der Herz-Kreislauf-Erkrankungen die Otto-Warburg-Medaille. Verliehen wird der Preis in Höhe von 25.000 Euro von der Gesellschaft für Biochemie und Molekularbiologie (GBM) und Elsevier/BBA.

Otto-Warburg-Medaille 2022 geht an Stefanie Dimmeler

Dr. Sebastian Eckart und Prof. Thomas Wilhelm,

Mitglieder des Fachbereichs Physik, werden mit hochrangigen Preisen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft ausgezeichnet: Für seine Beiträge zu fundamentalen Fragen der Quantenmechanik erhält Dr. Sebastian Eckart vom Institut für Kernphysik den mit 7.500 Euro dotierten Gustav-Hertz-Preis. Prof. Dr. Thomas Wilhelm vom Institut für Didaktik der Physik wird mit dem Robert-Wichard-Pohl-Preis und einem Preisgeld von 5.000 Euro für seine herausragenden Verdienste um die Modernisierung der Didaktik der Physik geehrt.

Deutsche Physikalische Gesellschaft ehrt Sebastian Eckart und Thomas Wilhelm von der Goethe-Universität

Prof. Ingrid Fleming,

Direktorin des Zentrums für Molekulare Medizinerhält, erhält den Ernst Jung-Preis für Medizin 2022 für ihre Erforschung der molekularen Ursachen von Gefäßerkrankungen im Zusammenhang mit Diabetes sowie Kreislauferkrankungen. Weiterer Preisträger ist der Heidelberger Virologe Prof. Ralf Bartenschlager.

Diabetesforschung: Ingrid Fleming erhält Ernst-Jung-Preis für Mediziner

Prof. Luciano Rezzolla,

Direktor des Instituts für Theoretische Physik, ist von der Falling Walls Foundation in ihre Shortlist für die wissenschaftlichen Durchbrüche des Jahres „Falling Walls Science Breakthrough of the Year 2022“ aufgenommen worden. Die von Rezzolla aufgebaute Recheninfrastruktur half dem Horizon-Teleskop, die ersten Schwarzen Löcher zu bestätigen.

Prof. Roser Valenti und Prof. Luciano Rezzolla,

beide Institut für Theoretische Physik, bekommen eine Laureatus-Professur für herausragende Leistungen in Forschung und Lehre. Rezzolla erhält die Carl Wilhelm Fueck-Laureatus-Professur für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Theoretischen Astrophysik.  Valenti wird mit der Stefan Lyson-Laureatus-Professur für ihre Leistungen in der Forschung auf dem Gebiet der Theoretischen Festkörperphysik geehrt.

Frankfurter Physik feiert Laureatus-Professuren an der Goethe-Universität

PD Dr. Martina Wernli,

Institut für Deutsche Literatur und ihre Didaktik, erhält den Barbara und Piergiuseppe Scardigli-Preis zur Förderung der geisteswissenschaftlichen Fächer 2022. Sie erhält die Auszeichnung für ihre Habilitation „Federn lesen. Eine Literaturgeschichte des Gänsekiels von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert“. 

akademische Feier 2022 der Vereinigung von Freunden und Förderern der Goethe-Universität Frankfurt

Prof. Harald Schwalbe,

Chemiker und Spezialist für Kernspinresonanz-(NMR)-Spektroskopie, wird mit dem Richard-R.-Ernst-Preis für Magnetische Resonanz der internationalen EUROMAR-Konferenz in Utrecht ausgezeichnet. Er erhält den Preis in Höhe von 15.000 Euro für seine wegweisenden Beiträge zur Entwicklung und Anwendung neuartiger Methoden in der biomolekularen NMR-Spektroskopie.

Harald Schwalbe erhält Richard-R.-Ernst-Preis für Magnetische Resonanz

Prof. Thomas Wilhelm,

Institut für Didaktik der Physik, erhält für seine Forschungen den mit 5.000 Euro dotierten Wissenschaftspreis der Frankfurter Physik 2021.

Wissenschaftspreis für Physikdidaktiker Thomas Wilhelm

Prof. Bonnie Bassler und Prof. Michael Silverman

werden nachträglich mit dem Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis 2021 geehrt. Ihre Entdeckung, wie Bakterien miteinander kommunizieren, eröffnete den Weg zu einer neuen Antibiotikaklasse. Der Preis wird von der Paul Ehrlich-Stiftung vergeben, einer rechtlich unselbstständigen Stiftung der Vereinigung von Freunden und Förderern der Goethe-Universität.

Prof. Katalin Karikó, Prof. Ugur Sahin und Dr. Özlem Türeci

erhalten den Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis 2022. Sie werden ausgezeichnet für die Erforschung der messenger RNA (mRNA), die in der spektakulär schnellen Entwicklung eines hochwirksamen Impfstoffs gegen Covid-19 gipfelte. Ihre Erkenntnisse bieten zudem aussichtsreiche Perspektiven im Kampf gegen Krebs.

Resistente Bakterien und pandemische Viren im Visier: Doppelpreisverleihung in der Frankfurter Paulskirche

Dr. Laura Hinze

Wissenschaftlerin an der Medizinischen Hochschule Hannover, erhält den Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis 2022. Die Preisträgerin wird für ihren bedeutenden Beitrag zum Verständnis der Signalübertragung in Krebszellen ausgezeichnet.

Herausragende Forschung zur Krebsresistenz: Laura Hinze erhält Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis

Prof. Frederick W. Alt und Prof. David G. Schatz

erhalten den Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis 2023. Frederick W. Alt von der Harvard Medical School und David G. Schatz von der Yale Medical School werden vom Stiftungsrat für die Entdeckung von Molekülen und Mechanismen ausgezeichnet, die unser Immunsystem zu der Leistung befähigen, Milliarden verschiedener Antigene schon beim ersten Kontakt zu erkennen. Die Preise werden am 14. März 2023 verliehen.

Frederick W. Alt und David G. Schatz werden mit dem Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis 2023 ausgezeichnet

Prof. Erin Schuman,

Neurowissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Hirnforschung und Kooperationsprofessorin an der Goethe-Universität, erhält den diesjährigen FEBS | EMBO Women in Science Award. Schuman erhält den Preis für ihre herausragenden Forschungsarbeiten zur synaptischen Plastizität – der Verstärkung und Abschwächung von Synapsen – und ihr Engagement für die Förderung von Frauen in der Wissenschaft

Erin Schuman erhält den FEBS | EMBO Women in Science Award 2022

Mit mehr als 600 beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist ATHENE das größte Forschungszentrum für Cybersicherheit in Europa (Foto: Fraunhofer Institut)

Geballte Expertise für Cybersicherheit

Die Cybersicherheit von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat schützen und Bedrohungen abwehren – das ist das Ziel von ATHENE, dem Nationalen Forschungszentrum für angewandte Cybersicherheit. Seit Ende 2022 wirkt die Goethe-Universität an Europas größtem Forschungszentrum für Cybersicherheit mit.

Nahezu jedes Unternehmen wird Opfer von IT-basierten Angriffen. Und die Angreifer werden immer professioneller, hat der Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche Bitkom ermittelt. Cybersecurity will diese Bedrohungen von Gesellschaft, Staat und Wirtschaft abwehren. Das Nationale Forschungszentrum für angewandte Cybersicherheit ATHENE bündelt die Cybersecurity-Aktivitäten verschiedener Spitzenforschungseinrichtungen. Seit Ende 2022 verstärkt und ergänzt die Goethe-Universität die Cybersicherheitsforschung von ATHENE – vor allem mit ihren Kompetenzen im Bereich der Rechtswissenschaften, Medizin und Finanzwissenschaften.

„Das innovative Kooperationsmodell von ATHENE“, so Universitätspräsident Prof. Enrico Schleiff, „bietet uns einzigartige Möglichkeiten, die Herausforderungen einer zunehmend digitalen Welt zu erforschen und auch Lösungen und Antworten für Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zu entwickeln. Der Beitrag der Goethe-Universität liegt dabei besonders auf System- und Netzwerksicherheit, auf Sicherheit von Hochleistungsrechnen sowie Datenschutz und rechtlichen Aspekten der Cybersicherheit. Außerdem sehen wir ATHENE als bedeutendes Element für den weiteren Ausbau des Standorts Rhein-Main, der in der IT-Sicherheit international führend ist.“

Im ATHENE-Board wird die Goethe-Universität vertreten durch Prof. Haya Shulman, die im Februar 2022 auf eine LOEWE-Spitzenprofessur für Cybersicherheit an das Institut für Informatik der Goethe-Universität berufen wurde. Sie leitet die Abteilung Cybersecurity Analytics and Defenses am Fraunhofer-Institut SIT in Darmstadt und koordiniert den Forschungsbereich Analytics Based Cybersecurity am Nationalen Forschungszentrum für angewandte Cybersicherheit ATHENE.

Das Nationale Forschungszentrum für angewandte Cybersicherheit ATHENE ist ein Forschungszentrum der Fraunhofer-Gesellschaft, an dem die Fraunhofer-Institute für Sichere Informationstechnologie (SIT) und für Graphische Datenverarbeitung (IGD), die Technische Universität Darmstadt, die Hochschule Darmstadt und nun auch die Goethe-Universität mitwirken. Mit mehr als 600 beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, darunter 50 Professorinnen und Professoren, ist ATHENE das größte Forschungszentrum für Cybersicherheit in Europa und die führende wissenschaftliche Forschungseinrichtung in Deutschland. In rund 100 Forschungsprojekten in aktuell 13 Forschungsbereichen widmet sich ATHENE den wichtigen Herausforderungen der Cybersicherheit für Gesellschaft, Wirtschaft und Staat. ATHENE arbeitet mit führenden Forschungseinrichtungen aus der ganzen Welt; besondere Beziehungen unterhält das Forschungszentrum mit Israel, wo es gemeinsam mit der Hebräischen Universität in Jerusalem die Fraunhofer-Innovationsplattform für Cybersicherheit betreibt.

ATHENE ist ein auf Dauer eingerichtetes Forschungszentrum der Fraunhofer-Gesellschaft und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMKW) gefördert. Im Jahr 2022 betrug die Förderung rund 23 Mio. Euro.

(pb)

Shulman: „Wir arbeiten gerade an einem Pilotprojekt, in dem es darum geht, eine `Zero Trust Architektur‘ für wissenschaftliche Einrichtungen aufzubauen“ (Foto: Fraunhofer-Institut)

Sich irgendwo einzuhacken, gehört auch zu meiner Arbeit

Was ist eigentlich Cybersicherheit? Sicherheit zu entwickeln, bedeutet, über Schwachstellen nachzudenken. Informatikprofessorin Prof. Haya Shulman über die Gefahren von Cyberangriffen und wie man Institutionen künftig besser schützt.

Frau Professorin Shulman, Sie besetzen eine LOEWE-Professur an der Goethe-Universität. Sie sind aber auch Leiterin der Abteilung Cybersecurity Analytics and Defences (CAD) am Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie SIT in Darmstadt und Koordinatorin des Forschungsbereichs Analytics Based Cybersecurity am Nationalen Forschungszentrum für Angewandte Cybersicherheit ATHENE. Das ist eine lange Reihe wichtiger Ämter und Funktionen, lassen sich diese gut und produktiv verbinden?

Haya Shulman: Die Kombination ist perfekt. Das Thema Cybersicherheit braucht Interdisziplinarität, und die Goethe-Universität verfügt über eine breite fachliche Exzellenz – nicht nur in der Informatik, sondern auch in der Mathematik, in der Medizin, in der Rechts- und Wirtschaftswissenschaft. Das Fraunhofer-Institut wiederum besitzt Expertise in der Forschung zur angewandten Cybersicherheit. Wir forschen nicht nur zu rein technischen Aspekten, sondern wir kombinieren das auch mit anderen Disziplinen, um für alle damit verbundenen Fragen Lösungen zu finden. Beispielsweise ist die Cyberabwehr ein wichtiges Thema für Deutschland, Europa und auch die USA. Es geht nicht nur darum, die richtige Technologie zu entwickeln, um Cyberangriffe abzuwehren, sondern auch die damit verbundenen rechtlichen und politischen Fragen im Blick zu behalten. Eine in diesem Zusammenhang gerade für Europa wichtige Frage: Wie erkennt man nicht vertrauenswürdige Technologien, auf welcher Basis trifft man da Entscheidungen? Es handelt sich bei Softwareprodukten auch nicht um einen deutschen, sondern um einen europäischen Markt. Es muss also auf europäischer Ebene entschieden werden, welche Produkte nicht mehr verkauft werden dürfen.

Einmal laienhaft gefragt: Womit beschäftigen Sie sich in Ihrer Arbeitszeit als Cyber-Expertin hauptsächlich? Müssen Sie beispielsweise auch programmieren oder sich testweise irgendwo einhacken?

Ja, sich irgendwo einzuhacken gehört auch zu meiner Arbeit. Normalerweise mache ich eine erste Überprüfung, um Schwachstellen in einem System, in einem Protokoll oder auf einer Plattform zu finden. Danach übergebe ich das an mein exzellentes Team aus wissenschaftlichen Mitarbeitenden und studentischen Hilfskräften. Das Team analysiert und evaluiert dann die Sicherheitslücken mit verschiedenen Methoden und in verschiedenen Konfigurationen. Das Ziel ist es, Probleme in der Sicherheitsarchitektur noch vor den Hackern zu finden und nach Möglichkeit zu beheben.
Haya Shulman forscht und lehrt auf einer LOEWE-Professur an der Goethe-Universität, leitet die Abteilung Cybersecurity Analytics and Defences (CAD) am Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie SIT in Darmstadt und koordiniert den Forschungsbereich Analytics Based Cybersecurity am Nationalen Forschungszentrum für Angewandte Cybersicherheit ATHENE.

(Foto: Farideh Diehl)

Man kennt das Prinzip im Alltag: Ein besseres Schloss an der Wohnungstür bietet auch nur begrenzten Schutz, weil der Einbrecher neue Technologien entwickelt, um das Schloss zu knacken, was dann wiederum neue Sicherheitsmaßnahmen erfordert und so weiter. Muss man sich den Kampf um sichere IT-Strukturen ähnlich vorstellen?

Die Frage stellt sich, was eigentlich IT-Sicherheit ist. Diejenigen, die eine Struktur aufbauen, müssen darüber nachdenken, dass und wie sie funktioniert. Wer sich mit IT-Sicherheit beschäftigt, ob als Hacker oder als Verteidiger, muss dagegen darüber nachdenken, was schiefgehen kann. Es ist auch sehr spannend, einen Schwachstelle zu entdecken, etwas, was der andere verstecken will oder übersehen hat. Daher hat IT-Sicherheit etwas mit dem Schachspielen gemeinsam. Der Unterschied besteht aber darin, dass man sich immer neue Regeln ausdenken muss. Man kann nicht im Voraus berechnen, was der Gegner machen wird, wie und wann er das System angreifen wird.

Auch Hochschulen sind gefährdet, wie einige Fälle der jüngeren Vergangenheit gezeigt haben. Kann man Hochschulen gegen Cyberangriffe ausreichend wappnen?

Hochschulen sind als Organisationen besonders gefährdet: Es gibt sehr heterogene Nutzergruppen, die einen Zugriff auf die IT von außen haben, der nicht gut gesichert ist. Oft richten Fachbereiche oder sogar einzelne Lehrstühle eine eigene Infrastruktur ein. Hier wäre mehr Homogenität wünschenswert. Es gibt also mehr Schwachstellen als in anderen Organisationen, wenngleich es bislang noch nicht viele Cyberangriffe auf Hochschulen gegeben hat. Wir haben jetzt in ATHENE eine Sicherheitsstudie zu allen deutschen Universitäten erstellt. Welche Lücken, welche Schwachstellen gibt es im System, welche Credentials, also Berechtigungsnachweise, findet man im Darknet? Ein wichtiges Ergebnis lautet: Es gibt nur wenige überzeugend sichere Unis. Wir haben im Darknet die Login-Daten verschiedener Sektoren von 2018 bis heute angeschaut, die geleakt wurden. Man erkennt, dass die Unis schlechter dastehen als zum Beispiel Organisationen aus den Bereichen IT, KI oder Finanzen. So sind zum Beispiel die verwendeten Passwörter im Durchschnitt von geringerer Qualität. Wir arbeiten gerade an einem Pilotprojekt, in dem es darum geht, eine „Zero Trust Architektur“ für wissenschaftliche Einrichtungen aufzubauen. Es handelt sich um das erste Projekt dieser Art in Deutschland. Bei der „Zero Trust Architektur“ handelt es sich um ein schon länger bekanntes Konzept. Konventionelle Sicherheitsarchitekturen sind darauf ausgerichtet, das Netz einer Organisation durch eine Firewall zu schützen, die Angriffe von außen blockieren und filtern soll. Diese Art der Sicherheit bedeutet nun aber auch, dass derjenige, der eine Schwachstelle findet, ins Netz gelangt und dort auf alle Server zugreifen kann. „Zero Trust“ bedeutet demgegenüber, dass man gewissermaßen niemandem traut und jeden Datenzugriff auf Vertrauenswürdigkeit überprüft. In dem Projekt, das Goethe-Universität und Fraunhofer SIT gemeinsam im Rahmen von ATHENE und mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung durchführen, steht die Frage im Fokus: Welche Technologien passen zu Deutschland? Das Thema hat auch eine hohe strategische Bedeutung für das Bundesministerium des Inneren und für das Auswärtige Amt. Geplant ist, die entwickelte „Zero Trust Architektur“ im Anschluss auch für andere Bereiche zu verwenden.

Stellt jede/r Nutzer/in der digitalen Hochschulinfrastruktur potenziell eine Gefahr dar, wenn schadhafte Mails nicht erkannt werden?

Müssen Mitarbeitende und Studierende dringend sensibilisiert und gegebenenfalls noch stärker geschult werden? Ja, das ist ein wichtiger Aspekt: Studierende und Mitarbeitende müssen definitiv geschult werden. Man darf auch nicht Auto fahren ohne Führerschein. Wenn man IT verwendet, ohne ein Verständnis der möglichen Gefahren zu haben und zu wissen, wie man diese vermeiden kann, stellt man eine Sicherheitslücke da. Und zwar nicht nur für sich, sondern für das ganze System. Wir haben vor der letzten Bundestagswahl alle im Bundestag vertretenen Parteien in Sachen Cybersicherheit beraten und Workshops angeboten, um die Verantwortlichen zu sensibilisieren: zum Beispiel für gefälschte E-Mails oder Phishing. Wenn jemand damit noch keine Berührung hatte, kann man ihm oder ihr das Wissen und die Kompetenzen gut vermitteln.

Die Fragen stellte Dirk Frank. Eine längere Version des Interviews erschien im UniReport 6.22.

Die interdisziplinären Teams aus Klinik, Tumorbiologie, Chemie und Bioinformatik werden für jedes Querschnittsprogramm eigens zusammengestellt (Foto: Georg-Speyer-Haus © Andreas Reeg)

Wo Wissenschaft und medizinische Praxis zusammenarbeiten

Im „Frankfurt Cancer Institute“ (FCI) untersuchen Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen, wie sich Tumore entwickeln und Resistenzen bilden, und entwickeln dazu neue Therapien. Dabei arbeiten klinische Praxis und interdisziplinäre Wissenschaft eng zusammen. Für seine erfolgreiche Krebsforschung wurde das LOEWE-Zentrum erneut vom Land gefördert.

Die Fragen der Wissenschaftler entstehen am Krankenbett. Warum schlägt bei vielen Patientinnen und Patienten mit Enddarmkrebs eine Chemotherapie an, warum bei einigen aber nicht? Die enge Zusammenarbeit von Ärzt*innen mit Wissenschaftler*innen im Frankfurt Cancer Institut (FCI) verbindet Klinikalltag und Forschung und sorgt für praxisnahe Ergebnisse. Was also – so etwa die Frage, die sich den Wissenschaftler*innen aus der Praxis stellt – passiert im Körper derjenigen, deren Tumorzellen sich gegen eine Krebstherapie resistent zeigen? Und wie können auch diese Patientinnen und Patienten therapiert werden?

Im FCI forschen unter Federführung der Goethe-Universität Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen des Georg-Speyer-Hauses gemeinsam mit anderen Einrichtungen in sogenannten Querschnittsprogrammen. Diese Forschungsvorhaben aus interdisziplinären Teams, so das FCI auf seiner Webseite, bilden das „Herzstück des FCI“. Die Teams aus Klinik, Tumorbiologie, Chemie und Bioinformatik werden für jedes Querschnittsprogramm eigens zusammengestellt. Im Fall des Enddarmkrebses haben sich Ärztinnen und Ärzte aus der Klinik für Strahlentherapie und Onkologie, dem Universitären Centrum für Tumorerkrankungen (UCT) und anderen Teilen des Universitätsklinikums Frankfurt mit Wissenschaftler*innen aus dem Georg-Speyer-Haus zusammengetan. Ein Resultat ihrer Forschung: Nicht die Tumorzelle selbst löst die Resistenz gegen die die Standard-Radiochemotherapie aus; es ist die Umgebung der Zelle, das sogenannte Tumormikromilieu mit seinen entzündlich veränderten Bindegewebszellen. Diese Zellen, fanden die Forscher*innen heraus, werden durch eine Bestrahlung sogar noch resistenter. Wird in ihnen allerdings ein bestimmter entzündungsfördernder Botenstoff namens IL-1a gehemmt, nimmt die Entzündungsreaktion ab, der Krebs wird durch Bestrahlung wieder angreifbar. Dr. Adele Nicolas, Wissenschaftlerin aus dem Georg-Speyer-Haus und Erstautorin der Studie, weist auf den zweifachen Effekt ihrer Laborforschung hin: „Wir konnten unseren Kolleginnen und Kollegen aus der Klinik dabei helfen, resistente Enddarmtumore wieder für die Therapie sensitiv zu machen; und wir konnten ihnen eine Methode an die Hand geben, betroffene Patientinnen und Patienten auf eine Therapieresistenz zu screenen und herauszufinden, bei wem voraussichtlich eine antientzündliche Begleittherapie hilfreich sein könnte.“

(Foto: Georg-Speyer-Haus © Andreas Reeg)

Diese Ergebnisse der translationalen, also im engen Austausch mit der Praxis entwickelten Forschung wurden Anfang 2022 veröffentlicht. Im Oktober desselben Jahres folgte eine weitere Publikation zur Behandlung von Enddarmkrebs, erneut von einem Forschungsteam, das von Prof. Florian Greten vom Georg-Speyer-Haus, Institut für Tumorbiologie und experimentelle Therapie und der Goethe-Universität geleitet wurde. Ausgangspunkt war wiederum das Tumormikromilieu: Es schränkt, so die Erkenntnis des Teams, die Wirkungskraft von T-Zellen ein, die die natürliche Immunantwort unseres Körpers gegen Krebs darstellen. Die Folge ist ein unkontrolliertes Wachstum des Tumors. Dieses Wachstum kann der Studie zufolge jedoch gestoppt werden, indem man gealterte und geschädigte Mitochondrien, die „Kraftwerke“ der Zellen, entfernt. In der Folge entstehen in den T-Zellen neue, funktionsfähige Mitochondrien, die die Zellen wieder „schlagkräftig“ machen. Ein Stoff, der diesen Prozess in Gang setzt, ist Urolithin A, ein Stoffwechselprodukt aus dem Granatapfel, das die Funktion von Immunzellen in ihrem Kampf gegen Krebs nachhaltig verbessert. In der Therapie von Personen mit Darmkrebs konnte Urolithin A über die Nahrung zugeführt und auch in menschliche T-Zellen im Labor induziert werden. Die Wirkung wird jetzt in Rahmen klinischer Studien an Patienten erprobt.

Ende 2022 hat das Land Hessen zugesagt, das FCI mit 18 Millionen Euro für weitere drei Jahre zu fördern. Die erfolgreiche Krebsforschung am 2019 gegründeten LOEWE-Zentrum kann also weitergehen. Für Prof. Greten, Direktor des Georg-Speyer-Hauses und Sprecher des FCI, ist diese Förderung eine Bestätigung für das interdisziplinäre Konzept des FCI und das innovative Forschen in Querschnittprogrammen: „Damit haben wir bereits in der Aufbauphase des FCI geschafft, den kompletten Prozess von der klinischen Fragestellung über die Grundlagenforschung und Therapieentwicklung bis hin zur klinischen Studie in einem interdisziplinären Zentrum abzubilden.“ Den drei bestehenden Querschnittsprogrammen – der Erforschung von gastrointestinalen Tumoren, akuter myeloischer Leukämie (kurz AML), also Blutkrebs, und Hirntumoren – soll nun ein weiteres, viertes Querschnittsprogramm hinzugefügt werden, in dem es um Metastasenbildung gehen soll. Wie Universitätspräsident Prof. Enrico Schleiff anlässlich der zweiten Förderzusage äußerte, soll es für das FCI bald auch ein eigenes Domizil mit optimalen Arbeitsbedingungen geben. „Ein sichtbarer Ausdruck der Verstetigung“, so Schleiff, „sind die Bauvorbereitungen auf unserem Campus Niederrad für ein eigenes, hochmodernes FCI-Forschungsgebäude.“

(mb/pb)

Von Bund und Land gefördert: Weitere Forschungsprojekte unter Federführung der Goethe-Universität

Haushaltsbarometer

Prof. Andreas Hackethal, Leiter der Forschungsabteilung Household Finance am Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE und Professor am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, entwickelt mit seinem Team ein neues „Haushaltsbarometer“, das detaillierte Echtzeit-Einblicke in die wirtschaftliche Lage von Privathaushalten gibt. Damit übernimmt Hackethal die Leitung für ein Teilprojekt in dem internationalen Konsortium EuroDaT. Gefördert wird EuroDat über das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWi) für die Dauer von zwei Jahren. 

SAFE startet neues „Haushaltsbarometer“ zu Finanzdaten privater Haushalte


Mobilitätswende

Das Projekt „Die Gestaltung der Energie- und Mobilitätswende als sozial-ökologische Transformation in der Region FrankfurtRheinMain“ (transform-R) entwickelt ein Leitbild für die Mobilitätswende in der Region. Dabei sollen alle relevanten Akteure einbezogen und besser koordiniert werden. Darüber hinaus sollen in vier dreijährigen Reallaboren innovative Maßnahmen für die Region erprobt werden. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

AG Mobilitätsforschung Arbeitsgruppe Mobilitätsforschung, Institut für Humangeographie, Goethe-Universität Frankfurt a.M. transform-R Die Gestaltung der Energie- und Mobilitätswende als sozial-ökologische Transformation in der Region FrankfurtRheinMain


Forschungszeit für Fachärzte

Fachärztinnen und -ärzte am Universitätsklinikum Frankfurt können nun einen Teil ihrer Arbeitszeit der Forschung widmen, und zwar der Erforschung von Infektionskrankheiten. Möglich macht das Programm INITIALISE – Innovations in Infection Medicine durch die Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).

Millionenförderung schafft Freiraum für Forschung zu Infektionskrankheiten


Lernen mit Geländer

2022 startet das Projekt „Multiprofessionelle Kooperation und Professionalisierung zur fachbezogenen Sprachbildung im schulischen Ganztag“ (KoPaS) am Fachbereich Erziehungswissenschaften. Ziel ist es, die fachliche und sprachliche Lernentwicklung von Grundschulkindern der Jahrgangsstufen 3 und 4 zu fördern – und zwar in der Interaktion mit kompetenten Lehrkräften und unter der Berücksichtigung individueller Mehrsprachigkeit. Das Projekt wird an den drei Projektstandorten Frankfurt, Bamberg und Berlin umgesetzt.

KoPaS – Multiprofessionelle Kooperation und Professionalisierung zur fachbezogenen Sprachbildung im schulischen Ganztag (KoPaS)


Politische Gewalt regional erforschen

Fünf hessische Forschungsinstitute kooperieren in einem neuen Verbundprojekt zu Ursachen, Dynamiken und Effekten von politischer Gewalt: An dem interdisziplinären Projekt „Regionales Forschungszentrum – Transformations of Political Violence“ (TraCe) sind das Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konflikt­forschung (HSFK) und die Goethe-Universität beteiligt sowie die Justus-Liebig-Universität Gießen, die Philipps-Universität Marburg und die Technische Universität Darmstadt. Das Verbundprojekt, das auch die Aktivitäten der Rhein-Main-Universitäten stärkt, wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit ca. 5,2 Mio. Euro gefördert.

Politische Gewalt erforschen


Islam-Akademie fördern

Die Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG) wird für weitere fünf Jahre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Das BMBF unterstützt die Arbeit der Akademie mit 6,4 Millionen Euro.

Forschungsimpulse geben, Wissenstransfer stärken


Leberversagen erforschen

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des LOEWE-Schwerpunkts „Die ACLF-Initiative“ werden gefördert, um an einer schweren Form des Leberversagens (Akut-auf-Chronisches Leberversagen) zu forschen. Das übergeordnete Ziel ist es, neue diagnostische und therapeutische Ansätze für das Acute-on-Chronic Liver Failure (ACLF) zu entwickeln. 

ACLF-I Pathogenetische Mechanismen des Akut-auf-Chronischem Leberversagen und therapeutische Ansätze


Erfolgreiche Krebsforschung

Wegen seiner großen Erfolge in der Erforschung von Mechanismen der Tumorentwicklung und von Resistenzbildung sowie an neuen Therapien in der Krebsforschung wird das seit 2019 bestehende LOEWE-Zentrum „Frankfurt Cancer Institute“ (FCI) für weitere drei Jahre mit 18 Millionen Euro aus Landesmitteln gefördert.

LOEWE-Zentrum „Frankfurt Cancer Institute“ für weitere drei Jahre gefördert | Aktuelles aus der Goethe-Universität Frankfurt (uni-frankfurt.de)


LOEWE-Spitzenprofessuren für Virologin und Spezialistin für Cybersicherheit

Die Förderung des Landes Hessen für die Virologin Prof. Sandra Ciesek mit 1,4 Millionen Euro im Rahmen einer LOEWE-Spitzenprofessur beginnt. Ebenfalls eine LOEWE-Spitzen-Professur besetzt die Spezialistin für Cybersicherheit Dr. Haya Shulman, die dem Ruf auf eine Professur am Institut für Informatik nach Frankfurt gefolgt ist und zudem am Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie SIT in Darmstadt forscht.

LOEWE-Spitzen-Professur in Frankfurt für Cyber-Expertin Dr. Haya Shulman

(Foto: Mathias Reding/unplash)

Wenn Fake News für internationale Organisationen zum Problem werden

In ihrem Forschungsprojekt FARRIO („The Effects of Far-Right Challanges on International Organsations“) erforscht die Politikwissenschaftlerin Prof. Lisbeth Zimmermann das Erstarken der Radikalen und Extremen Rechten in der internationalen Politik. Dafür erhielt sie 2022 den ERC Starting Grant in Höhe von 1.5 Millionen Euro.

Globale und lokale Krisen haben sich in den letzten 20 Jahren gewissermaßen die Klinke in die Hand geben: Die Welt geriet von der Finanzkrise in die Corona-Pandemie, in den Krieg gegen die Ukraine und befindet sich mit dem Klimawandel in einer globalen Dauerkrise. Vor diesem Hintergrund ist das Entstehen weiterer Konflikten zunehmend wahrscheinlicher geworden – auf nationaler, aber eben auch auf internationaler Ebene. „Ich wollte immer schon verstehen, wie sich das System globalen Regierens verändert, anpasst oder resilient zeigt – wenn es etwa in Frage gestellt wird oder über Themen gestritten wird“, erklärt Lisbeth Zimmermann. Sie ist Professorin für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Internationale Institutionen und Friedensprozesse im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Private Investigator (PI) in der Clusterinitiative ConTrust.

Wie können die zunehmenden Herausforderungen für internationale Organisationen beforscht werden? „Wir versuchen in den vergangenen zwei Dekaden viel stärker, quantitative Daten über globales Regieren zu sammeln: Dazu gehören Resolutionen, Wortmeldungen von Staaten, Berichte, Protokolle und vieles mehr. Große Mengen an schriftlichem Material können heute mithilfe neuer quantitativer Methoden viel besser ausgewertet werden.“ Zum anderen, erklärt Zimmermann, werden Politikprozesse auch ganz klassisch engmaschig mit qualitativen Methoden verfolgt, beispielsweise durch teilnehmende Beobachtung bei Versammlungen und Verhandlungen. Aktuell untersucht Lisbeth Zimmermann in einem großen Projekt die transnationale Neue Rechte und ihren Einfluss auf internationale Organisationen.

Internationale Organisationen sehen in Fake News und gezielten Desinformationen eines ihrer Hauptprobleme

Die Schnittstelle zur Cluster-Initiative ConTrust ist die Frage, wann aus Streit und Konflikt ein produktives Moment entstehen kann – und damit auch neues Vertrauen. „Es geht in ConTrust um Vertrauen auf ganz verschiedenen Ebenen: um politische Konflikte, um Konflikte über sozioökonomische Verteilung, auch um Konflikte um richtiges Wissen und Expertise. Der letztgenannte ist der Teilbereich, in den ich bei ConTrust eingebunden bin“, sagt die Politikwissenschaftlerin. Wann führt neues Wissen zu Konflikten, wann wird es vertrauenswürdig? „Das ist für mich ein hochspannender Bereich, den ich noch stärker beforschen möchte. Denn internationale Organisationen sehen in Fake News und gezielten Desinformationen eines ihrer Hauptprobleme: Wenn ihr Expertenwissen zunehmend infrage gestellt wird, müssen sich Organisationen wie die OECD oder WHO überlegen, welche institutionellen Neuerungen sie durchführen müssen, um wieder als Autoritäten gesehen zu werden. Wie können sie sich zum Beispiel auf Social Media oder durch neue institutionelle Strukturen präsentieren, um als bürgernah wahrgenommen zu werden?“

Ich wollte immer schon verstehen, wie sich das System globalen Regierens über die Zeit verändert, anpasst oder resilient zeigt

Zimmermann sieht auch noch einen anderen möglichen Grund dafür, warum die Autorität und Expertise internationaler Organisationen in schwierigeres Fahrwasser geraten ist. „Heute verhandeln in diesen Organisationen immer seltener ausgebildete Diplomat*innen, dafür immer häufiger Spezialist*innen aus Ministerien oder Forschungsinstituten. Die Erwartung ist, dass in den internationalen Verhandlungen Leute agieren, die sich auskennen, und dass der politische Aspekt ihrer Arbeit dahinter zurücktritt. Das ist im Prinzip aber gar nicht so klar, denn wenn bei einer Verhandlung Teilnehmende mit sehr unterschiedlichen Expertisen aus verschiedenen Feldern und auch noch mit anderen politischen Intention aufeinandertreffen – welche Rolle spielt dann letztendlich das jeweilige Wissen? Oder anders gefragt: Wie unterschiedlich blicken Menschen mit verschiedenen ‚Wahrheiten‘ auf die Welt und ihre Konflikte? Wenn ein*e Klimaexperte/-expertin auf eine*n Wirtschaftsexperten/-expertin trifft, wie können gemeinsames Wissen und dann gemeinsame Lösungen entstehen? Und aus der Perspektive von ConTrust gefragt: Wie kann aus dieser komplexen Situation Vertrauen entstehen?“

(df)

Fünf Europäische ERC-Förderungen für Spitzenforschung

Für ihre visionären Forschungsvorhaben haben fünf Spitzenforscher:innen der Goethe-Universität von 2022 bis 2027 Fördergelder des Europäischen Forschungsrats (ERC) erhalten. Mit einem ERC Advanced Grant forschen Prof. Ivan Đikić zur Membran-Feinstruktur von Zellen, Prof. Stefanie Dimmeler zu Alterungsprozessen im Herzen und Prof. Andreas Zeiher zur Genetik von Herzklappenerkrankungen. Einen ERC Starting Grant erhalten Prof. Mirco Göpfert für seine Forschung zum Verhältnis von Humor und Politik und Prof. Lisbeth Zimmermann für ihre Studien zur transnationalen Neuen Rechten.

Stefanie Dimmeler und Ivan Đikić sind damit bereits zum dritten Mal in der Einwerbung eines ERC Grants erfolgreich. Mit den ERC Advanced Grants fördert der Europäische Forschungsrat (European Research Council, ERC) bahnbrechende Forschungsvorhaben von erfahrenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Für die Projekte erhalten sie bis zu 2,5 Millionen Euro über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren.

(Foto: Uwe Dettmar/Goethe-Universität)

Prof. Ivan Đikić,

Direktor des Instituts für Biochemie II an der Goethe-Universität Frankfurt und Max Planck Fellow am MPI für Biophysik in Frankfurt, widmet sich in seinem Forschungsprojekt ER-REMODEL („Endoplasmic reticulum remodelling via ER-phagy pathways”) einer Feinstruktur der Zelle, dem Endoplasmatischen Retikulum (ER). Als größtes Membransystem innerhalb von Zellen nimmt das ER wichtige Funktionen bei der Synthese und dem Transport von zellulären Bestandteilen wahr. Im neuen Forschungsprojekt sollen die zugrundeliegenden, genau regulierten Mechanismen untersucht werden.

(Foto: Uwe Dettmar/Goethe-Universität)

Prof. Stefanie Dimmeler,

Professorin für Molekulare Kardiologie und Direktorin des Instituts für Kardiovaskuläre Regeneration, untersucht im Forschungsprojekt Neuroheart („The cardiac neurovascular interface in aging”) Alterungsprozesse im Herzen, dabei insbesondere die Reparaturmöglichkeiten und Regeneration im Gefäßsystem und im Herzen. Damit möchte sie langfristig dazu beitragen, die molekularen Mechanismen der Herz-Reparatur zu entschlüsseln, um die Heilung nach Herzinfarkt und Herzmuskelschwäche zu beschleunigen oder deren Auftreten zu vermeiden. Stefanie Dimmeler ist Sprecherin des Exzellenzclusters Cardio-Pulmonary Institute (CPI).

(Foto: Uwe Dettmar/Goethe-Universität)

Prof. Andreas M. Zeiher 

befasst sich in seinem ERC-Projekt CHIP-AVS („Clonal hematopoesis of indeterminate potential and degenerative aortic valve stenosis”) im Schwerpunkt mit der Diagnostik und Therapie von Patienten mit koronarer Herzerkrankung und Herzinsuffizienz, einschließlich sämtlicher interventioneller Behandlungsverfahren. Dabei beschäftigt Zeiher die Risikofaktoren für die häufigste erworbene Herzklappenerkrankung, die degenerative Aortenklappenstenose. Andreas M. Zeiher ist Professor für Innere Medizin/Kardiologie und Mitbegründer des Exzellenzclusters Cardio-Pulmonary Institute (CPI), in dessen im Lenkungsausschuss er aktiv ist.

(Foto: Samuel Groesch)

Prof. Lisbeth Zimmermann

erhält einen ERC Starting Grant mit ihrem Forschungsprojekt FARRIO „The Effects of Far Right Challenges on International Organizations”.  Das Projekt ist dem Erstarken der Neuen Rechten in der internationalen Politik gewidmet. Die Politologin wird darin untersuchen, welche Effekte transnationale Aktivitäten der Neuen Rechten auf die Europäische Union, die Vereinten Nationen sowie ihre Unterorganisationen in verschiedenen Politikbereichen haben.

(Foto: privat)

Prof. Mirco Göpfert,

Professor für Ethnologie am Institut für Ethnologie, erhält ebenso einen ERC Grant: Er forscht in seinem Projekt „NoJoke“ („Humour as an epistemic practice of the political present” zum Verhältnis von Humor und Politik. Göpfert untersucht, wie die Praxis des Karikierens, der Satire und der Comedy zum Verständnis dieser mit Dissonanzen durchsetzten politischen Gegenwart beiträgt und inwieweit das Erkenntnispotenzial von Komik für die Wissenschaft selbst fruchtbar gemacht werden kann.

ERC Starting Grants unterstützen exzellente Forscherinnen und Forscher, die sich in den ersten Jahren nach ihrer Promotion ein eigenes Forschungsteam aufbauen und sich mit einem viel versprechenden Forschungsprojekt wissenschaftlich etablieren wollen. Für die Projekte erhalten sie bis zu 1,5 Millionen Euro über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren.

Das erste Bild des Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße Sagittarius A* –  hergestellt in internationaler Forschungskollaboration mit Daten eines erdumspannenden Netzes von Radioteleskopen, dem „Event Horizon Telescope (EHT)“ (Bild: EHT-Kollaboration)

Erstes Bild des Schwarzen Lochs im Herzen der Milchstraße

Am 12. Mai 2022 veröffentlichen Astronom:innen das erste Bild des supermassiven Schwarzen Lochs im Zentrum unserer Milchstraße. Theoretische Physiker der Goethe-Universität waren entscheidend an der Interpretation der Daten beteiligt.

Bereits vor einiger Zeit beobachteten Wissenschaftler:innen im Zentrum unserer Milchstraße Sterne, die etwas Unsichtbares, Kompaktes und sehr Massives umkreisen. Dies deutete stark darauf hin, dass dieses unsichtbare Objekt – bekannt als (Sgr A*, englisch ausgesprochen als „Sadge-ay-star“) ein Schwarzes Loch ist. Das lange erwartete nun veröffentlichte Bild liefert den ersten direkten visuellen Beweis dafür, dass es sich bei dem Objekt tatsächlich um ein Schwarzes Loch handelt.

Obwohl wir das Schwarze Loch selbst nicht sehen können – es ist absolut dunkel –, leuchtet das Gas rundherum auf charakteristische Weise: Das Bild von Sgr A* zeigt eine dunkle zentrale Region, den Schatten des Schwarzen Lochs, der von einem hellen, ringförmigen Muster umgeben ist. Dies ist das Licht, das durch die ungeheure Schwerkraft des Schwarzen Lochs abgelenkt wird – das Schwarze Lochhat vier Millionen Mal so viel Masse wie unsere Sonne.

„Wir waren verblüfft, wie gut die Größe des Rings mit den Vorhersagen von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie übereinstimmt“, sagt EHT-Projektwissenschaftler Prof. Geoffrey Bower vom Institut für Astronomie und Astrophysik der Academia Sinica in Taipeh/Taiwan.

Das Schwarze Loch Sgr A* ist 27.000 Lichtjahre von der Erde entfernt. Am Himmel erscheint es uns daher etwa so groß wie ein Donut auf dem Mond. Um das Schwarze Loch abzubilden, verband das EHT-Wissenschaftsteam acht über die Erde verteilte Radioteleskope miteinander zu einem virtuellen Riesenteleskop von der Größe der Erde: dem „Event Horizon Telescope (EHT)“. Mit dem EHT beobachteten sie Sgr A* über mehrere Nächte hinweg und sammelten viele Stunden lang Daten, ähnlich wie bei einer langen Belichtungszeit mit einer Kamera.

Die gewaltigen Mengen an Daten, die aus den Beobachtungen gewonnen wurden, mussten physiktheoretisch interpretiert werden – eine Aufgabe, der sich ein Forschungsteam um den theoretischen Astrophysiker Prof. Luciano Rezzolla von der Goethe-Universität widmete. Die Forscher:innen simulierten in Supercomputern anhand der bekannten Informationen über Sgr A*, wie ein Schwarzes Loch in einer Betrachtung durch das EHT aussehen könnte. Auf diese Weise generierten die Wissenschaftler:innen Millionen verschiedener Bilder. Die Bilddatenbank verglich sie mit den Tausenden Bildern, die aus den EHT-Beobachtungen gewonnen wurden, und konnte daraus die Eigenschaften von Sgr A* ableiten.

„Um zu verstehen, wie das EHT ein Bild von Sgr A* produziert hat, kann man sich zum Beispiel ein Foto von einem Berggipfel vorstellen, das auf Basis eines Zeitrafferfilms erstellt werden soll“: Luciano Rezzolla, Professor für Theoretische Astrophysik (Foto: Jürgen Lecher/Goethe-Universität)

Das Bild von Sgr A* ist das zweite Bild eines Schwarzen Lochs, das von der EHT-Kollaboration veröffentlicht wird. Das erste Bild eines Schwarzen Lochs zeigten die Wissenschaftler:innen 2019, es handelte sich um M87* im Zentrum der 55 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie Messier 87.

Die beiden Schwarzen Löcher sehen sich sehr ähnlich, obwohl das Schwarze Loch im Zentrum unserer Galaxie mehr als tausendmal kleiner ist und weniger Masse hat als M87*. Obwohl Sgr A* viel näher an der Erde liegt als M87*, war die Erstellung des Bildes erheblich schwieriger. Die Forscher:innen mussten wegen der Gaswolken, die sich um Sgr A* herumbewegen, ausgeklügelte neue Technologien entwickeln: Denn im Gegensatz zu M87*, wo alle Bilder nahezu gleich aussahen, waren die von Sgr A* sehr unterschiedlich. Das heute veröffentlichte Schwarze Loch von Sgr A* stellt daher eine Art Durchschnitt dieser unterschiedlichen Bilder dar.

Dies war nur durch die gemeinsame Arbeit von mehr als 300 Forscherinnen und Forschern aus 80 Instituten auf der ganzen Welt möglich, die die EHT-Kollaboration bilden. Fünf Jahre lang entwickelten sie neue Technologien zur Erstellung des Sgr A*-Bildes, analysierten mit Supercomputern die Daten und stellten eine bislang beispiellose Datenbank simulierter Schwarzer Löcher zusammen, um diese mit ihren Beobachtungen zu vergleichen.

Luciano Rezzolla erläutert: „Masse und Entfernung des Objekts waren bereits vor unseren Untersuchungen sehr präzise bekannt. Daher konnten wir anhand der Größe des Schattens ausschließen, dass es sich bei Sgr A* um ein anderes kompaktes Objekt wie einen Bosonenstern oder ein Wurmloch handelt und schlussfolgern: ‚Was wir sehen, sieht definitiv wie ein Schwarzes Loch aus!‘“

Wir haben drei Millionen synthetischer Bilder errechnet mit unterschiedlichen Akkretions- und Strahlungsemissionsmodellen

Die Frankfurter Physiktheoretiker nutzten fortgeschrittene numerische Codes und führten umfangreiche Berechnungen durch, um die Eigenschaften des Plasmas zu bestimmen, das vom Schwarze Loch aufgesaugt wird (Akkretion). Rezzolla: „Wir haben drei Millionen synthetischer Bilder errechnet mit unterschiedlichen Akkretions- und Strahlungsemissionsmodellen. Außerdem haben wir Varianten berücksichtigt, die durch unterschiedliche Betrachtungswinkel des Schwarzen Lochs zustande kommen.“ Letzteres war nötig, weil sich das Bild eines Schwarzen Loch radikal ändern kann, je nachdem, aus welchem Winkel es betrachtet wird. „Unsere beiden Bilder von Sgr A* und M87* sind auch deshalb sehr ähnlich, weil wir aus einem nahezu identischen Blickwinkel auf die beiden Schwarzen Löcher sehen“, erläutert Rezzolla.

„Um zu verstehen, wie das EHT ein Bild von Sgr A* produziert hat, kann man sich zum Beispiel ein Foto von einem Berggipfel vorstellen, das auf Basis eines Zeitrafferfilms erstellt werden soll“, vergleicht Rezzolla. „Im Zeitrafferfilm wird der Gipfel die meiste Zeit über sichtbar sein, aber immer wieder wird er auch von Wolken verdeckt. Wenn man aus den vielen Einzelbildern ein Durchschnittsbild macht, ist der Gipfel allerdings deutlich zu sehen. Ähnlich ist es bei Sgr A*: Die Daten des EHT haben zu Tausenden von Bildern geführt, die aufgrund ihrer Merkmale in vier Klassen gruppiert wurden, aus denen jeweils Durchschnittsbilder errechnet wurden. Das Endergebnis ist das erste deutliche Bild des Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße.“

Dass nunmehr Bilder von zwei Schwarzen Löchern sehr unterschiedlicher Größe vorliegen, ermöglicht es den Forschenden, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Schwarzen Löchern zu verstehen. Die Forschenden testen mit den neuen Daten bereits Theorien und Modelle, um besser vorhersagen zu können, wie sich Gas in der Umgebung supermassereicher Schwarzer Löcher verhält. Man nimmt an, dass dieser Prozess eine Schlüsselrolle bei der Entstehung und Entwicklung Galaxien spielt.

Die Forschungen mit dem EHT gehen weiter: Eine große Beobachtungskampagne im März 2022 schloss mehr Teleskope ein als je zuvor. Die laufende Erweiterung des EHT-Netzwerks und bedeutende technologische Upgrades werden es Wissenschaftler:innen ermöglichen, bald weitere eindrucksvolle Bilder sowie Filme von Schwarzen Löchern zu machen.

Eine Reihe von Wissenschaftler:innen sind im Rahmen der EHT-Kollaboration mit der Goethe-Universität Frankfurt assoziiert. Zusammen mit Prof. Luciano Rezzolla haben Dr. Alejandro Cruz Orsorio, Dr. Prashant Kocherlakota und Kotaro Moriyama sowie Prof. Mariafelicia De Laurentis (alle Universität Neapel), Prof. Christian Fromm (Universität Würzburg), Prof. Roman Gold (Universität Süd-Dänemark), Dr. Antonios Nathanail (Universität Athen) und Dr. Ziri Younsi (University College London) wesentliche Beiträge zur theoretischen Forschung in der EHT-Kollaboration geleistet.

Die Arbeiten wurden vom European Research Council unterstützt.

(mb)

Wie das erste Bild von Sgr A* entstand

Zwölf Doktorand*innen aus zwölf europäischen Partnerinstituten: das CLOUD-Team beim Kick-off (CLOUD)  (Foto: CLOUD Doc-Netzwerk)

„Der frühe und enge Kontakt zu Unternehmen ist sehr wichtig“

Welche Rolle spielt Aerosolbildung für Wolken und Klima? Das erforschen Nachwuchswissenschaftler*innen in dem CLOUD-Doc-Netzwerk im EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation Horizon Europe. Wissenschaftlicher Koordinator des europäischen Promotionsnetzwerks ist Professor Joachim Curtius, Atmosphärenforscher an der Goethe-Universität.

Herr Professor Curtius, im CLOUD-Projekt werden zwölf junge Wissenschaftler*innen mit knapp 2,7 Millionen Euro von der Europäischen Union gefördert. Das CLOUD-Projekt ist Teil des Förderprogramms „Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen“ der Europäischen Kommission, das wissenschaftliche Laufbahnen attraktiver machen will. Was genau wollen die jungen Promovierenden europaweit erforschen?

Joachim Curtius: Wir wollen vor allem die Entstehung von neuen Aerosolpartikeln in der Atmosphäre unter Laborbedingungen nachstellen und im Detail untersuchen. Aerosolpartikel sind die sehr kleinen Tröpfchen und festen Partikel, die in der Luft schweben. Wir fragen zum Beispiel, welche chemischen Substanzen an der Entstehung von Aerosolpartikeln beteiligt sind, wie die Prozesse genau ablaufen und ob elektrisch geladene Moleküle, die durch kosmische Strahlung entstehen, bei der Aerosolbildung eine Rolle spielen. Neben der Bildung von neuen Aerosolpartikeln untersuchen wir auch, wie Eiswolken entstehen, vor allem, wie gut bestimmte Partikelsorten als Eiskeime geeignet sind für die Entstehung der kleinen Eiskristalle, aus denen die Eiswolken bestehen.

Warum ist das wichtig?

Beide Prozesse, die Aerosolbildung und auch die Eisbildung, sind wichtig für die Eigenschaften der Wolken, zum Beispiel wieviel Sonnenlicht eine Wolke reflektiert. Die Wolken spielen damit eine wichtige Rolle für das Klima, und es gibt viele Fragen, wie stark der Mensch die Aerosole und Wolken in der Atmosphäre verändert und in wieweit sich die Wolken im Klimawandel verändern. Aber wir interessieren uns auch aus Sicht der Grundlagenforschung für diese Prozesse. Wir wollen einfach verstehen, welche Substanzen neue Aerosolpartikel in der Atmosphäre bilden können und unter welchen Bedingungen.

19 Institutionen sind über das Netzwerk verbunden. Warum diese?

Die zwölf Doktorand*innen sind aufgeteilt auf zwölf europäische Partnerinstitute, die schon seit einigen Jahren gemeinsam im CLOUD-Projekt am CERN diese Art von Untersuchungen durchführen. Einige der führenden europäischen Gruppen im Bereich der Aerosolforschung bringen hier ihre Expertise und ihre besten Instrumente ein, um diese Experimente gemeinsam umzusetzen. Viele der Substanzen, die gemessen werden müssen, sind nur in verschwindend kleinen Mengen vorhanden – daher braucht es dann die besten verfügbaren Geräte und einen hohen Personalaufwand, um die gemeinsamen Versuche durchzuführen. Die CLOUD-Aerosolkammer ist ein großer Edelstahltank, sechs Meter hoch, mit einem Durchmesser von vier Metern. In dieser Kammer lassen wir unter sehr genau kontrollierten Bedingungen die Experimente ablaufen. Gleichzeitig ist die Kammer von mehr als zwanzig Instrumenten umstellt, die die verschiedenen Spurengase und die Aerosolpartikel in der Kammer analysieren. Die Experimente am CERN laufen 24 Stunden am Tag, die Doktoranden arbeiten im Schichtbetrieb, immer zwei Personen für acht Stunden. Es sind auch noch amerikanische Partner dabei, zum Beispiel das California Institute of Technology und die Carnegie Mellon Universität. Bei diesen Partnern machen die Doktoranden Praktika und gemeinsame Forschungsprojekte.
Schichtbetrieb für die Doktorand*innen: Die CLOUD-Aerosolkammer in CERN ist von mehr als zwanzig Instrumenten umstellt, die die verschiedenen Spurengase und die Aerosolpartikel in der Kammer analysieren (Foto: CERN, Maximilien Brice)

Als Forschungsort werden arktische Umgebungen, die obere Troposphäre über der asiatischen Monsunregion, die obere Troposphäre über tropischen Regenwäldern und der Südliche Ozean genannt. Geforscht wird aber überwiegend auch am CERN. Wie passt das zusammen? CERN ist doch vor allem für seine Kernforschung bekannt...

Ja, die gemeinsamen Laborexperimente der Doktorand*innen finden alle am CERN statt, weil dort die CLOUD-Aerosolkammer steht. Wir bilden dort im Labor die Bedingungen nach, wie sie im Monsun oder in der Arktis herrschen. Das heißt, wir stellen die Temperaturen und die Spurengaskonzentrationen in der Kammer so ein, dass sie den Bedingungen in diesen Regionen entsprechen. Und die Kammer steht am CERN, weil wir dort eine Beam-Line, also einen Teilchenstrahl verwenden dürfen, der für uns die kosmische Strahlung in der Atmosphäre simuliert. Das CLOUD-Experiment ist eines von nur sehr wenigen Experimenten am CERN, das nicht auf Elementarteilchen-Physik ausgerichtet ist.

Steht das Forschungsprojekt der Nachwuchswissenschaftler*innen für sich, oder ist es an größere europäische Forschungsverbünde angedockt?

Es steht schon für sich, aber wir haben auch noch weitere Unterstützung im CLOUD-Projekt durch nationale Forschungsförderung. Die Instrumente, die die Doktorand*innen nutzen, sind beispielsweise durch nationale Förderung beschafft worden. Außerdem ist der gesamte Verbund von CLOUD in engem Kontakt mit Modellierern, die Klima- und Atmosphärenmodelle betreiben und mit Gruppen, die direkt in der Atmosphäre Messungen durchführen. Die drei Arbeitsfelder ‚Labor‘, ‚Modell‘ und ‚Feldmessung‘ ergänzen sich sehr gut.

Haben sich die Teilnehmer*innen schon vorher auf Klimaforschung spezialisiert?

Ja, viele der Doktorand*innen haben schon im Bereich Atmosphäre und Klima ihre Masterarbeit gemacht. Die meisten haben Physik, Chemie, Umweltwissenschaften oder Meteorologie studiert und sich im Studium bereits auf die Physik und Chemie der Atmosphäre, teilweise auch auf Klimamodellierung spezialisiert.

Es gibt Partner aus der Privatwirtschaft? Wozu werden sie gebraucht?

Bei dieser Art von EU-Projekten ist es sogar eine Bedingung, dass Partner aus Unternehmen und aus dem nicht-akademischen Bereich dabei sind. Da viele Doktorand*innen nach ihrer Promotion die Wissenschaft verlassen und in die Industrie wechseln, ist hier der frühe und enge Kontakt zu Unternehmen sehr wichtig, die auch in diesem Feld arbeiten, beispielsweise zu den Entwicklern der Messinstrumente, die wir verwenden. Der EU ist es ein großes Anliegen, dass einerseits die Doktorand*innen nicht im Elfenbeinturm vor sich hinforschen und andererseits die Unternehmen Kontakt zu jungen Wissenschaftler*innen und aktuellen Technologieentwicklungen bekommen.

Die Teilnehmer*innen werden auch zu Unternehmensgründungen geschult. Was für Unternehmen sind denn denkbar?

Drei der Partner unseres Netzwerks sind selbst Unternehmensgründer. Sie haben vor einigen Jahren die Unternehmen gegründet und aufgebaut, die heute die Messgeräte herstellen, die wir verwenden. Diese Partner haben in Seminaren berichtet, wie so eine Unternehmensgründung abläuft, welche Probleme und Fallstricke es gab, was sie heutigen Unternehmensgründern mit auf den Weg geben möchten und so weiter. Im Hochtechnologie-Umfeld von CERN ist es gar nicht unwahrscheinlich, dass Doktorand*innen nach der Promotion ein spin-off Unternehmen gründen; und am Beispiel Biontech sieht man ja, wie wichtig und erfolgreich solche Ausgründungen sein können.

Die Fragen stellte Pia Barth.

Im Verbund gefördert: Neue EU-Forschungsprojekte 2022

 

„Tele-Forschung“: 1,5 Millionen Euro für europäisches Forschungsgroßprojekt Remote-NMR

Weitere EU-Förderung für die Goethe-Universität: Horizon Europe fördert das Projekt Remote-NMR, dessen Leitung bei Prof. Harald Schwalbe vom Biomolekularen Magnet-Resonanz-Zentrum der Goethe-Universität liegt. Ein Verbund von 26 Partnern der wichtigsten europäischen Forschungsinfrastrukturen für die Kernspinresonanzspektroskopie (NMR-Spektroskopie) wird in den kommenden Jahren standardisierte Verfahren entwickeln, mit denen sich NMR-Geräte auch aus der Ferne steuern und nutzen lassen. Die Europäische Union fördert das Projekt Remote-NMR von 2022 an für drei Jahre mit 1,5 Millionen Euro.

„Tele-Forschung“: 1,5 Millionen Euro für europäisches Forschungsgroßprojekt Remote-NMR

 

Junge Atmosphärenforscher knüpfen europäisches Netzwerk

Atmosphärenforscher:innen des internationalen Verbunds CLOUD haben ein Doktorandenprojekt bei der Europäischen Union eingeworben: Koordiniert durch die Goethe-Universität soll CLOUD-Doctoral Network ein Netzwerk von Nachwuchswissenschaftler*innen in ganz Europa aufbauen, das die Rolle der Aerosolkeimbildung untersucht. Das Projekt, das im September 2022 startet, wird mit ca. 2,7 Millionen Euro gefördert. Untersuchungsgebiete sind arktische Umgebungen, die obere Troposphäre über der asiatischen Monsunregion und über tropischen Regenwäldern sowie der Südliche Ozean.

EU MSCA Project CLOUD-DOC

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