Vier Jahre – verglichen mit den einhundert Jahren, während der an der Goethe-Universität geforscht und gelehrt wird, ist das ein Klacks. Seit fast vier Jahren besteht das „Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam“ in seiner jetzigen Form, seit gut einem Jahr ist Bekim Agai (40) dessen geschäftsführender Direktor. Alles andere als ein Klacks ist es hingegen für Agai, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) von 2010 an insgesamt vier Zentren für Islamische Studien (Münster / Osnabrück, Tübingen, Frankfurt/Gießen und Nürnberg-Erlangen) fördert.
„Mit Fug und Recht können wir hier von einem Paradigmenwechsel in der Islamforschung sprechen, der wissenschafts- und gesellschaftspolitische Bedeutung hat“, sagt Agai. „Nun gehört der Islam auch auf universitärer Ebene zu Deutschland. Er wird nicht mehr als Forschungsobjekt betrachtet, als Religion fremder Kulturen, sondern Studierende beschäftigen sich auf wissenschaftlichem Niveau mit ihrer eigenen Religion – nicht anders als etwa Studierende in katholischer oder evangelischer Theologie.“
Geboren und aufgewachsen in Essen, gab Agai seinem wissenschaftlichen Interesse zunächst in Bonn nach: Dort studierte er Islamwissenschaften, Geschichte und Psychologie, bevor er für seine Promotion in Islamwissenschaften nach Bochum wechselte.
Nachdem er anschließend als Assistent in Bonn und als Postdoc in Halle/Wittenberg tätig gewesen war, kehrte er 2010 mit einer BMBF-Nachwuchsforschergruppe nach Bonn zurück und wechselte 2013 an die Goethe-Universität, zunächst vertretungsweise und einige Monate später als ordentlicher Professor für „Gesellschaft und Kultur des Islam in Geschichte und Gegenwart“.
Er möchte den Studierenden die Vielschichtigkeit innerhalb des Islams vermitteln: „Der Islam hat sich immer in bestimmten Kontexten entwickelt. So sind die ersten universitären Einrichtungen in der Abbasidenzeit, im elften und zwölften Jahrhundert, in einem ganz bestimmten gesellschaftlichen Kontext entstanden, der auf die Lerninhalte in islamischer Theologie wirkte, und ebenso wirkt der heutige Kontext auf das Studienfach Islamkunde von heute.“
Vielschichtigkeit islamischer Ideen
In seinem Fach begegnet auch ihm immer wieder Neues: auf wissenschaftlichen Kongressen natürlich, wie etwa auf der internationalen Konferenz „Horizonte der islamischen Theologie“, die kürzlich am Zentrum für islamische Studien der Goethe-Universität stattfand. Genauso aber bei Lehrveranstaltungen seines Instituts, und zwar nicht nur, wenn in der Vorlesungsreihe „Der Koran – Ein Text im Dialog zwischen Osten und Westen“ international renommierte Wissenschaftler darüber vortragen, wie sie sich dem Koran aus verschiedenen Richtungen annähern. Sondern auch, wenn er sein Seminar zur islamischen Geschichte hält:
„Zusammen mit den Studierenden öffne ich immer wieder neue Tore in die Vielschichtigkeit islamischer Ideen und historischer Wirklichkeiten“, schwärmt Agai, „so kann ich ihnen die Breite einer Religion und Kultur zeigen, die die meisten von ihnen nur in einer Ausprägung kennengelernt haben.“
Seine Neugier, sein Interesse machen allerdings nicht an den Grenzen der eigenen Religion halt: Für Agai war es schon während des Studiums selbstverständlich, sich mit den „Nachbar-Religionen“ Christentum und Judentum zu befassen, und auch heute noch gehört religiöse Toleranz für ihn im akademischen Alltag unbedingt dazu: „Religion kann in der heutigen Zeit nur im Miteinander studiert werden.
Judentum, Christentum und Islam haben sich ja miteinander entwickelt, so dass wir sie nicht isoliert voneinander betrachten und erforschen können. Daher stehen die Islamischen Studien in gutem Kontakt zu den christlichen Theologien und den jüdischen Studien. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts und auch viele Studierende sind zudem in interreligiöse Foren und Arbeitskreise eingebunden.“
Verzerrtes Islam-Bild
Agai bedauert allerdings, dass alle interreligiösen Begegnungen letztlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein bleiben, solange medienträchtige Einzelereignisse – wie etwa das Auftreten einer „Scharia-Polizei“ in Duisburg – die öffentliche Wahrnehmung dominieren:
„Unsere Studierenden wollen aus ganz unterschiedlichen persönlichen Motiven etwas über den Islam und die islamische Kultur lernen. Viele von ihnen leiden darunter, dass das nicht einfach als wissenschaftliches Interesse gilt, sondern in der Öffentlichkeit oft mit Skepsis gesehen wird.“
Überdies werde das Bild des Islam in der Öffentlichkeit durch das Wüten von Terror-Organisationen verzerrt: „Die ungeheuerliche Gewalt einer Gruppe, die sich selbst Islamischer Staat nennt, hat mit dem Religions- und Gesellschaftsverständnis der Mehrheit nichts zu tun. Die Deutungshoheit über den Islam darf nicht Extremisten und Gewalttätern überlassen werden. In Deutschland muss diese Deutung aus der Mitte der Gesellschaft heraus erfolgen, unter anderem an den Universitäten“, fordert Agai.
Die Rahmenbedingungen dafür sind geschaffen: In den kommenden zwei Jahren wird die „Anschubfinanzierung“ seines Instituts durch das BMBF weiterlaufen, eine Verlängerung ist möglich. Anschließend wird die Universität vertragsgemäß die Finanzierung übernehmen. Für diese Zukunft ist Agai zuversichtlich: „Eine akademische Tradition und die Ausbildung an den Universitäten wird auch die Sprecherinnen und Sprecher der nächsten Generation hervorbringen, die Vorurteilen der Gesellschaft kompetent entgegentreten können.“ [Autorin: Stefanie Hense]