Goethe, Deine Forscher: Frederike Felcht, Skandinavistin

In der Skandinavistik geht es pragmatisch zu: Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf Fachtagungen über skandinavische Linguistiken oder die Literatur eines skandinavischen Landes diskutieren, brauchen sie dafür nicht Englisch als Lingua franca, wie Frederike Felcht erläutert, die am Fachbereich 10 die Geschäfte des Instituts für Skandinavistik führt und dort die Professur für Neuere Skandinavistik innehat. „Ich selbst spreche zum Beispiel Dänisch“, sagt Felcht, „und ich verstehe sowohl Schwedisch als auch die beiden Varianten des Norwegischen. Ein Forscher aus Göteborg wird also seine Thesen bei einer Konferenz auf Schwedisch vorstellen, eine Professorin von der Universität Oslo wird dazu einen Kommentar auf Nynorsk abgeben, und ich antworte beiden auf Dänisch – das funktioniert ohne Weiteres.“

Und nicht nur die skandinavischen Sprachen haben vieles gemeinsam –, sondern auch die Themen, über die in ihnen geschrieben wurde (wird): „Zwar sind die skandinavischen Länder heute ausnahmslos wohlhabende Nationen mit tragfähigen sozialen Sicherungssystemen – der oft gebrauchte Begriff ‚skandinavischer Wohlfahrtsstaat‘ sagt da eigentlich alles“, erläutert Felcht. Und doch habe sie festgestellt, dass die Themen „Armut“ und „Hunger“ die skandinavischen Literaturen entscheidend geprägt hätten – von Hans Christian Andersens Kunstmärchen „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“ bis hin zu den Nationalhymnen Finnlands beziehungsweise Norwegens: Die Gedichte, auf denen die beiden Hymnen beruhten, enthielten außer dem üblicherweise gesungenen Text auch Strophen, die von Hunger und Elend handelten.

Armut in der Literatur

„In Skandinavien waren immer wieder literaturgeschichtlich unheimlich spannende Wendungen zu beobachten“, berichtet Felcht. So sei Armut in der Literatur des frühen 19. Jahrhunderts idealisiert und romantisiert worden, bis sich mit dem „modernen Durchbruch“ der 1870er-Jahre eine stark sozialkritische Literatur durchgesetzt habe. Diese sei anfangs noch vom Bürgertum geprägt gewesen, seit dem späten 19. Jahrhundert hätten jedoch zunehmend auch arbeitende Menschen ohne akademische Bildung zur sozialkritischen Literatur beigetragen. „Während im Deutschen Arbeiterliteratur oft als literarisch wenig interessant gilt, ist das in Skandinavien ganz anders. Da gehört Arbeiterliteratur inzwischen ganz selbstverständlich zum Literaturkanon; sie ist durch ihre sprachlichen Berührungspunkte zum Modernismus auch heute noch fesselnd und fabelhaft zu lesen“, schwärmt Felcht.

Das zweite große Thema, für das sich Felcht interessiert, ist hingegen im heutigen öffentlichen Bewusstsein skandinavischer Länder sehr wohl vertreten – sie beschäftigt sich mit ‚Ökologie und Literatur‘: „Heutzutage gelten die Skandinavier ja allgemein als umweltbewusst“, hebt sie hervor und erinnert daran, dass zum Beispiel die Umweltaktivistin Greta Thunberg aus Schweden kommt und dass die dänische Hauptstadt Kopenhagen mit ihren Rad-Schnellwegen zu den europäischen Fahrradhauptstädten gehört. Felcht untersucht Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Literatur, so etwa die Rolle von Küsten und Meeren in der skandinavischen Literatur, auf die sie derzeit intensiv in ihrer Lehre eingeht.

»Eine der schönsten Seiten«

Felcht ist sich der Tatsache bewusst, dass von durchdachten und sorgfältig vorbereiteten Lehrveranstaltungen nicht nur die Studierenden profitieren: „Ich lehre unheimlich gerne, dabei lese und bespreche ich mit meinen Studierenden Texte und frage sie, was ihnen dazu einfällt.“ Aus diesen Gesprächen beziehe sie oft Anregungen, schränkt allerdings ein: „Dass ich Ergebnisse von Studierenden direkt in meine Arbeit übernehmen kann – wobei ich selbstverständlich den Namen des/der Studierenden nenne –, das ist dann doch die große Ausnahme.“ Aber die Beiträge von Studierenden brächten sie oft dazu, neu über einen Text nachzudenken: „Der direkte Austausch ist so bereichernd“, schwärmt Felcht, „die Lehre und wie sie sich auf meine eigene Forschung auswirkt, das stellt für mich eine der schönsten Seiten des Wissenschaftler-Daseins dar!“

Dieses Wissenschaftler-Dasein wird auch in Zukunft ganz wesentlich von den Themen „Natur“, „Umwelt“ und „Biodiversität“ geprägt sein: Im Rahmen eines größeren Forschungsprojekts der Universitäten Frankfurt, Mainz und Darmstadt will Felcht das Werk des norwegischen Autors Henrik Wergeland aus ökologischer Perspektive untersuchen. Zudem wird sie davon profitieren, dass an der Goethe-Universität durch die Nähe zur Senckenberg Gesellschaft ideale Voraussetzungen bestehen, sich als Geisteswissenschaftlerin dem naturwissenschaftlichen Thema „biologische Vielfalt“ zuzuwenden: „So faszinieren mich die Langgedichte der dänischen Schriftstellerin Inger Christensen“, sagt Felcht und nennt als Beispiel „Das Schmetterlingstal“: Darin werde das Aussterben von Tierarten explizit thematisiert und mit einer übergreifenden Bedrohung auch der Menschen assoziiert; dieser stelle das Gedicht eine Poetik des Bewahrens überlieferter Vielfalt gegenüber.

Allerdings begeistert sich Frederike Felcht auch für ganz alltägliche skandinavische Dinge: „Ich bin als Kind oft mit meinen Eltern nach Dänemark in Urlaub gefahren. Seit damals mag ich die skandinavische Lebensweise – und ich liebe das skandinavische Lakritz.“

Stefanie Hense

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