Der Philosophieprofessor Marcus Willaschek hat als Hochschullehrer eigentlich drei Berufe, und das kann schon mal zum Problem werden. An erster Stelle ist er natürlich Forscher und vertritt am Institut für Philosophie der GoetheUniversität das Fach Philosophie der Neuzeit. Zum einen beschäftigt er sich dabei mit dem vermutlich wichtigsten Philosophen der Neuzeit, mit Immanuel Kant. Beispielsweise hat Willaschek kürzlich eine Monographie über die Dialektik in Kants Hauptwerk „Kritik der reinen Vernunft“ (erschienen 1781) fertiggestellt.
Und er ist in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften mitverantwortlich für die Standard-Ausgabe der Kant’schen Werke, das heißt: Zusammen mit anderen Kant-Experten bemüht er sich, aus verschiedenen, aber sämtlich von Kant autorisierten Ausgaben dieser Werke jeweils die eine, verlässliche Referenzausgabe zu rekonstruieren. „Natürlich bekommen Sie mit jeder gängigen Kant-Ausgabe ungefähr mit, was Kant sagen will“, erläutert Willaschek, „aber wenn Sie Kants Argumentation in ihren Einzelheiten erfassen wollen, dann macht es sehr wohl einen Unterschied, ob Kant beispielsweise sagt, die Vernunft erkenne ,im Allgemeinen das Besondere‘ oder ,im allgemeinen‘, will sagen: normalerweise, ,das Besondere‘.“
Zum anderen geht Willaschek in seinem ersten Beruf – dem des Forschers – über eben diese Philosophiegeschichte weit hinaus, und er beweist auf diese Weise, dass sein Büro im zweiten Stock des IGFarben-Hauses auf dem Campus Westend kein Elfenbeinturm ist: Als Erkenntnistheoretiker setzt er sich mit der Grundfrage „Was ist Wissen?“ auseinander. Für ihn ist klar: „Zum Wissen gehört Wahrheit“. Und: „Wissen braucht Rechtfertigung; es reicht nicht, aus politischem Kalkül absurde Dinge zu behaupten, ,Fake News‘ in die Welt zu setzen oder pauschal gegen ,die Lügenpresse‘ zu Felde zu ziehen.“
Wissen braucht Vermittlung
Genauso braucht Wissen an einer Hochschule aber auch Vermittlung – Professorinnen und Professoren sind schließlich insbesondere Lehrende, und dieser zweite Beruf begeistert Willaschek auch noch nach den 15 Jahren, die er inzwischen als Professor der Goethe-Universität angehört: „Ich lehre ausgesprochen gerne. Es macht mir nämlich einfach Spaß, Wissen an interessierte Studierende weiterzugeben“, sagt Willaschek. Natürlich könne die Lehre an einer Massenuniversität auch eine Belastung sein, wenn er entsprechend viele Klausuren, Hausarbeiten oder Abschlussarbeiten korrigieren beziehungsweise betreuen müsse, statt sich seiner eigenen produktiven Forschungsarbeit zu widmen, schränkt er ein. „Aber insgesamt ist die Kombination von Lehre und Forschung an Hochschulen in Deutschland eine wunderbare Sache“, schwärmt Willaschek.
Besonders begeistern ihn interdisziplinäre Lehrveranstaltungen wie etwa das Seminar, das er derzeit zusammen mit einem Althistoriker anbietet, nachdem er im vergangenen Semester mit einem Physikprofessor kooperierte und bevor für das kommende Semester eine gemeinsame Veranstaltung mit einem Kollegen aus den Rechtswissenschaften geplant ist. Außerdem könne er in vielen Lehrveranstaltungen auch eigene, neue Ideen ausprobieren – etwa, indem er in Seminaren eigene Manuskripte zur Diskussion stelle oder indem er aktuelle wissenschaftliche Texte bespreche und die Studierenden auf diese Weise an den derzeitigen Forschungsstand heranführe, sagt Willaschek. Zu guter Letzt könne das für ihn selbst ausgesprochen lehrreich sein: „Natürlich bedeutet so ein Seminar einigen Aufwand, aber auch ich profitiere schließlich von meinen eigenen Lehrveranstaltungen.“
Und als wären diese zwei Berufe – Forscher und Lehrer – noch nicht genug, kommt für Willaschek, wie für jeden Hochschullehrer, noch die Tätigkeit in der (Selbst-)Verwaltung der Hochschule hinzu: So gehörte er zum Beispiel bis zum Beginn des Sommersemesters 2018 sechs Jahre lang der Kommission für den Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten der Goethe-Universität an. „In dieser Zeit hatten wir keinen Täuschungsfall, der ein Analogon zu ,Fake News‘ gewesen wäre, sondern wir mussten uns mit Vorwürfen etwa von Plagiat, Ideendiebstahl und von falschem Umgang mit Daten befassen“, berichtet Willaschek, „dennoch war mein Instrumentarium des Erkenntnistheoretikers bei dieser Aufgabe ausgesprochen nützlich, weil es dabei hilft, die richtigen Fragen zu stellen.“
Drei Berufe unter einem Hut
Wie er als Hochschullehrer seine drei Berufe unter einen Hut bringen soll – vor genau dieser Frage steht Willaschek immer wieder. „Das Problem ist dabei nicht, dass eine dieser drei Aufgaben uninteressant oder unwichtig wäre. Das Problem ist vielmehr, dass man auf diese Weise gewissermaßen unter Dauerüberlastung steht“, sagt er, „dabei verdienen es gerade die Studierenden, dass man sich ihnen mit Schwung und Begeisterung zuwendet.“ Und auch seine Forschertätigkeit wird weiterhin die gebührende Aufmerksamkeit fordern. Zum Beispiel, wenn Willaschek sich demnächst mit dem Verhältnis des Menschen zu seiner eigenen Sterblichkeit auseinandersetzt, oder wenn er sich daranmacht, zu beweisen, dass es für Menschen als rationale und miteinander interagierende Wesen sehr wohl zulässig ist, den menschlichen Willen für frei zu halten – auch wenn sie die Frage nach der Freiheit des Willens theoretisch nicht entscheiden können.
Autorin: Stefanie Hense
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 3-18 des UniReport erschienen.