Susanne Schröter ist Ethnologin und forscht zu Geschlechterbeziehungen in der islamischen Welt. Wie kam sie dazu?
Auf den ersten Blick scheint beides nicht zu sammenzupassen: Der Islam wird als Religion der Männer wahrgenommen. Männer sind in islamisch geprägten Gesellschaften für das Berufsleben und die Öffentlichkeit zuständig, Frauen kümmern sich um Haushalt und Familie und sollen sich unterordnen. Geschlechterbeziehungen, am Ende gar feministische Strömungen im Islam oder in der islamischen Welt: Gibt es das überhaupt? Susanne Schröters Antwort auf diese Frage kommt schnell und bestimmt.
„Aber natürlich gibt es das. Islamische Theologinnen lehren zum Beispiel in den USA und in Südostasien, und sie sagen ganz klar: Wenn wir den Koran so lesen und interpretieren, wie Allah das gewollt hat, dann ist der Islam eine Religion der Befreiung, auch für die Frauen“, sagt Schröter. Ihr Interesse gilt beiden, nur scheinbar gegensätzlichen Themenfeldern: als Professorin für Ethnologie an der Goethe-Universität, als leitende Wissenschaftlerin des Exzellenzclusters „Normative Ordnungen“, als Leiterin des „Frankfurter Forschungszentrums globaler Islam“ (FFGI), als Direktoriumsmitglied im „Cornelia Goethe Centrum für Geschlechterforschung“.
Schröters eigener wissenschaftlicher Weg begann in der Wormser Stadtbibliothek: „Ich habe mich schon immer für andere Länder und fremde Kulturen begeistert, und so habe ich mich in meiner Schulzeit durch sämtliche Reiseschilderungen der örtlichen Bücherei gewühlt“, sagt Schröter, die sich viele Jahre in der Frauenbewegung engagierte.
Sie studierte Ethnologie, Soziologie und Pädagogik in Mainz und wurde dort in Ethnologie promoviert, mit einer Arbeit über „Männliche Selbsterhaltungsstrategien angesichts der Vorstellung omnipotenter Weiblichkeit“ in Melanesien. Dem Thema Geschlechterbeziehungen blieb sie während ihrer wissenschaftlichen Laufbahn treu – so auch als sie von 1994 bis 1997 insgesamt zwei Jahre in Ostindonesien verbrachte.
Indirekter Weg zum Forschungsthema Islam
„Obwohl fast 90 Prozent der indonesischen Bevölkerung Muslime sind, ging es in meiner Arbeit um Geschlechterbeziehungen von Angehörigen anderer Religionen. Aber ich habe mich natürlich in diesem Zusammenhang mit Indonesien als Ganzem befasst. Meine Ostindonesien-Forschung hat mich also indirekt dazu gebracht, mich mit dem Islam zu beschäftigen“, berichtet Schröter. Nicht zum ersten Mal: Schon als Jugendliche in Worms hatte sie im Koran gelesen. Und nicht zum letzten Mal: Seit sie 2004, fünf Jahre nach ihrer Habilitation an der Goethe Universität, auf einen Lehrstuhl für Südostasienkunde in Passau berufen wurde, bildet der Islam einen wichtigen Teil ihres akademischen Alltags.
2005 kehrte sie nach Indonesien zurück. „Der Sturz des Diktators Suharto sieben Jahre zuvor hatte nicht nur Demokratie nach Indonesien gebracht, sondern auch den religiösen Extremismus erstarken lassen“, sagt Schröter, „das Thema Islamismus lag also direkt vor mir. Zwar erreichten die Islamisten in Indonesien damals keine großen Wahlerfolge, aber sie konnten nichtislamistische Parteien dazu bewegen, islamistische Sondergesetze zu erlassen, wie etwa den Kopftuchzwang – in einigen Regionen so gar für Christinnen.“
Auch für die Goethe-Universität, wo sie seit 2008 als Professorin forscht und lehrt, beschäftigt sie sich mit diesem Thema. In Nordafrika, wo die „Arabellion“ beispielsweise in Ägypten, Marokko, und Tunesien tiefe Spuren hinterlassen und dem islamistischen Extremismus den Boden bereitet hat. Genauso aber auch „vor der Haustür“: Schröter analysiert das Rhein-Main-Gebiet als salafistisch-jihadistische Operationsbasis, nachdem sie zuvor das religiöse Leben in Wiesbadener Moscheegemeinden erforscht hat. Dabei stellte sie fest, dass muslimische Jugendliche insbesondere dann gefährdet sind, in den Extremismus abzurutschen, wenn Angebote der lokalen Jugendarbeit fehlen.
Zusammenarbeit im Exzellenzcluster
Zu ihren Forschungsarbeiten wird sie allerdings nicht durch Tageszeitungen und TV-Nachrichten angeregt, auch wenn in den Medien häufig über Attentate, Bürgerkriege, Terrordrohungen und islamistische Extremisten berichtet wird. Vielmehr bekommt sie Impulse durch wissenschaftliche Befunde, die auf langjährige Forschungen zurückgehen. Als überaus inspirierend empfindet sie auch die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen anderer Wissenschaftsdisziplinen im Exzellenzcluster „Normative Ordnungen“. Ihr jüngstes Forschungsprojekt „Politische Organisationen jenseits des Staates“ ist Teil eines Sonderforschungsbereichs (SFB), den der Frankfurter Althistoriker Hartmut Leppin initiiert hat und an dem verschiedene Wissenschaft ler des Exzellenzclusters mitarbeiten.
Und kürzlich hat sie für das Projekt sogar Anregungen von einer ganz unerwarteten Seite erhalten: Im März 2015 nahm sie an einer Mexiko-Reise teil. „Lateinamerika ist weit entfernt von Indonesien und von der muslimischen Minderheit auf den Philippinen, um die es in dem SFB-Teilprojekt geht“, berichtet Schröter. „Aber in Mexiko spielen nichtstaatliche Akteure eine große Rolle – sowohl im Positiven, wenn es um Nichtregierungsorganisationen geht, als auch im Negativen, wenn wir etwa die Drogenmafia betrachten.“ In Mexiko hatte Schröter Gelegenheit, mit staatlichen und mit nichtstaatlichen Akteuren zu sprechen. Ihre private Reise hat ihr damit für das SFB-Teilprojekt wichtige Vergleichsdaten geliefert. [Autorin: Stefanie Hense]