Ihr Arbeitsplatz ist der Wissenschaftsgarten am südwestlichen Ende des Riedberg-Campus, sie leitet die Abteilung »Gewächshaus und Freiland Wissenschaftsgarten«. Susanne Pietsch kann sich kaum entscheiden. Auf die Frage, welcher Gartenbereich ihr am besten gefällt, antwortet sie nach kurzem Überlegen: »Die Wiesen mag ich besonders gern, also die Streuobstwiese und die Glatthaferwiese. Wie der Name schon sagt, überwiegt dort der Glatthafer. Daneben wachsen fast 50 Pflanzenarten, und wir mähen die Wiese zweimal pro Jahr, um die Artenvielfalt zu fördern.«
Auch vom Arzneipflanzengarten ist Pietsch begeistert, den sie und ihrer Kollegen vor rund anderthalb Jahren angelegt haben und in dem seither Pestwurz (Petasides hybridus), Huflattich (Tussilago farfara), Jakobs-Greiskraut (Senecia jacobaea) und rund hundert weitere Arzneipflanzen-Arten gedeihen.
Pietsch erläutert: »Wir Gärtner müssen von jeder Pflanze wissen, wie wir sie am besten zum Blühen bringen. Ob die Pflanze Wärme mag, oder ob sie es lieber kühl hat. Ob sie viel Licht braucht, oder ob sie lieber im Halbschatten oder Schatten steht. Ob sie viel oder wenig Wasser braucht, und welche Qualität das Wasser haben muss. Manche Pflanzen vertragen zum Beispiel nur weiches Wasser. Die gießen wir mit Regenwasser, das wir dafür gesammelt haben.«
Sie zählt weiter auf: »Wirklich, wenn Sie mich nach meinem liebsten Gartenbereich fragen, weiß ich fast nicht, wo ich anfangen soll. Auch der Kalktrockenhang ist wunderschön. Und auch das Gewächshaus, in dem wir tropische und subtropische Pflanzen kultivieren.«
Kultiviert werden die Pflanzen, weil sie, wie sich das für den botanischen Garten einer Universität gehört, in Forschung oder Lehre eingesetzt werden sollen: So sind die rund 300 Exemplare der Gattung Sanchezia für die Studierenden im Anfänger-Kurs »Struktur und Funktion der Organismen« bestimmt, die daran den Wurzeldruck einer Pflanze messen.
Und für ihre Experimente benötigen biowissenschaftliche Arbeitsgruppen beispielsweise die Samen von Tomatenpflanzen (Solanum lycopersicum) oder solche der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana). Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler besprechen dann mit Pietsch, wie viele Exemplare sie von welcher Pflanze benötigen und um welche Pflanzenteile es ihnen geht, so zum Beispiel um Blätter, Blüten oder eben Samen.
Gärtnermeisterin Pietsch und ihr Team – je drei Gärtnerinnen/Gärtner für Gewächshaus und Freiland, dazu je eine Saisonkraft sowie zwei Auszubildende – kümmern sich aber nicht nur um die Pflanzen, die zur Sammlung lebender Pflanzen der Goethe-Universität gehören oder die in den Labors und Kursräumen des Biologicums und des Biozentrums gebraucht werden. Auch Teile des Wissenschaftsgartens dienen als »Versuchsflächen«.
Dazu gehören etwa der Buchenwald, der eine Langzeituntersuchung zur Pilzdiversität beherbergt, und der »Wald der Zukunft« aus verschiedenen wärmeliebenden Eichenarten. Den hat ein Frankfurter Biologie-Professor angelegt, um herauszufinden, wie sich diese Eichen in unserem Klima verhalten und ob sie als Waldbäume für mitteleuropäische Trockenstandorte in Frage kommen.
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Führungen: Von April bis Oktober bietet der Wissenschaftsgarten an jedem dritten Freitag im Monat um 16 Uhr eine Führung an, Treffpunkt ist jeweils der Eingangsbereich des Gartens. Die genauen Themen sind auf der Homepage www.uni-frankfurt.de/wissenschaftsgarten unter »Vorträge/Führungen« zu finden.
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Pietsch und das Freiland-Team müssen die Versuche gärtnerisch betreuen: Eicheln der untersuchten Arten aussäen oder auch Setzlinge pflanzen, die Bäume mit Wasser versorgen, das Gras zwischen den Eichen mähen und die Bäume auf Schädlinge kontrollieren, damit die an dem Projekt forschenden Doktorandinnen und Doktoranden weiterhin ihre Messungen an den Eichenblättern vornehmen können und der Wald der Zukunft kein Opfer von Raupenfraß und Blattlaus-Befall wird.
Ihren grünen Arbeitsplatz mit Blick auf Waldbäume, Wiesenkräuter oder tropische Pflanzen muss Pietsch allerdings allmorgendlich eintauschen gegen ihren Schreibtisch mit der Aussicht auf den Computermonitor. Wenn sie gegen sieben Uhr zur Arbeit kommt, haben die meisten ihrer Mitarbeiter den Dienst schon angetreten – die Pflanzen müssen gegossen werden, bevor es zu heiß ist.
Die Gärtner sind für die Pflanzen je eines »Reviers« zuständig, also zum Beispiel für den Arzneipflanzengarten oder für die systematische Abteilung, wo die Pflanzen entsprechend ihren botanischen Verwandtschaftsbeziehungen angeordnet sind. »Jeder hat seinen besonderen Aufgabenbereich, und gleichzeitig ist die Zusammenarbeit entscheidend. Das klappt bei uns hervorragend«, sagt Pietsch.
Sie ist für die Koordination ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuständig, darum steht für sie erst mal Büroarbeit auf dem Programm: Sie nimmt die Krankmeldungen und Urlaubsscheine ihrer Mitarbeiter entgegen, plant ihren Tagesablauf, organisiert das Nebeneinander von täglicher Routine und selteneren Ereignissen wie etwa einer Mahd der Glatthaferwiese. Sie erfüllt ihre Pflichten als Gleitzeitbeauftragte für den Wissenschaftsgarten – »das muss ja auch gemacht werden«, kommentiert Pietsch.
Es gibt aber auch Büro- und Computerarbeit, die ihr ähnlich viel Freude bereitet wie der Umgang mit den 1500 verschiedenen Pflanzenarten in Gewächshaus und Freiland: Pietsch dokumentiert den gesamten Pflanzenbestand des Wissenschaftsgartens, vergibt Nummern für »Neuzugänge« bei den Pflanzen und nimmt sie in die zugehörige Datenbank auf. »Auch dabei beschäftige ich mich ja mit den Pflanzen, und ich lerne noch was dabei.«
Außerdem führt sie die Datenbank über die Sämereien des Wissenschaftsgartens, sowohl über die selbst geernteten Pflanzensamen als auch über solche, die sie durch kollegiale Hilfe aus anderen botanischen Gärten erhält: Wenn eine Pflanze erstmals im Wissenschaftsgarten angebaut werden soll, dann findet sich dafür auch kein Tütchen mit Samen in ihrem Büro.
Anfang des Jahres fragten etwa die Pharmazeuten bei ihr an, sie würden gerne die bittere Kreuzblume (Polygala amara) im Arzneipflanzengarten zeigen. Also erkundigte sich Pietsch zuerst beim botanischen Garten der Stadt Frankfurt, der ja bis zum Umzug auf den Riedberg vor zwei Jahren der botanische Garten der Universität war; Pietsch hat dort gearbeitet und war für das Gewächshaus zuständig.
»Meine ehemaligen Kollegen konnten mir dieses Mal leider nicht weiterhelfen«, erzählt Pietsch. »Also fragte ich beim Netzwerk der botanischen Gärten nach, und es sieht so aus, dass wir demnächst Polygala-Samen vom botanischen Garten der Universität Wien bekommen.« Sie genießt es, vernetzt zu sein – der Wissenschaftsgarten auf dem Riedberg ist ja ein sehr junger botanischer Garten, während beispielsweise der Wiener botanische Garten vor rund 260 Jahren gegründet wurde. »Aber ich hoffe, dass bald auch die Kollegen aus anderen Städten von uns profitieren«, sagt Pietsch. »Sei es, dass wir eine Tagung ausrichten, sei es, dass wir mit gesuchtem Saatgut aushelfen.« [Autorin: Stefanie Hense]