Er hat wissenschaftliche Standbeine an vier verschiedenen Institutionen, doch sein Herz schlägt für Frankfurt. „Ich bedaure heute nur, dass ich nicht früher zurückgekommen bin“, sagt der gebürtige Frankfurter. Seit sieben Jahren hat Volker Lindenstruth eine Professur für Hochleistungsrechnerarchitektur an der Goethe-Universität.
An der GSI bei Darmstadt baut er als wissenschaftlicher ITChef den Hochleistungsrechner für den dort entstehenden Beschleuniger FAIR. Am Europäischen Forschungszentrum CERN bei Genf hat er eine intelligente Auslesetechnik für die Daten des ALICE-Experiments entwickelt. Und in seiner „Nebentätigkeit“ ist er noch Vorstand des FIAS (Frankfurt Institute for Advanced Studies).
Allein seitdem Lindenstruth in Frankfurt ist, hat er einiges auf die Beine gestellt: 2010 realisierte er den Supercomputer der Goethe-Universität LOEWE-CSC, der im Industriepark Höchst steht. Als dieser 2011 in Betrieb genommen wurde, erreichte er Platz 8 der Weltrangliste der effizientesten Supercomputer. Das 2012 konstruierte Schwestermodell für ein Forschungszentrum in Saudi Arabien, SALAM, landete auf Platz 2 der Weltrangliste.
Und mit dem 2014 fertiggestellten Lattice-CSC (L-CSC) für das FAIR-Experiment schaffte es Lindenstruth schließlich an die Spitze. „Inzwischen ist der L-CSC auf Platz 4 zurückgefallen, aber das ist immer noch gut, wenn man bedenkt, wie rasend schnell die Entwicklung auf diesem Gebiet vorangeht.“
Tüftler und Tester als Teenager
Den ersten Computer hat Volker Lindenstruth als Abiturient gebaut. Es war die Zeit, als die ersten PCs auf den Markt kamen. Mit seinem Tandy TRS-80 stieß er schnell an Grenzen. Da für einen größeren Computer das Geld fehlte, baute er sich das gewünschte Modell selbst. Bald musste er sich das Material nicht mehr kaufen, weil er die Produkte einer Mainzer Firma auf ihre Schwächen prüfte. Für diese Firma entwickelte er seine ersten Computer, unter anderem ein robustes VME-Bussystem für die Steuerung von Maschinen.
Dieses „Hobby“, das er neben seinem Studium an der TU-Darmstadt betrieb, brachte ihm eine hübsche Summe ein. Seine Doktorarbeit machte Volker Lindenstruth an der GSI bei Prof. Ulrich Lynen. „Mit Uli hatte ich den Deal, dass ich ihm im ersten Jahr einen Computer zur Auslese der experimentellen Daten seines Detektors baue und er mir ab dem zweiten Jahr die dazugehörige Physik beibringt“, erinnert sich Lindenstruth. Von seinem Doktorvater habe er zwei wichtige Dinge gelernt: Erstens, im richtigen Moment den Druck rauszunehmen, und zweitens, sich nicht zu fein zu sein, unkonventionelle Wege zu gehen.
Lektionen für das Leben
Die erste Lektion lernte er, als der von ihm mitentwickelte Detektor erstmals in einem Teilchenstrahl am Beschleuniger getestet werden sollte. „Der Strahl war da und der Computer funktionierte nicht“, erinnert sich Lindenstruth heute noch mit Schrecken. Er suchte fieberhaft nach dem Fehler. „Ich war zittrig und mir stand der kalte Schweiß auf der Stirn, als Uli Lynen gegen Mitternacht mit einer Dose Kekse zu mir kam und mich zu einer Pause zwang.
Gegen zwei oder drei Uhr morgens habe ich dann entdeckt, dass es sich um einen Fehler im Betriebssystem handelte.“ Die zweite Lektion lernte er, als für ein Kollisions-Experiment an der GSI ein Mitarbeiter vergessen hatte, das Blei-Target zu bestellen, auf das die Schwerionen geschossen werden sollten. Lynen ging daraufhin auf das Dach und kratzte Blei aus einer Fensterdichtung.
„Das war zwar kein optimales Target, aber so haben wir wenigstens etwas messen können und die teure Strahlzeit nicht vergeudet“, schmunzelt Lindenstruth. Seine Computerkenntnisse brachten ihm in der Folge eine Post-Doktoranden-Stelle an der Universität Berkeley in Kalifornien ein.
Diese hatte einen Detektor an der GSI bestellt, konnte ihn aber nicht zum Laufen bringen, weil es den dortigen Experten nicht gelang, die Maschinensprache zu übersetzen. Lindenstruth wurde entsandt, das Problem zu beheben, verbrachte anschließend noch ein paar Tage mit Mountain Biking und erhielt kurz nach seiner Rückkehr die Anfrage, ob er in Berkeley forschen wolle.
Günstige Hardware dank Grafikkarten
Die Teilchenphysik braucht nach wie vor die größten und leistungsfähigsten Computer, aber auch andere Fachgebiete wie die Klimaforschung, in der aufwändige Simulationen notwendig sind, benötigen effiziente und kostengünstige Supercomputer. Inzwischen gibt es auch immer mehr Bedarf in der Wirtschaft. Lindenstruth setzt bei der Konstruktion auf drei Säulen: Seine Rechner sind unschlagbar günstig, weil er anstelle von Prozessoren auch handelsübliche Grafikkarten verwendet.
Diese sind als Massenware für Spielekonsolen preiswert und werden immer leistungsfähiger. Verwirklicht hat Lindenstruth diese Idee erstmals am CERN. Dort konnte er die Rechenleistung eines vergleichsweise günstigen Supercomputers für zwei Millionen Euro mithilfe von Grafikkarten verdreifachen. Wie bereits zu Studienzeiten pflegt Lindenstruth gute Kontakte zu den Herstellern.
Er gibt wichtige Hinweise zu Materialschwächen und kann als Großabnehmer günstige Konditionen aushandeln. Die zweite Säule ist ein effizientes Kühlsystem. Mittlerweile fließen in Deutschland etwa 60 Prozent der Betriebskosten für Supercomputer in die Kühlung. Um an dieser entscheidenden Stelle Energie zu sparen, hat sich Lindenstruth den „Green IT Cube“ ausgedacht.
„Das ist im Wesentlichen ein Gebäude mit leeren Schränken und einer Kühlung“, sagt er bescheiden. Das einfache und kostengünstige Prinzip beruht auf der Verdunstung von Wasser. Aber wenn er ins Detail geht, wird klar, dass es sich um eine genau durchdachte Konstruktion handelt.
Hochregallager mit Kühlung
Der LOEWE-CSC, für den er das Kühlkonzept erstmals realisierte, wird mit Wasser aus dem Main gekühlt. Er gewann prompt den „Green IT Best Practice Award“ des Bundeswirtschaftsministeriums. Der zweite Green IT Cube von beträchtlich größerem Ausmaß ist kürzlich auf dem Gelände der GSI fertiggestellt worden: Es handelt sich um ein sechsstöckiges Gebäude mit einer Grundfläche, die der des Präsidialgebäudes auf dem Campus Westend vergleichbar ist.
Das Gebäude ist wie ein Hochregallager angelegt. Die Computerschränke ruhen auf Stahlträgern, wie sie in Parkhäusern verwendet werden. Ein Geschosspaar wird jeweils zu einer Kühleinheit zusammengefasst. Zurzeit wird das Gebäude mit Computern gefüllt. Insgesamt kann es 768 Schränke mit 35.000 Höheneinheiten von etwa 4 Zentimetern aufnehmen.
Für die enorme Rechnerleistung, die später auf dieser Fläche erzeugt werden kann, bekommt man ein Gefühl, wenn Lindenstruth den Platzbedarf für den neuen Supercomputer angibt, den Physik-Professorin Hanna Petersen erst kürzlich für ihre umfangreichen Simulationen angeschafft hat: Die Maschine im Wert von einer dreiviertel Million Euro nimmt gerade mal dreieinhalb Schränke ein. „Das passt locker in eine Ecke“, sagt er.
Zurzeit hat der Green Cube eine Kühlleistung von 4 Megawatt. In der endgültigen Ausbaustufe wird sie 12 Megawatt betragen. Im Jahresmittel liegt die zur Kühlung benötigte Energie bei unter 7 Prozent des gesamten Strombedarfs. „Wir sind gerade dabei, für den Green IT Cube den blauen Engel zu beantragen“, erklärt der Erfinder.
Schneller dank intelligenter Software
Die dritte Säule des Supercomputing ist die Software. In den letzten Jahren hat man die Rechenleistung stark erhöhen können, indem man die Rechenschritte so weit wie möglich in Teilaufgaben unterteilt, die von vielen Prozessoren gleichzeitig bearbeitet werden. Heute laufen in einem Supercomputer an die Zigtausende bis Millionen Rechnungen parallel. Gebremst wird der Prozess, wenn Prozessoren zu lange auf Zwischenergebnisse warten müssen.
Um den Auslöser zu finden, ist häufig eine aufwändige Fehlersuche notwendig. Ein weiteres Hemmnis ist, dass die Prozessoren zwar immer schneller werden, aber nicht der Zugriff auf den Speicher. Lindenstruth veranschaulicht das durch den Vergleich mit einem großen Gebäude wie der EZB. „Man kann keine 10- bis 20-stöckige Straße an das Gebäude bauen, damit alle Mitarbeiter zügig an ihren Arbeitsplatz kommen“, erklärt er.
Bei Supercomputern geht es inzwischen oft schneller, wenn man einen Wert neu berechnet, anstatt ihn aus dem Speicher abzurufen. Deshalb stecken Lindenstruth und sein Team auch viel Zeit in die Verbesserung der Software für Parallelrechner. Es konnten bei einigen wissenschaftlichen Beispielen sehr rechenaufwändige Probleme nur durch Umschreiben der Algorithmen und Datenstrukturen Geschwindigkeitssteigerungen von mehr als dem 100-fachen erreicht werden.
Wenn man die sehr hohen Anschaffungs- und Betriebskosten dieser Computer berücksichtigt, dann wird die besondere Bedeutung dieser Verbesserungen klar. Und was macht Volker Lindenstruth in seiner Freizeit? Da sitzt er an seinem Bösendorfer Flügel und übt Brahms. Zwar kann er nicht mehr, wie in seiner Jugend, vier Stunden täglich üben, aber er nimmt jetzt Privatstunden bei seinem damaligen Lehrer am Dr. Hochs Konservatorium.
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.17 (PDF-Download) des UniReport erschienen.