Es geht um mehr als Fachinhalte: Vizepräsident Prof. Roger Erb erklärt, was für ihn gute Lehre ausmacht – und wie Universitäten ihre Studierenden für die Arbeitswelt der Zukunft fit machen können.
Seit Mai ist Prof. Roger Erb als Vizepräsident für Studium und Lehre zuständig. Im Interview erzählt er, was für ihn gute Lehre ausmacht und wie er diese stärken möchte – und wie Universitäten ihre Studierenden für die Arbeitswelt der Zukunft fit machen können.
GoetheSpektrum: Herr Erb, Sie sind aus ganz verschiedenen Perspektiven ein Experte für die Lehre: Vor Ihrer Zeit als Professor haben sie auch als Lehrer gearbeitet, außerdem forschen Sie auf dem Gebiet der Didaktik der Physik. Wie haben Sie denn selbst die Lehre zu Ihrer Studienzeit erlebt?
Prof. Roger Erb: Als ich den 1980er Jahren studiert habe, war die Bolognareform noch weit entfernt. Diese Zeit wird heute oft verklärt; alles sei besser gewesen vor Bachelor und Master, heißt es dann. Tatsächlich liegt die Wahrheit wahrscheinlich in der Mitte, mit einer Tendenz zum Besseren heute: Durch die Reformen wurde nämlich verstärkt wieder darüber nachgedacht, wie ein Studium eigentlich aufgebaut sein sollte und reflektiert, ob die Strukturen dafür noch zeitgemäß sind. Was meine eigenen Studienerfahrungen angeht, habe ich das Gefälle in der Kommunikation zwischen Lehrenden und Studierenden noch als ziemlich ausgeprägt erlebt – obwohl die 1968er Bewegung schon 15 Jahre her war. Aber ich habe auch Professorinnen und Professoren erlebt, die es schafften, uns ihre Begeisterung für ihr Fach zu vermitteln. Das ist etwas, was man leider nicht in Modulbeschreibungen festhalten kann! Darum müssen wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für die Universität gewinnen, die auch eine Begeisterung für die Lehre in sich tragen.
Was macht für Sie gute Lehre aus?
Gute Lehre ist erst einmal erfolgreiche Lehre. Das bedeutet aber nicht, dass die fachinhaltlichen Ziele alleine im Fokus stehen. Vielmehr geht es um einen ganzheitlichen Blick: In unserem Leitbild Lehre steht deshalb auch, dass wir nicht nur Fachkompetenzen vermitteln, sondern die Studierenden zu mündigen, kritischen Bürgern bilden wollen. Sie sollen natürlich klüger aus den Lehrveranstaltungen kommen in Bezug auf ihr gewähltes Studienfach, aber auch klüger, was die allgemeine Teilhabe an der Gesellschaft angeht. Wichtig ist mir außerdem, dass die universitäre Lehre Spaß macht – und zwar allen Beteiligten!
In den vergangenen Jahren sind viele Projekte an der Goethe-Universität gestartet, die die Lehre in den Mittelpunkt gestellt haben. Inwieweit setzen Sie als Vizepräsident hier auf Kontinuität, wo möchten Sie vielleicht neue Impulse setzen?
[dt_quote type=“pullquote“ layout=“right“ font_size=“big“ animation=“none“ size=“3″]»Was Universitäten stark macht, ist, dass sie nicht nur Inhalte und Methoden lehren, sondern auch die kritische Auseinandersetzung mit diesen. Das macht aus Ausbildungsinhalten Bildungsinhalte.«[/dt_quote]
Auf Kontinuität setze ich sehr, denn es gibt viele Beispiele für erfolgreiche Arbeit in den letzten Jahren: Wir haben die Systemakkreditierung erlangt und können nun selbst unsere Studiengänge akkreditieren; wir haben es geschafft, drittmittelstarke Projekte in der Lehre einzuwerben; wir haben ein funktionierendes Qualitätsmanagement für die Lehre durch die Abteilung Lehre und Qualitätssicherung. Insofern verstehe ich weitere Impulse auch eher als geschickte Nachsteuerung denn als Revolution. Aktuell sind wir zum Beispiel in einem starken Diskussionsprozess über die Neugestaltung der Rahmenordnung*. Dazu gehörten in der ersten Phase auch gewisse Reibungen. Diese Auseinandersetzungen gehören dazu und sind nötig – dennoch müssen wir es schaffen zu vermitteln, warum es wichtig ist und wie es gelingen kann, uns in der Vielfalt als Volluniversität auf gemeinsame Standards zu verständigen. Diese Qualitätskriterien sind auch wichtig für das Standing der Lehre. Es lässt sich leicht sagen, dass Lehre und Forschung gleichberechtigt nebeneinander stehen – diese Gleichberechtigung zu leben, ist schwieriger. Das liegt auch daran, dass die Kolleginnen und Kollegen, die neu zu uns kommen, ihre Erfolge vor allem auf dem Forschungssektor erlebt haben und Einwerbungen von Forschungsdrittmitteln und Publikationen in hochrangigen Journals zu recht viel Gewicht haben bei den Berufungsverhandlungen. Auch wenn die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heute zum Glück auch Berichte aus der Lehrveranstaltungsevaluation mit in die Berufungsverhandlungen bringen, gibt es weiterhin ein Ungleichgewicht zwischen Studium/Lehre auf der einen und Forschung auf der anderen Seite. Dies gilt es immer wieder zu diskutieren und dabei Stück für Stück weiter aufzulösen.
Wie kann das gelingen?
Indem zum Beispiel in den Berufungsverfahren noch stärker als bisher auf den Lehrbereich geachtet wird. Um das zu erreichen, wäre es gut, wenn wir mit den Studiendekanaten der verschiedenen Fachbereiche gemeinsame Qualitätskriterien diskutieren, die sozusagen als Checkliste und Bestandteil der Berufungsverhandlungen dienen können. Außerdem ist es wichtig, die Studierenden, die ja auch in den Berufungskommissionen vertreten sind, für diesen Punkt zu sensibilisieren.
Mit dem »Starken Start ins Studium« konnte die Goethe-Universität ein drittmittelfinanziertes Großprojekt einwerben, über das viele Angebote gerade auch für Studienanfänger finanziert werden. Ist es mehr Fluch oder Segen, dass die Drittmittelförderung jetzt auch in der Lehre angekommen ist?
Wichtig ist, Grund- und Projektfinanzierung getrennt zu betrachten. Die Grundfinanzierung muss eine adäquate Lehre entsprechend unserer Studierendenzahlen abdecken, darf aber auch Anreize setzen, wenn sie nicht zur Fehlsteuerung führen: Dass in die Budgetberechnung einfließt, wie viele Absolventen es gibt, darf nicht dazu führen, dass unsere Ansprüche sinken. Zudem brauchen wir projektbezogene Gelder, um Innovationen in der Lehre zu unterstützen, dieses Geld muss dann aber für Qualitätsverbesserungen mit sinnvoller zeitlicher Perspektive zur Verfügung stehen. Daher begrüße ich es, dass im Koalitionsvertrag angekündigt wurde, den Qualitätspakt Lehre zu verstetigen: Wir können also wieder zusätzliche Mittel einwerben, wenn wir gute Ideen in der Lehre haben!
Das Studium ist zwar keine Berufsausbildung, dennoch erwarten die Studierenden, an der Universität gut für die Anforderungen des Arbeitsmarktes vorbereitet zu werden. Angesichts einer Arbeitswelt im Umbruch: Inwieweit sehen Sie es als Ihre Aufgabe, diese Herausforderungen für die Lehre mit in den Blick zu nehmen?
Die Berufswelt verlangt in zunehmendem Maße, dass man mit komplexen Situationen umgeht. In einer Ausbildung ist das Lernen auf konkrete Anwendungsformen ausgerichtet und für diesen Zweck effizient, bereitet aber daher nicht so stark darauf vor, flexibel auf sich verändernde Situationen reagieren zu können. Was Universitäten stark macht, ist, dass sie nicht nur Inhalte und Methoden lehren, sondern auch die kritische Auseinandersetzung mit diesen. Das macht aus Ausbildungsinhalten Bildungsinhalte – und genau das braucht eine Wissensgesellschaft, um zukunftsfähig zu bleiben. Gleichzeitig erreicht man durch die Vermittlung der Methoden eine Metaebene, die auch wichtig ist, um dauerhaft im Berufsleben zu bestehen.
Dennoch gibt es natürlich auch Studierende, die feststellen, dass ihr Studium nicht die richtige Entscheidung für sie war. Sollte vielleicht im Vorfeld stärker geprüft werden, für wen ein Studium tatsächlich der richtige Weg ist?
Das ist eine schwierige Frage. Zum einen sind wir natürlich interessiert, die besten und motiviertesten Studienanfängerinnen und -anfänger zu bekommen. Tatsächlich ist es aber gar nicht so leicht, diese zu identifizieren: Die Abiturnote ist zwar ein guter Prädiktor für Studienerfolg, das heißt aber noch nicht, dass die Studierenden sich für das ihren Interessen entsprechende Studium entscheiden. In dem Fall hat man zwar intelligente und fleißige Studierende, die dann aber vielleicht mehr extrinsisch als intrinsisch motiviert sind. Das ist nicht ideal für ein Studium. Zum anderen würden wir unserem gesellschaftlichen Auftrag nicht gerecht, wenn wir unsere Studiengänge bewusst klein hielten, um wirklich nur die interessiertesten und leistungsfähigsten Studierenden zu bekommen. Wir sind nicht auf einer Insel weit weg vom Rest der Welt: Vor der Erkenntnis, dass es künftig nicht mehr so viele einfach auszuübende Berufe geben und die Arbeitswelt höhere Anforderungen stellen wird, ist es auch unsere Aufgabe, mehr Studierende an den Universtäten zum Studienabschluss zu führen. Damit das gelingt, ist eben eine frühe Studienorientierungsphase wichtig, aber auch die Beratungsangebote über die gesamte Studienzeit hinweg müssen weiter ausgebaut werden – da sind wir schon auf einem sehr guten Weg. Gleichzeitig ist es nicht zwingend so, dass ein Studienabbruch automatisch etwas Schlechtes sein muss. Eine Umorientierung, ein Wechsel in einen anderen Studiengang, der dann erfolgreich abgeschlossen wird, kann eine sehr gute Entscheidung sein. Meiner Meinung nach muss ein Studium auch nicht unbedingt in der schnellstmöglichen Zeit abgeschlossen werden. Wichtig ist, dass man das Studium als eigenen Lebensabschnitt begreift. Wenn Studierende ihr Studium ernst nehmen, es als interessant und lehrreich begreifen, habe ich vollstes Verständnis dafür, wenn sie auch etwas länger dafür benötigen – gerade in einer so teuren Stadt wie Frankfurt, in der viele Studierende nebenbei arbeiten müssen.
* Die Rahmenordnung sichert die strukturelle, didaktische und inhaltliche Qualität der gestuften und modularisierten Studiengänge und gibt den Rahmen für eine effiziente und transparente Organisation des Studiums und der Prüfungen vor. (siehe Präambel der Rahmenordnung der Goethe- Universität)
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 2.18 der Mitarbeiterzeitung GoetheSpektrum erschienen.