Frankfurt glänzt mit eigenständigem Bachelor- und Masterstudiengang.
Ob sie Erzieherinnen werden oder Lehrerinnen, diese Frage haben Marta Slusarek und Anthea Dislich schon viel zu oft gehört. Beide studieren Erziehungswissenschaften bereits im Master. Ein wesentlicher Grund für ihre Wahl war das breite Spektrum des Fachs, das sich gerade nicht der schulischen Wissensvermittlung widmet und auch nicht primär auf den Kindergartenalltag vorbereitet.
Vielmehr liegt ein Schwerpunkt auf dem pädagogisch-professionellen Handeln in außerschulischen Berufsfeldern wie Erwachsenenbildung, Kinder-, Jugend- oder Senioreneinrichtungen. „Das kann konkret von Drogenhilfe, Arbeiten mit Menschen mit Behinderung bis zur Personalentwicklung in Unternehmen reichen“, weiß Marta Slusarek. Die Arbeit mit Klienten ist aber nur ein möglicher Einsatzbereich von Erziehungswissenschaftler*innen.
Durch die Kenntnis erziehungswissenschaftlicher Theorien, Forschungsverfahren und der Geschichte von Bildung und Erziehung können Erziehungswissenschaftler*innen auch auf institutioneller Ebene in Ministerien, Unternehmen, bei Bildungsträgern und Beratungsstellen konzeptionell arbeiten. Das Interesse an dem Fach ist groß. Rund 2000 junge Leute bewerben sich jedes Semester auf einen der rund 180 Plätze, davon sind mindestens 80 Prozent weiblich.
„Die Goethe-Universität ist eine sehr gute Wahl“, findet die Professorin Barbara Friebertshäuser, die auch in diesem Semester viele Erstsemester*innen in Methoden, Geschichte und Konzepte der Erziehungswissenschaften einführt. „Wir sind einer der großen Standorte in Deutschland, der alle Teildisziplinen und Lebensalter abdeckt und einen eigenständigen Studiengang für Erziehungswissenschaften anbietet.“
Sozialwissenschaftliche Orientierung – Bezug zu aktuellen Themen
Das helfe ungeheuer dabei, Kollegen von extern zu gewinnen und spannende Projekte einzuwerben, die viele Brücken in die Praxis schlagen. „Wir haben eine sozialwissenschaftliche Orientierung mit starkem Bezug zu aktuellen gesellschaftlichen Themen“, ergänzt Dozentin Birte Egloff. Das führe zu Forschungsprojekten mit vielen Bezügen zum Standort Frankfurt. Konzepte für den Dialog mit Flüchtlingen nennt sie als Beispiel:
„Wir haben beispielsweise in Integrationsklassen an Frankfurter Schulen forschend erkundend, welchen Bildungsbedarf die Teilnehmer*innen haben.“ Dafür hätten die Dozentinnen Dr. Anne Seifert, Dr. Sophia Richter und Dr. Patricia Stosic den 1822-Universitätspreis für exzellente Lehre erhalten, weil ihre Forschung unmittelbar in die Lehrveranstaltungen einfloss und durch den aktuellen Bezug auf großes Interesse stieß.
Marta Slusarek fallen an dieser Stelle die Seminare von Dr. Günter Burkart außerhalb der Universität ein: „Wir trafen uns in einem Altenheim, um mit den Bewohnern zu sprechen und zu erfahren, wie sie leben und was es für sie heißt, in einer Einrichtung zu leben.“ Schließlich müsse man die Personen ja kennen und einschätzen, bevor man für sie Konzepte macht.
„Ich sprach mit einer Demenzkranken. Das war wirklich eine ganz irritierende Erfahrung für mich.“ Auch in einen Boxclub führe der Dozent seine Studierenden, um mittels Feldforschung die Effekte des Boxens auf Kinder und Jugendliche zu reflektieren. Der Bachelorstudiengang befasst sich in 15 Modulen mit Erziehungs-, Lern- und Bildungsprozessen über die gesamte Lebensspanne hinweg. Wenn die Studierenden sich mit den Grundlagen vertraut gemacht haben, wählen sie ihren Schwerpunkt aus drei Lebensaltern aus.
Hinzu kommen 600 Stunden Praktika sowie Lehrveranstaltungen aus benachbarten Fachdisziplinen wie den Gesellschaftswissenschaften und der Pädagogischen Psychologie als traditionelle Bezugswissenschaften. „Im Wahlpflichtmodul II ist das gesamte Fächerangebot der Goethe-Universität nutzbar“, sagt Anthea Dislich. „Ich wollte gern etwas studieren, was mit Menschen zu tun hat, und habe die Breite des Fachs sehr genossen. Gerade deswegen kann ich mich aber auch jetzt noch gar nicht entscheiden, für welche Gruppe ich mich später beruflich einsetzen möchte.“
Beratung durch MoPS
Mit der Sprachförderung von Kindern und mit der Beratung von Studierenden im „MoPS“ hat sie bereits durch Nebenjobs Erfahrung gesammelt. MoPS ist die Abkürzung für Medienassistenz und -organisation, Praktikums- und Studienangelegenheiten. Auf dieses selbst entwickelte pädagogische Angebot von Studierenden für Studierende ist der Fachbereich sehr stolz.
„Als wir 2008 den Bachelor einführten, haben wir gleichzeitig das MoPS eröffnet, weil wir mit erhöhtem Beratungsbedarf rechneten“, sagt Egloff. „Das Konzept hat sich bewährt. Es gibt viele Fachbereich, die uns darum beneiden.“ „Wir beraten rund um die Organisation des Studiums, geben aber auch persönliche Hilfestellung bei Problemen“, sagt Anthea Dislich.
„Wenn es Probleme mit Dozenten gibt, leiten wir das auch mal weiter und versuchen zu vermitteln.“ Marta Slusarek sieht es als großen Vorteil, „dass wir die Probleme aus eigener Anschauung kennen und aus der Beratung wissen, wo Unterstützung gut tut.“ So entwickelt das zehnköpfige MoPS-Team eigenständig Workshops für Dauerbrenner-Themen wie Hausarbeiten formulieren und formatieren.
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Der Fachbereich Erziehungswissenschaften umfasst fünf wissenschaftliche Einheiten: das Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft, das Institut für Pädagogik der Elementar- und Primarstufe, das Institut für Pädagogik der Sekundarstufe, das Institut für Sonderpädagogik und das Institut für Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung.
Mit derzeit 24 Professuren und insgesamt über 100 Lehrenden gehört er zu den größeren Standorten der Erziehungswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Laut Studierendenstatistik sind aktuell ca. 7100 Studierende in einem der Studiengänge des Fachbereichs Erziehungswissenschaften (inklusive Lehramtsstudierenden) eingeschrieben.
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„Es ist ein niedrigschwelliges Angebot, das uns Lehrende entlastet“, sagt Friebertshäuser. „Die Studierenden schätzen sehr, dass es einen Beratungsort für sie gibt. Übrigens direkt gegenüber vom Prüfungsamt“, lacht sie. Auch Fabian Hachenburger, Bachelorstudent im dritten Semester, arbeitet im MoPS mit. „Nach der Schule merkte ich, dass mir Lehre und Lehren liegen. Lehrer wollte ich aber trotzdem nicht werden, sondern lieber die Theorie dahinter ergründen.“
Wegen des engen Forschungsbezugs entschied er sich für Frankfurt. Er rechnet im Studienverlauf aber auch damit, „dass man aufgrund des theoretischen Wissens seine Soft Skills im praktischen Umgang mit Menschen verbessert.“ Birte Egloff sieht dafür gute Chancen, wenn die Studierenden eine zentrale Qualifikation mitbringen:
Reflexionsfähigkeit. „Wir bereiten nicht auf ein bestimmtes Berufsfeld vor, sondern wollen die Grundlagen dafür legen, dass die Studierenden in Auseinandersetzung mit Studieninhalten und Praktika ihr Profil entwickeln“, erklärt die Lehrbeauftragte, die im Dekanat auch den Bereich Lehre und Studium leitet.
Switchen zwischen Berufsfeldern
Auf dieser Basis könnten die Absolventen sich im Berufsleben weiter professionalisieren, zumal sich die Anforderungsprofile ständig weiter entwickelten. „Man denke nur daran, wie sich die Einstellung zu professioneller frühkindlicher Förderung verändert hat oder wie sich neue Formen des Zusammenlebens im Alter auftun“, nennt Friebertshäuser als Beispiele. Auch das Switchen zwischen Berufsfeldern, etwa von der Arbeit mit den Jüngsten über Elterngespräche in die Erwachsenenbildung sei bei Erziehungswissenschaftlern keine Seltenheit.
„Die Erziehungswissenschaften haben eine große Verantwortung für Bildungsprozesse und wie man sie anstößt. Wir haben an Innovationen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen, Erwachsenen und alten Menschen einen erheblichen Anteil, weil wir es skandalisiert haben, wenn etwas schlecht lief“, öffnet Barbara Friebertshäuser den Blick. „Wir verändern auch das Denken der Gesellschaft darüber, wie Institutionen arbeiten sollen.“
Dafür die Grundlagen zu legen, sei im Interesse der Gesellschaft. „Denn wenn die Öffentlichkeit Geld für Bildung und Erziehung in Schulen, Heimen, Horten ausgibt, sollen diese auch gelingen.“ Mancherorts seien die Erziehungswissenschaften nur ein Teilbereich der Lehramtsstudiengänge. In Frankfurt dagegen finden Vorlesungen und Seminare für Erziehungswissenschaftler weitgehend getrennt von denen für Lehramtsstudierende statt.
Die Institute für Pädagogik der Elementar- und Primarstufe, der Sekundarstufe oder Sonderpädagogik haben andere Curricula. „Vor der Einführung der Bildungswissenschaften gab es oft gemeinsame Lehrveranstaltungen, dann wurde immer stärker getrennt. Wir bedauern das, weil die Disziplinen voneinander lernen konnten und Lehrkräfte und Erziehungswissenschaftler*innen in der Praxis ja auch kooperieren“, sagt Egloff.
Die Liste der aktuellen Themen am Fachbereich ist lang. Sie reichen von der Partizipation bildungsferner Milieus an Bildung, beruflicher Weiterbildung im Zuge der Digitalisierung, der Gestaltung des Alters bis zum Einsatz neuer Medien in der Bildung. „Bei den neuen Medien befinden wir uns letztendlich alle im Feldexperiment. Forschende Begleitung ist hier wichtig als Frühwarnsystem für problematische Entwicklungen“, sagt Friebertshäuser.
„Hier hätten wir liebend gern Verstärkung durch eine Professur für Medienforschung und Digitalisierung.“ Die Nachfrage am Arbeitsmarkt nach Absolventen ist generell groß, „nicht nur bei Kitas und im Bereich Flüchtlinge“, weiß Egloff. Nicht zu unterschätzen sei auch als „Frankfurt Special“ die Jobbörse für Erziehungswissenschaftler. Ende Januar findet sie zum fünften Mal im Foyer des PEG statt. 38 Aussteller aus allen pädagogischen Feldern sind bereits angemeldet.
„Das ist ein attraktives Angebot für unsere Studierenden. Sie werden teilweise vom Fleck weg engagiert“, berichtet Egloff. Nicht jeder finde auf Anhieb seinen Traumjob. „Manchmal geht es los mit befristeten Jobs oder Teilzeitstellen, aber der Einstieg gelingt relativ gut, vor allem dann, wenn man Kontakte aus Praktika hat“, weiß Birte Egloff. Barbara Friebertshäuser macht für die relativ guten Jobaussichten auch eine Pädagogisierung an vielen Stellen verantwortlich.
„Plötzlich bekommen unsere Absolventen eine Stelle bei Fraport oder bei der Deutschen Bahn.“ Als genereller Trend sei die Delegation von Aufgaben an Professionelle auszumachen. „Und genauso wie sich der Blick auf die frühkindliche Entwicklung derzeit ändert, wird sich das in weiteren gesellschaftlichen Bereichen fortsetzen, bei den Senioren oder in der Erwachsenenbildung. Hier steigt der Weiterbildungsbedarf durch Digitalisierung und Jobwechsel gerade immens.“ Immer gehe es um Beratung, Begleitung, Fortbildung oder (sozial-)pädagogische Unterstützung. „Und dafür werden die Frankfurter Erziehungswissenschaftler*innen gut vorbereitet.“
[Autorin: Julia Wittenhagen]
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.18 (PDF-Download) des UniReport erschienen.