Ute Lewitzka bereichert mit ihrem Wissen und ihrem Engagement für die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen die Goethe-Universität.
Es hat einige Zeit gedauert, bis ihr Wunsch Realität wurde – Ute Lewitzka engagierte sich lange dafür, dass die Suizidologie in Deutschland eine eigene Professur erhält. Seit dem 1. November 2024 ist dies nun endlich der Fall: An der Goethe-Universität wurde die bundesweit erste dieser Art eingerichtet. Obwohl die Erforschung von Selbsttötungen ein Nischenthema innerhalb der Psychiatrie darstellt, ist ihre gesellschaftliche Bedeutung unbestreitbar. Im vergangenen Jahr starben mehr als 10 000 Menschen durch Suizid – eine Zahl, die seit rund 20 Jahren relativ konstant bleibt. Dabei betrifft das Thema Menschen aller Altersgruppen und sozioökonomischen Hintergründe. Die Zahl der Suizidversuche wird auf das 10- bis 20-Fache geschätzt, wobei Expert*innen von einer hohen Dunkelziffer ausgehen. Die lückenhafte Datenlage, bedingt durch verschiedene Faktoren, erschwert jedoch eine erfolgreiche Prävention. „Je mehr wir über Suizide und Suizidversuche wissen, desto bessere Präventionsmaßnahmen können wir entwickeln“, betont Lewitzka, „und so betroffenen Menschen optimal helfen.“
Es ist kein Zufall, dass die Professur für Suizidologie und Suizidprävention ausgerechnet an der Goethe-Universität zustande kam. Sie ist im Fachbereich Medizin angesiedelt, genauer gesagt an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Diese Klinik zählt national wie international zu den führenden Einrichtungen im Bereich der Stimmungserkrankungen und wurde bereits mehrfach für ihre exzellente Behandlung ausgezeichnet. Auch die Wissenschaft hat hier einen hohen Stellenwert, wie das Engagement von Klinikdirektor Prof. Andreas Reif zeigt. Er hat in den vergangenen Jahren nachhaltige Strukturen für die Suizidprävention und die damit verbundene Forschung aufgebaut und die Einrichtung der Stiftungsprofessur vorangetrieben. „Ich bin ihm sehr dankbar, dass er sich dafür so starkgemacht hat“, betont Lewitzka. Die Professur wird durch Mittel des Universitätsklinikums Frankfurt sowie durch die Dr. Elmar und Ellis Reiss Stiftung, die Crespo Foundation und die Henryk Sznap Stiftung finanziert.
Ute Lewitzka begleitet bereits seit ihrer Facharztausbildung am Dresdner Universitätsklinikum Menschen mit Stimmungserkrankungen – darunter immer wieder auch suizidale Patient*innen. „Es macht sehr demütig, Menschen in so einer elementaren Krise zu begegnen“, beschreibt sie, „zu erleben, dass es auch wieder gut wird, hat etwas Existenzielles an sich und hilft genau, diese Hoffnung auch immer wieder zu vertreten.“ Dieses „wieder-gut-werden-können“ und die Verringerung der Suizidzahlen sind die größte Motivation für ihre Forschung. Bereits vor 20 Jahren befasste sie sich in ihrer Doktorarbeit mit der Veränderung von Neurotransmittern bei suizidalen Patient*innen. Die Suizidologie hat sie seither nicht mehr losgelassen. Die 2005 von ihr gegründete Arbeitsgruppe Suizidforschung beschäftigte sich mit zahlreichen klinischen Forschungsarbeiten zu suizidologischen Fragestellungen – häufig in Kooperation mit anderen Fachdisziplinen (z. B. Gynäkologie, Neurologie, Psychoonkologie). Von 2008 bis 2010 war Lewitzka als Oberärztin der psychiatrischen Akutstation am Dresdner Universitätsklinikum tätig. Von 2010 bis 2012 arbeitete sie als Visiting Assistant Professor an der Dalhousie University in Halifax (Kanada) und forschte dort zu Kindern, deren Eltern an einer bipolaren Störung erkrankt waren. Zurück in Deutschland widmete sie sich verstärkt der Forschung und untersuchte für ihre Habilitationsschrift den Einfluss von Lithium auf Suizidalität und affektive Störungen.
Ehrenamtliches Engagement außerhalb der Klinik war der Medizinerin schon immer ein großes Anliegen. Im Jahr 2017 gründete sie das Werner-Felber-Institut für Suizidprävention und interdisziplinäre Forschung im Gesundheitswesen (WFI) und übernahm 2018 den Vorsitz der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS). Mit diesen gemeinnützigen Organisationen setzt sie sich insbesondere dafür ein, Akteure zu vernetzen und das Thema Suizidalität aus der Tabuzone zu holen. „Die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen spielt eine entscheidende Rolle für die Prävention“, erklärt Lewitzka. „Nicht nur fehlende Informationen über mögliche Hilfen, auch Schamgefühle bei Betroffenen senken die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich Hilfe suchen.“
Ein Beispiel für ein solches Präventionsprojekt ist das Netzwerk „HEYLiFE“ in Sachsen, das mit Workshops an Schulen gezielt Jugendliche und Lehrkräfte für das Thema Suizidalität sensibilisiert. Neben der Vermittlung von Wissen stehen dabei konkrete Bewältigungsstrategien und die Kommunikation über psychische Probleme im Fokus. Bereits im ersten Jahr konnten durch die Workshops mehrere Tausend Jugendliche an weiterführenden Schulen erreicht werden. Die Evaluation des Projekts gehörte zu den Arbeiten von Lewitzkas Team in Dresden. Besonders ermutigend sind deren Ergebnisse: Jugendliche sind nach dem Workshop eher bereit, für sich selbst oder für ihre Mitschüler*innen Hilfe zu holen. Besonders beeindruckend ist, dass dies mit einem einmaligen, 180-minütigen Workshop erreicht werden konnte und diese positiven Effekte bis zu sechs Monate nach dem Workshop sichtbar waren. In Frankfurt steht Lewitzka bereits mit einem ähnlichen Projekt in Kontakt, um auch in ihrer neuen Teilzeit-Heimat die Suizidprävention weiter voranzubringen. Weitere Akteure im Rhein-Main-Gebiet sollen ebenfalls eng mit der neuen Professur zusammenarbeiten, darunter die Notrufleitstellen. Diese wurden bereits in einem sächsischen Projekt von Lewitzka und ihren Kolleg*innen erfolgreich in die Erforschung von Suizidversuchen und Suiziden eingebunden. Durch die systematische Erfassung eingehender Notrufe können die Forschenden regelmäßig Analysen zu den gewählten Orten und Methoden durchführen, um präventive Maßnahmen zu entwickeln.
Dass es trotz eines fundierten Kenntnisstands zur Suizidprävention oft an der praktischen Umsetzung scheitert, ist Lewitzka ein Dorn im Auge: „Wir wissen eigentlich sehr genau, mit welchen Maßnahmen man Suiziden vorbeugen kann. Doch leider ist dies oft auch eine politische und wirtschaftliche Frage.“ Von der Professur erhoffe sie sich daher auch einen „längeren Hebel“ in gesellschaftspolitischen Diskussionen. Außerdem freue sie sich besonders auf die Lehre. Begeistert berichtet sie von einem Wahlfach, das sie in der Vergangenheit mit unterschiedlichsten Expert*innen organisiert hat. „Wenn es mir gelingt, Medizinstudierende für das Thema zu begeistern und den Forschungsnachwuchs zu fördern, ist schon viel gewonnen.“
Phyllis Mania
Hilfsangebote für Betroffene und ihre Angehörigen
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