Als Harry Behr in seiner Jugend rund zweieinhalb Jahre in Indonesien verbrachte, hatte ihm ein Meister vorausgesagt: „Ich sehe einen Lehrer in Dir.“ Davon ließ er sich auch nicht abbringen, als Behr betonte, er habe keinerlei Interesse am Lehrerberuf. Er wolle vielmehr in Deutschland Agrarbiologie studieren. „Mag sein“, antwortete der Meister, „ich sehe Dich jedenfalls so: Erst studierst Du Agrarbiologie – und danach wirst Du Lehrer.“ Und genau so kam es: Behr, der heute am Fachbereich 04 Islamische Religionspädagogik und Fachdidaktik des Islamischen Religionsunterrichts unterrichtet, hatte in Indonesien den Islam kennen- und lieben gelernt, sodass er dort 1980, mit 17 Jahren, übertrat, indem er vor Zeugen in der Moschee das islamische Glaubensbekenntnis sprach. Dabei erhielt er den Beinamen Harun, der ihm gewissermaßen Programm werden sollte, bezeichnet er doch gemäß der Überlieferung jemanden, der für einen stummen/sprachlosen Menschen das Wort ergreift und ihm dadurch eine Brücke zur Welt baut; auch Harry Harun Behr würde, wenn er nach Deutschland zurückkehren würde, als Brückenbauer in die islamische Welt wirken.
Klassenräume statt Petrischalen
Er legte zwar noch sein Diplom in Agrarbiologie ab. Zugleich unterrichtete er allerdings ehrenamtlich Kinder und Jugendliche, sowohl in seiner Moscheegemeinde als auch für andere muslimische Gruppierungen: „Mein Interesse wechselte in diesen Jahren gewissermaßen von den Bodenbakterien in den Petrischalen zu den Kindern in den Klassenräumen“, fasst Behr zusammen – da war es nur konsequent, dass er anschließend ein Lehramtsstudium (Grund-/Hauptschule) absolvierte.
Mehrere Jahre arbeitete er tatsächlich als Lehrer, bevor er begann, diejenigen Lehrerinnen und Lehrer auszubilden, die muslimischen Kindern das erteilen, was ihnen entsprechend Grundgesetz, Artikel 7 zusteht: Schulunterricht in ihrer Religion.
Auf eines legt Behr Wert, wenn er über seine Tätigkeit als Ausbilder von islamischen Religionslehrerinnen und -lehrern spricht: Er agiert dabei unabhängig von Islam-Verbänden wie beispielsweise der DITIB oder der Ahmadiyya Muslim Jamaat. „Schließlich bin ich bei keiner dieser Religionsgemeinschaften Mitglied“, hebt Behr hervor und erläutert, dass darin ein wesentlicher Unterschied zu den christlichen Konfessionen bestehe: Um beispielsweise katholische Religionslehrerinnen und -lehrer auszubilden, würde er die Lehrbefugnis der katholischen Kirche benötigen, und diese Lehrbefugnis erhielten nur Kirchenmitglieder – katholisch getaufte Christinnen und Christen.
Im Vergleich zu christlichem Religionsunterricht herrsche in Hessen bei dessen muslimischem Pendant allerdings ein heilloses Durcheinander: „Da gibt es islamischen Religionsunterricht (IRU), der wird in Kooperation mit der türkisch-islamischen DITIB und mit der Ahmadiyya Muslim Jamaat erteilt.“ Nachdem das Land Hessen aber 2016 infolge des versuchten Putsches gegen den türkischen Präsidenten Erdogan die Kooperation mit der DITIB zeitweise ausgesetzt hatte, sei per Definition kein islamischer Religionsunterricht mehr möglich gewesen, und so habe sich Hessen entschieden, ersatzweise das nicht bekenntnisorientierte Fach Islamunterricht (ISU) anzubieten.
Unselige Hybridstruktur
„Diese Situation, die von der Politik mit der unseligen Hybridstruktur IRU/ISU herbeigeführt wurde, nervt mich total, ich habe eine Stinkwut“, wird Behr deutlich. Schulleitungen, die sich von der Politik eindeutige Aussagen wünschten, seien massiv verunsichert, ebenso Studierende, die dann unter dem Mangel an Referendariatsplätzen litten. In seiner Zeit in Bayern habe er für Schulleitungen und Schulamtsbezirksleitungen Schulungen zum Thema IRU/ISU abgehalten. „Mit dem Resultat, dass der ‚Islamische Unterricht‘ in Bayern heute problemlos funktioniert“, sagt Behr. Aber als er 2014 an die Goethe-Universität berufen wurde, sei ihm vom Hessischen Kultusministerium (HKM) bedeutet worden, dass man auf seine schulpolitische Aktivität keinen Wert lege: „In Wiesbaden hat man mir gesagt, ich solle hübsch auf dem Campus bleiben, forschen und mich nicht in die Schule, also in die Arbeit des HKM, einmischen.“
Genau das will Behr jetzt in den fünf Jahren bis zu seiner Pensionierung tun – er will seine Forschung an der Schnittstelle von Migration, Religion, Gender, Bildung und Jugend fortsetzen, und dabei will er insbesondere einen Befund weiterverfolgen: „Deutschland hat nicht so sehr ein Problem mit der Radikalisierung von Schülerinnen und Schülern, sondern vielmehr von Lehrkräften“, stellt Behr klar. Auch Lehrkräfte, die sich für tolerant und weltoffen hielten, neigten unter Umständen dazu, ihren Schülerinnen und Schülern bestimmte Eigenschaften allein aufgrund ihres Namens oder Aussehens zuzuschreiben.
„Das passiert zum Beispiel, wenn die Lehrkraft eine Schülerin namens Ayse automatisch fragt, wie ihre Familie es mit dem Ramadan hält“, erläutert Behr, obwohl ein türkisch klingender Vorname nichts über die Religionspraxis aussagt. „Ich versuche, solches Verhalten angehender Lehrkräfte in gute Führungskompetenzen umzuwandeln.“ Die angehenden Lehrerinnen und Lehrer sollen lernen, die Frage „Woher kommst Du?“ so zu stellen, dass sie ehrliches Interesse anstelle von Skepsis und Arroganz vermittelt. Das fordert einerseits seine Didaktik-Fähigkeiten heraus, macht ihm aber andererseits Spaß: „Ich lerne in jedem Semester genauso viel wie meine Studierenden.“
Stefanie Hense