Neues Reinhart Koselleck-Projekt: Rhythmus in der Literaturtheorie

Der Komparatist Achim Geisenhanslüke erforscht die Rolle des Rhythmus als Beschreibungs- und Analysekategorie.

Man kennt ihn vor allem aus der Musik, aber auch in anderen Bereichen wird der Begriff häufig benutzt: der Rhythmus der Gezeiten, der Rhythmus von Arbeit und Müßiggang, der Rhythmus einer architektonischen Fassadengestaltung, Herz-Rhythmus-Störungen. Welche Rolle dem Rhythmus als Beschreibungs- und Analysekategorie in der Literaturtheorie zukommt oder zukommen sollte, das erforscht Professor Achim Geisenhanslüke in einem neuen Projekt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft als Reinhart Koselleck-Projekt bewilligt wurde.

Schon früh in seiner akademischen Laufbahn hat Achim Geisenhanslüke sich mit dem Rhythmusbegriff in der Literatur beschäftigt. Nach dem Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin und der Université de Paris VIII-Saint-Denis wurde er mit einer Arbeit über Foucault und die Literatur promoviert, noch vor der Habilitation veröffentlichte er einen Aufsatz zur Poetik von Meschonnic. Der französische Lyriker sowie Sprach- und Literaturwissenschaftler Henri Meschonnic (1932–2009) hatte im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit strukturalistischen und poststrukturalistischen Literaturtheorien eine Aufwertung des Rhythmusbegriffs eingeleitet. Dieser Prozess sei jedoch längst nicht abgeschlossen, so Achim Geisenhanslüke, der seit 2014 an der Goethe-Universität forscht und lehrt.

Neues für den literaturwissenschaftlichen Werkzeugkasten

Im Rahmen seines Reinhart Koselleck-Projekts wird er an einer Poetik des Rhythmus arbeiten mit dem Ziel, den Rhythmus als Analyse- und Beschreibungskategorie im literaturwissenschaftlichen Werkzeugkasten zu verankern. Die Frage nach der grundsätzlichen Bedeutung des Rhythmus für die Theorie und Praxis der Dichtung (= Poetik) verbindet er mit der nach konkreten Erscheinungsformen dieses Phänomens in der Dichtung. Zwar hat Geisenhanslüke sich auch schon anhand der Prosawerke von Marcel Proust dem Rhythmus als Teil der Stilistik gewidmet, im Zentrum des Koselleck-Projekts jedoch steht der Rhythmus in der Lyrik. Aber nennt man den Rhythmus in Gedichten nicht einfach Metrum? Durchaus nicht, sagt Achim Geisenhanslüke. Zwar beschreibe auch der Rhythmus die „Form in Bewegung“ in der dichterischen Rede, sei aber wesentlich umfassender als der Begriff des Metrums. Gerade im Hinblick auf moderne Lyrik sei das Potenzial des Rhythmus-Begriffs relevant, wenn auch bislang noch zu wenig erforscht.

Dieses Defizit verwundert umso mehr, als schon der griechische Dichter Archilochos im 7. Jahrhundert vor Christus den Rhythmus als wichtiges Merkmal von Dichtung benannte. Zahl und Maß zusammen ergeben den Rhythmus, konstatierte im 5. Jahrhundert vor Christus der griechische Philosoph Platon. Achim Geisenhanslüke kümmert sich allerdings um wesentliche spätere literarische Produkte. In drei Teilstudien wird er sich seinem Thema nähern: In der ersten geht es um den Rhythmus in Gedichten von Friedrich Hölderlin, in einer weiteren erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit Foucaults Diskurstheorie, die er um den Rhythmusbegriff erweitern möchte. Die dritte Teilstudie schließlich widmet sich dem Rhythmus als „Form in Bewegung“ im modernen Gedicht bis zur Gegenwart, von Annette von Droste-Hülshoff und Charles Baudelaire bis zu Thomas Kling. Den notwendigen Freiraum, um sich all diesen Aspekten widmen zu können, verschafft die finanzielle Förderung durch die DFG. 750 000 Euro werden auf fünf Jahre verteilt in das Projekt fließen, bei einer flexiblen Verteilung für Vertretungen, Stellenbesetzungen, Hilfskräfte, Workshops und Tagungen.

Tagung zu Foucaults 100. Geburtstag

Die seit 2008 vergebene DFG-Förderlinie ist nach Reinhart Koselleck (1923–2006) benannt, einem der bedeutendsten deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts, der als Mitbegründer der modernen Sozialgeschichte gilt. Reinhart Koselleck-Projekte werden an „durch besondere wissenschaftliche Leistung ausgewiesene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler“ vergeben. Voraussetzung für eine Bewilligung sind besonders innovative Denkansätze sowie eine gewisse Risikobehaftung. Im Falle des Projekts von Achim Geisenhanslüke liegen die Risiken im Versuch, im Rahmen eines komparatistischen Ansatzes mit dem Rhythmus einen für die Literaturwissenschaft ebenso zentralen wie unterschätzten Begriff zum Gegenstand zu nehmen, um auf diese Weise der Poetik einen neuen Impuls zu geben. Dabei gehe es um nichts weniger als darum, die literaturtheoretischen Überzeugungen der Gegenwart zu modifizieren – eine Abkehr vom Dualismus von Signifikant und Signifikat zugunsten der Überzeugung, dass auch die zeitliche Gliederung literarischer Rede Bedeutung erzeuge. Einer der Höhepunkte des Projekts ist für das Jahr 2026 vorgesehen: Zu Foucaults 100. Geburtstag soll es eine große Tagung geben.

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