Prof. Dr. Rudolf Wiethölter (1929-2024)

Rudolf Wiethölter wurde 1929 in Solingen geboren. Dort machte er kurz nach Kriegsende sein Abitur und studierte anschließend Jura in Köln. Nach absolviertem Ersten Staatsexamen und einem einjährigen Aufenthalt am Europakolleg in Brügge wurde Wiethölter 1956 mit einer Arbeit über Kollisionsnormen im Internationalen Privatrecht in Köln promoviert. Damit war bereits ein zentrales Thema seines Denkens gesetzt: Wiethölter ging es einerseits – wie auch anderen politisch progressiven Juristen seiner Generation – um die Transformation und Anpassung eines freiheitlich-individualistisch konzipierten (und scheinbar unpolitischen) Privatrechts an die Realität einer von Interessenkonflikten zwischen großen sozialen Gruppen getragenen Gesellschaft. Andererseits – und darin hat er dieser Transformationsbewegung einen eigenen theoretischen Akzent gegeben – sollten die in einer pluralistischen Gesellschaft unhintergehbaren Konflikte und Spannungen mittels einer von einem (Meta-)Kollisionsrecht getragenen „Wirtschaftsverfassung“ abgespannt werden. Auf dieser Grundlage sollte die Eigenlogik des Rechts, das Eintreten für verallgemeinerungsfähige Interessen, gegenüber politischer wie wirtschaftlicher Macht und Parteilichkeit stets aufs Neue zur Geltung gebracht werden. Der Ordnungsanspruch rechtlicher Konzepte und Begriffe war daher am Maßstab einer entwicklungsgerechten gesellschaftlichen Dynamik zu schulen, anstatt das Recht in begriffslose „Guts-Abwägungen“ aufzulösen, die sich ihrerseits an der überholten Vorstellung einer vorgegebenen staatlichen Einheit orientierten.

Nach einem Forschungsjahr in Berkeley habilitierte sich Wiethölter 1960 in Köln mit einer unternehmensrechtlichen Arbeit. Drei Jahre später wurde er Professor für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht am Fachbereich Rechtswissenschaft. Dem Frankfurter Fachbereich blieb er – über die Emeritierung im Jahr 1997 hinaus – zeit seines Lebens verbunden. Zu dieser Verbundenheit gehörte schon früh ein umfangreiches universitätspolitisches Engagement: Wiethölter warb für eine Reform der Universitätsverfassung und legte zusammen mit Erhard Denninger, Ludwig von Friedeburg und Jürgen Habermas Grundsätze für ein neues Hessisches Hochschulrecht vor. Mit diesem Engagement verband sich zugleich das Interesse an einer demokratisierten Juristenausbildung. Deren inhaltliche Seite konkretisierte Wiethölter in dem vom Hessischen Rundfunk im Winter 1966/67 ausgestrahlten Funk-Kolleg „Rechtswissenschaft“: Er forderte ein entmythologisiertes, komplexeres, die verschiedenen Fäden der politischen, sozialen und ökonomischen Voraussetzungen des Rechts aufnehmendes Denken. Im demokratischen Staat des Grundgesetzes konnte dies nur ein prozesshaftes gesellschaftstheoretisches Denken sein, in dem der Gedanke ständig neu zu schaffender und zu erprobender gerechter sozialer Ordnungen die rechtsphilosophische Ableitung des Rechts aus einer einzigen „Rechtsidee“ zu ersetzen hatte.

Mit diesem prozesshaften Denken, seinen „Recht-Fertigungen“ eines „Gesellschafts-Rechts“, hat Rudolf Wiethölter immer neue Generationen von Juristen fasziniert. Er hat sein Verständnis von Rechtswissenschaft aber nicht nur in Büchern und Aufsätzen verfolgt, sondern auch und vor allem im Medium des Seminars. Hier, in der kolloquialen Interaktion des Frankfurter Mittwochsseminars, hat Wiethölter die Rolle des Rechtslehrers in höchster rhetorischer Kunst bis ins hohe Alter gepflegt und entfaltet. Mit seinem Anspruch auf theoretische Genauigkeit, seinem stupenden historischen Wissen, seinem ästhetischen Sinn, seinem Witz und einer ihm eigenen Sprache hat er einen unwiederbringlichen Beitrag zur Entwicklung eines weit über Frankfurt hinaus wirkenden kritischen juristischen Denkens geleistet, das bis heute nichts von seiner Anziehungskraft verloren hat. Am 7. Oktober ist Rudolf Wiethölter in Königstein im Taunus verstorben.

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Thomas Vesting,
Professor für Öffentliches Recht, Recht und Theorie der Medien.

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