Nördlinger Ries: Vier Jahrtausende Kulturgeschichte

Vier Jahrtausende Kulturgeschichte am Westrand des Nördlinger Rieses zu rekonstruieren – dieses ehrgeizige Ziel hat sich Prof. Rüdiger Krause, Archäologe an der Goethe-Universität, mit einem neuen Projekt gesetzt. Im Fokus der Forschung, die von einer regionalen Stiftung gefördert wird, steht die Gegend um den Ipf, die als Schauplatz wichtiger Ereignisse eine bedeutende Rolle gespielt hat.

Ederheim, Forellenbachtal unterhalb der Burgruine Niederhaus mit dem Moor Katzenweiher. Foto: R. Krause.

Im 6./5. Jahrhundert vor Chr. schufen die frühkeltischen Eliten nördlich der Alpen bedeutende Machtzentren. Eines davon befand sich im östlichen Allgäu: Auf dem Berg Ipf am Nördlinger Ries war einer der Fürstensitze errichtet worden. Von hier aus pflegte man die Kontakte zum mediterranen Süden des griechisch-etruskischen Italien. Die Besiedlung des Ipf reicht jedoch noch viel weiter zurück. In der späten Bronzezeit um 1000 v. Chr. entstand auf der weithin sichtbaren Erhebung im Osten der Schwäbischen Alb eine mächtige Befestigungsanlage.

Seit mehr als 20 Jahren erforscht Prof. Rüdiger Krause vom Institut für Archäologische Wissenschaften der Goethe-Universität die Kulturgeschichte des Ipf. Nun will der Prähistoriker zusammen mit der Archäobotanikerin Prof. Astrid Stobbe die Entwicklung von Kulturlandschaft und Ökosystem vom 3. Jahrtausend v. Chr. bis in die Neuzeit neu bewerten und die Vergangenheit der Region rekonstruieren. Gefördert wird das Vorhaben von der Stiftung Kessler + Co für Bildung und Kultur mit Sitz in Abtsgmünd.

Frühkeltischer Fürstensitz Ipf bei Bopfingen mit seinen mächtigen Befestigungen aus der Bronze und älteren Eisenzeit. © Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Luftbild Otto Braasch.

Die Idee für das Projekt erwuchs aus Rüdiger Krauses langjährigen Forschungen zum frühkeltischen Fürstensitz auf dem Ipf und im Umfeld des imposanten Berges, wo er und sein Team seit 1995 umfangreiche archäologische Ausgrabungen sowie naturwissenschaftliche Analysen durchgeführt haben. Aus zwei DFG-Schwerpunktprogrammen und mehreren, ebenfalls von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Einzelprojekten stehen archäologische, archäobotanische, geomorphologische und andere Daten zur Verfügung. Die Archäobotanikerin Prof. Astrid Stobbe konnte mit ihren vegetationsgeschichtlichen Untersuchungen zeigen, wie sich die Kulturlandschaft unter dem Einfluss des Menschen und seiner Nutztiere verändert hat. So belegten pollenanalytische Daten aus Vermoorungen eine deutliche Entwaldung und eine zunehmende Nutzung der Landschaft seit der späten Bronzezeit.

Das neue Projekt soll diese Daten nun in einer Gesamtschau zusammenführen, offene Fragen sollen durch neue Analysen geklärt werden – zum Beispiel durch die zusätzliche Erschließung naturwissenschaftlicher „Archive“ wie Ablagerungen in Moor- und Sumpflandschaften. Standen bisher der Westrand des Nördlinger Rieses am Ipf und der Ohrenberg im Zentrum der Untersuchungen, soll nun auch das Kartäusertal am Südrand des Rieses einbezogen werden. „Damit decken wir drei unterschiedlichen Naturräume ab von der Riesebene über die Riesrandhöhen mit dem Ipf bis auf die Hochfläche der östlichen Schwäbischen Alb“, erklärt Prof. Krause. Diese Regionen zeichnet sich durch archäologische Denkmäler von der Steinzeit bis zum Spätmittelalter aus. Prägend für das Kartäusertal sind die Grabhügel in den Wäldern und der Weiherberg mit seinen Befestigungen und einem Brandopferplatz aus der Bronze- und älteren Eisenzeit. Aus karolingischer Zeit um 800 n. Chr. sind etliche Orte durch Quellen überliefert. „Sehr spannend könnte das ehemalige Schlachtfeld auf dem nördlich gelegenen Albuch werden, wo 1634 die berühmte Schlacht von Nördlingen stattfand, in deren Folge einige Dörfer und ihre Wirtschaftsflächen für lange Zeit wüst fielen“, sagt der Archäologe.  

Ederheim, das Moor Katzenweiher unterhalb der Burgruine Niederhaus bei einer ersten Bohrung und Probennahme am 4.11.2021. Foto: K. Kroepelin.

„Wir wollen in einer Synthese große Datenmengen zusammenführen und die Entwicklung des Kulturraums in einer diachronen Perspektive von der Bronzezeit bis in das Mittelalter historisch neu bewerten“, formuliert Krause. „Die Förderung durch die Kessler + Co Stiftung ist eine Riesenchance, ein so umfangreiches Vorhaben anzugehen“, ergänzt Mitantragstellerin Stobbe. Das Projekt wird zunächst für zwei Jahre mit 170.000 Euro gefördert – mit Aussicht auf Verlängerung. Im Rahmen des Projekts sollen mehrere Abschlussarbeiten und eine Dissertation entstehen. Der Projekttitel lautet: „Sozioökonomie und Kulturlandschaft am Fürstensitz auf dem Ipf. Eine archäologisch-naturwissenschaftliche Studie am Westrand des Nördlinger Rieses“.

„Wir glauben an den hohen Nutzen vielfältiger privater Initiativen für unsere Gesellschaft“, so der Diplomphysiker Gerhard Grimminger, Stiftungsratsmitglied und Geschäftsführer der Kessler-Werke. Die Stiftung Kessler + Co für Bildung und Kultur (https://www.stiftung-kessler-co.de) engagiert sich vor allem in der Region Ostalb und Schwäbische Alb in Baden-Württemberg. Sie fördert Bildung, Ausbildung und Erziehung einerseits, andererseits die Pflege der Kulturlandschaft der Schwäbischen Alb.

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