Zuerst die gute Nachricht: Die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern wird kleiner. Weniger erfreulich ist, dass Frauen in Führungspositionen noch immer fast ein um 25 Prozent niedrigeres Gehalt haben als ihre männlichen Kollegen mit gleicher Qualifikation. Dies sind zwei Erkenntnisse aus dem Hessischen Lohnatlas, der gerade in vierter Auflage erschienen ist. Das Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) an der Goethe-Universität hat das Zahlenwerk am heutigen Equal Pay Day gemeinsam mit dem Hessischen Ministerium für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales vorgestellt.
Von „guten Nachrichten“ sprach Hessens Arbeitsministerin Heike Hofmann bei der online stattfindenden Veranstaltung zum Equal Pay Day: Die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern betrug 2023 noch acht Prozent – was im Vergleich zu 2012 nahezu einer Halbierung entspricht. Bei dieser Entwicklung spielt der Mangel an Fach- und Arbeitskräften eine wichtige Rolle. Besonders dynamisch, so die Ministerin, sei die Entwicklung bei Hilfs- und Fachkraftstellen. Bei solchen mit Berufsausbildung betrug die Lücke lediglich noch 3,5 Prozent. „Demgegenüber gibt es leider noch wenig Bewegung bei Stellen mit Führungsverantwortung. Frauen mit Studienabschluss erhalten noch immer knapp 25 Prozent weniger Gehalt als Männer mit gleicher Qualifikation“, sagt Dr. Christa Larsen, Leiterin des IWAK.
Auch regionale Unterschiede fallen auf: So schrumpfen die Entgeltlücken im stark ländlich geprägten Vogelsbergkreis schneller als die in anderen Regionen Hessens. Woran das liegen mag? Ein Blick in den Lohnatlas zeigt, dass diese Dynamik 2021 begonnen hat. Hintergrund ist vor allem der dortige Fachkräftemangel: Der Vogelsberg gehört in Hessen zu den Kreisen mit sehr weit fortgeschrittenem demografischem Wandel. So eröffnen sich Chancen für Frauen auf höhere Entgelte. Diese Entwicklung zeichnet sich schon seit einigen Jahren ab. Die starken Auswirkungen auf die Entgeltgleichheit gerade im ländlichen Raum kommen dennoch überraschend.
Vor allem bei Frauen, die in Teilzeit arbeiten, vermutet Larsen noch erhebliche Potenziale für die Fach- und Arbeitskräftesicherung: „Unsere Befragung zeigt, dass die meisten hessischen Frauen mit Kindern unter 14 Jahren gerne mehr arbeiten würden.“ Allerdings brauchen sie dafür bestimmte Rahmenbedingungen, für die – so die Ministerin – Politik und Wirtschaft gemeinsam sorgen müssten. „Ein Ausweiten der Arbeitszeit würde die beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen verbessern, ihnen ermöglichen, mehr Geld zu verdienen, ihr Risiko für Altersarmut reduzieren, und es ließe die Lohnlücke bei den Berufstätigen schrumpfen“, so Hofmann, die in einer verlässlichen Kinderbetreuung das zentrale Instrument hierfür sieht.
Die Daten des Hessischen Lohnatlas zeigen zudem, dass Entgeltlücken mit Beginn der Familienphase ihren Anfang nehmen. Während Frauen zwischen 25 und 45 Jahren öfter ihre Arbeitszeiten reduzieren und vorübergehend ganz aussteigen, sind es gerade die in Vollzeit arbeitenden Männer in dieser Lebensphase, die aufsteigen. Auch wenn Frauen dann wieder in Vollzeit arbeiten, können sie nach den Berechnungen des Hessischen Lohnatlas bis zum Renteneintritt meistens nicht mehr zu den Männern aufschließen.
Die Erweiterung der Stunden in Teilzeit und die Förderung des Aufstiegs von Frauen ist also sowohl frauenpolitisch als auch im Hinblick auf die Fach- und Arbeitskräftesituation relevant. Brachliegende Potenziale zu erschließen, ist eine zentrale Strategie gegen den Mangel. Und bei Frauen sind die brachliegenden Potenziale beträchtlich.
Die Situation ist branchenabhängig unterschiedlich. Ein Podiumsgespräch verdeutlichte, dass Aufstieg und Arbeitszeiterweiterung jeweils spezifische Herangehensweisen erfordern. „In der Chemiebranche setzen wir auf ein Frauennetzwerk und nutzen die Erfahrungen der Pharmabranche, wo wir inzwischen Entgeltgleichheit erreicht haben“, sagt Nora Hummel-Lindner, Geschäftsführerin Recht und Personalpolitik beim Arbeitgeberverband HessenChemie. „Auch im Strukturwandel der Automobilzuliefererbranche darf die Unterstützung von Frauen im Rahmen von Fachkräfteentwicklung und Aufstieg nicht fehlen“, bekräftigt Dr. Julia Graf von der IG Metall Bezirksleitung Mitte.
Hintergrund: Der Hessische Lohnatlas wird durch das Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) der Goethe-Universität Frankfurt am Main im Auftrag der Hessischen Landesregierung erstellt. Der Lohnatlas schafft Transparenz zur Entgeltlage von Frauen und Männern in Hessen und seinen Regionen sowie in Branchen und Berufsgruppen. Die Daten dienen insbesondere dem Diskurs von Sozialpartnern aus den größten Branchen in Hessen und den kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten dazu, Betriebe und öffentliche Arbeitgeber für die Entgeltlage von Frauen zu sensibilisieren und entsprechende Maßnahmen in der Praxis umzusetzen. In der aktuellen vierten Auflage wird die strategische Verknüpfung der Förderung der Entgeltgleichheit und der Fach- und Arbeitskräftesicherung thematisch einbezogen.
Hessischer Lohnatlas →
Weitere Informationen:
Dr. Christa Larsen
Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK)
Goethe-Universität
c.larsen@em.uni-frankfurt.de