Wo wächst das Gras höher als Häuser? Wo finde ich die Wiege der Menschheit? Die orangefarbenen Plakate machen neugierig auf die Ausstellung „Lebensraum Savanne“ im Palmengarten.
Dort in der Galerie entfaltet diese einmalige Landschaft, die sich über mehr als die Hälfte des afrikanischen Kontinents erstreckt, ihre Pracht und vor allem ihre Vielfalt. Initiiert und konzipiert wurde die Ausstellung von den beiden Botanikerinnen Dr. Karen Hahn, Zentrum für interdisziplinäre Afrikaforschung (ZIAF) der Goethe-Universität, und Dr. Julia Krohmer, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, unterstützt durch weitere Kollegen dieser beiden Institutionen.
„Die meisten Savannenpflanzen brauchen intensiveres Licht, als wir es hier in Europa haben; diesem Affenbrotbaum scheint das Klima nicht recht zu gefallen.“ Julia Krohmer zeigt auf das filigrane Bäumchen im Eingangsbereich der Ausstellung und lenkt dann gleich den Blick auf das riesige Foto eines Affenbrotbaums: gigantisch die Ausmaße dieses Prachtexemplars – 30 Meter Umfang, 20 Meter Höhe, 1000 Jahre alt kann diese auch Baobab genannte Baumart werden. Mindestens 300 verschiedene Nutzungen von Adansonia digitata L., so seine wissenschaftliche Bezeichnung, sind bekannt: Er liefert nicht nur Nahrung, Viehfutter, Material für Gebrauchsgegenstände und für medizinische und kosmetische Produkte, er wird auch als Sitz von Ahnen und Geistern angesehen.
Und in jüngster Zeit erleben das Baobab-Fruchtpulver und seine Verarbeitungsformen in Getränken, Müsliriegeln, Schokoladen einen Siegeszug als Superfood in Europa. Ein Grund, den die Afrikaner schon seit Jahrhunderten zu schätzen wissen: Das Fruchtpulver hat einen hohen Vitamin-C- und Calcium Gehalt. Ob die internationale Nachfrage diesen charakteristischen Savannenbaum bald gefährden wird? Karen Hahn sieht die Entwicklung nicht ohne Sorge: „Wenn die Vermarktung der Früchte zu einer wichtigen Erwerbsquelle für die ländliche Bevölkerung wird, dann müssen unbedingt ökologisch nachhaltige Ernteverfahren und eine faire Einbindung der lokalen Produzenten gewährleistet werden.“
Den Reichtum des Lebensraums Savanne einem breiten Publikum nahezubringen, ist den beiden Wissenschaftlerinnen ein wichtiges Anliegen. Sie forschen seit mehr als 20 Jahren in Westafrika, besonders zur Vegetation, deren Nutzung durch den Menschen und Auswirkungen von Landnutzungsänderungen und globalem Wandel. Die beiden sind „Gewächse“ des Sonderforschungsbereichs „Kulturentwicklung und Sprachgeschichte im Naturraum Westafrikanische Savanne“, der bis 2001 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde und in dessen Folge sich eine enge Kooperation zwischen der Goethe-Universität, der Senckenberg Gesellschaft und den Partneruniversitäten Ouagadougou (Burkina Faso) und Abomey-Calavi (Benin) entwickelt hat.
In gemeinsamen Großprojekten wird die Biodiversität der westafrikanischen Savannen erforscht, aber auch Maßnahmen zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung erarbeitet. „Die Savanne ist mehr als die Serengeti mit ihren Antilopen, Zebras und Elefanten, wie wir sie aus den wunderbaren Filmen von Bernd Grzimek kennen“, und Julia Krohmer erläutert: „Sie ist Speisekammer, Apotheke und Kulturlandschaft, die heute mehrere Hundert Millionen Menschen mit dem versorgt, was sie für ihr tägliches Leben brauchen.“ Und sie ist die Wiege der Menschheit, so beschreibt es der Paläoanthropologe Prof. Dr. Friedemann Schrenk: Sechs Millionen Jahre Menschheitsentwicklung dokumentiert eine eindrucksvolle Ahnengalerie in der Ausstellung.
Um die 200 Exponate wie Früchte, Pflanzen, Samen und Naturprodukte, aber auch Utensilien des täglichen Bedarfs, die aus den Pflanzen gefertigt werden, machen diesen für Afrika so prägenden Landschaftstypus erfahrbar und zeigen, in welch engem Verhältnis mit der Natur die Menschen auf dem Land noch leben. Beeindruckend auch die großformatigen Fotos – alle von Frankfurter Wissenschaftlern, die meisten von Stefan Schmid, Geschäftsführer des ZIAF.
Meine Favoriten in der Ausstellung: Das „Smart Home“, ein Heim aus Zweigen und Grasmatten für unterwegs, das die in den sahelischen Savannen nomadisch lebenden Rinderzüchter schnell auf- und abbauen und problemlos mitnehmen können, wenn sie mehrmals jährlich weiterziehen. Julia Krohmer hat das Haus in ihrem früheren Arbeitsgebiet im Norden Burkina Fasos organisiert. Sie und Karen Hahn hatten in Burkinas Hauptstadt Ouagadougou schon mal mit seinen vorigen Bewohnern geübt, das Haus aufgebaut, bevor es per Container nach Frankfurt transportiert wurde. Und dann begeisterte mich besonders der nachgebildete Termitenhügel: Was die Millionen fleißiger Termiten, die wahren Ingenieure des Ökosystems, vollbringen, zeigt der Blick in das Innere des Hügels: Königinnen- und Brutkammer, Pilzgärten, Abfallkammern und sogar ein kompliziertes Klima- und Belüftungssystem.
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Die Ausstellung im Palmengarten ist bis zum 18. September täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Auch Führungen für Schulklassen und Besuchergruppen werden angeboten.
Das Ausstellungsteam: Neben Dr. Karen Hahn und Dr. Julia Krohmer gehörten zum Team: Dr. Hilke Steinecke, Palmengarten, Dr. Stefan Dressler und Dr. Marco Schmidt, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum, Prof. Dr. Friedemann Schrenk und Prof. Dr. Georg Zizka, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und Goethe-Universität, Dr. Stefan Schmid, ZIAF/Goethe-Universität.
Der Katalog „Savanne – Lebensraum für Pflanzen, Tiere und Menschen“, hrsg. von Karen Hahn und Julia Krohmer, bietet umfassende Informationen und eindrucksvolle Fotos zu allen Stationen der Ausstellung auf 136 Seiten. Er ist als Veröffentlichung der „Kleinen Senckenberg-Reihe 57 und als Palmengarten-Sonderheft erschienen, erhältlich im Palmengarten, im Senckenberg Naturmuseum und im Buchhandel, ISBN 978-3-510-61406-6, 10,90 Euro.
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Dieser Artikel ist in der Ausgabe 4-2016 des UniReport erschienen [PDF].