Iwo Amelung, Sinologe

Wie oft er schon nach China gereist ist, kann Iwo Amelung nicht sagen. „Ich habe nicht nachgezählt“, sagt er, „aber insgesamt habe ich viele Jahre dort gelebt, so zum Beispiel von 2003 bis 2007, als ich an der Pekinger Universität gearbeitet und ein Austauschprogramm koordiniert habe.“ Im Anschluss an den vierjährigen China-Aufenthalt wurde Amelung 2007 auf seine Professur an der Goethe-Universität berufen und vertritt am Institut für ostasiatische Philologien seither das Fach Sinologie in Forschung und Lehre.

Iwo Amelung © Jürgen Lecher, Goethe-Universität Frankfurt
Iwo Amelung © Jürgen Lecher, Goethe-Universität Frankfurt

Sein eigener Kontakt mit dem ‚Reich der Mitte‘ begann dabei ganz pragmatisch und unspektakulär: „Ich bin Historiker, und um Geschichte auf Magister zu studieren, brauchte ich ein zweites Hauptfach“, berichtet Amelung. Das sei in den 1980er-Jahren gewesen. Weil Sinologie damals als Fach populär zu werden begann, habe auch er von dieser Studienmöglichkeit erfahren und sich dafür entschieden – ohne dass er zuvor jemals etwas mit Chinesisch zu tun gehabt hatte. „Aber eine gewisse Faszination habe das Land mit seiner vollkommen fremden Sprache, Schrift und Kultur schon damals auf ihn ausgeübt. „Besonders faszinieren mich seither die umfassenden Veränderungen, die sich in China beobachten lassen“, sagt Amelung, „sie führen dazu, dass man heutzutage ein ganz anderes China-Bild hat als noch vor 20 oder 30 Jahren.“ So habe China lange als arm gegolten – inzwischen seien aber viele Chinesinnen und Chinesen vergleichsweise reich geworden, und der Lebensstandard von Teilen der städtischen Bevölkerung sei mit dem des Westens sehr wohl vergleichbar.

Pragmatismus eines Historikers

Unabhängig von dieser Begeisterung für das zeitgenössische China beschäftigt sich der Sinologe und Historiker Iwo Amelung in seiner Forschung insbesondere mit der chinesischen Geschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. „Dass ich mich als Wissenschaftler auf diese Epoche konzentriert habe, dafür gab es zunächst ganz simple pragmatische Gründe“, stellt er klar und berichtet: „In den 1980er- und frühen 1990er-Jahren, also während meines Studiums und am Anfang meiner wissenschaftlichen Laufbahn, wurden chinesische Archive erstmalig für die historische Forschung zugänglich, und ich bekam die Möglichkeit, fast ein Dreivierteljahr im ‚Ersten historischen Archiv‘ der Volksrepublik China zu verbringen. Da hatte ich also quasi einen exklusiven Zugriff auf umfangreiche, hochinteressante Quellen aus dem ausgehenden chinesischen Kaiserreich“, berichtet Amelung, „also aus einer bis dahin so gut wie gar nicht erforschten Epoche.“ Für das Anfertigen einer sinologischen Dissertation seien das paradiesische Voraussetzungen gewesen – zumal für ihn als Historiker. In der Doktorarbeit, die Amelung auf der Grundlage seiner Erkenntnisse aus dem ‚Ersten historischen Archiv‘ verfasste, hatte er also auf seinem wissenschaftlichen Weg die entscheidende Richtung eingeschlagen. Entscheidend für Amelungs Arbeit als Sinologe und Historiker ist außerdem, dass er sich hauptsächlich mit Wissenschaftsgeschichte beschäftigt: So erforscht er derzeit, wie sich verschiedene Wissenschaften in China von 1949 bis in die Gegenwart entwickelt haben. Außerdem hatte er geplant, 2021 im ‚Zweiten historischen Archiv‘ Materialien zur Entwicklung der chinesischen Meteorologie im 20. Jahrhundert zu untersuchen. Dieses Vorhaben wurde allerdings durch den Ausbruch der Covid-19-Pandemie zunichtegemacht, da in den darauffolgenden Jahren praktisch keine Forschenden nach China einreisen durften.

Kulturgüter in Kriegszeiten

Stattdessen hat Amelung seinen Blick weg von historischen Archiven und mehr auf Fundstellen und Museen gerichtet. „Dort möchte ich nämlich zum einen herausfinden, wie der chinesische Staat in Kriegs- und Krisenzeiten seine Kulturgüter schützt“, sagt er, „dieses Thema hat bisher bei Weitem nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die es eigentlich verdient. Zum anderen untersucht Amelung, wie die Volksrepublik archäologische Funde aufarbeitet und präsentiert, um daraus nationalistische Diskurse im China der Gegenwart zu konstruieren. Themen wie diese ideologische Auswertung archäologischer Funde dominieren allerdings nicht nur seine Forschung: „In meinen Vorlesungen und Übungen, ganz besonders aber in meinen Seminaren, möchte ich Dinge, die mich interessieren, an die Studierenden weitergeben.“ Dabei legt Amelung besonderen Wert darauf, mit seinen Studierenden einen Dialog zu führen: „Ich möchte, dass die Leute einerseits lernen, selbst zu denken und dass sie andererseits sagen, was sie denken“ – sei es auf Deutsch, im ‚klassischen‘ Bachelor- oder Master-Studiengang Sinologie, sei es auf Englisch im Master-Studiengang „Modern East Asian Studies“. Amelung berichtet von Exkursionen, die er vor rund 10 beziehungsweise 15 Jahren zusammen mit Studierenden der Sinologie und der Architektur unternahm. Das Vorhaben, an der Goethe-Universität eine Professur für chinesische Archäologie einzurichten, ließ sich seinerzeit allerdings nicht verwirklichen, was Amelung nach wie vor bedauert. In seinen Augen ist dieses Fach alles andere als ein akademisches ‚Nice-to-have‘, und er betont: „Archäologie ist in China mittlerweile extrem wichtig geworden – und sie hat sich dort zu einer der am besten ausgestatteten Forschungsdisziplinen entwickelt.“

Stefanie Hense

Relevante Artikel

Preisträgerin Maren Jordan mit Prof. Roland Hardenberg, dem Direktor des Frobenius-Instituts an der Goethe-Universität. © Jennifer Markwirth

Warum im Oman weniger Kinder geboren werden

Forschungsförderungspreis des Frobenius-Instituts geht an Maren Jordan Einmal im Jahr verleiht das Frobenius-Institut den Frobenius Forschungsförderungspreis für exzellente ethnologische Dissertationen

Prof. Cornelia Storz erhält vom Generalkonsul Takeshi Ito den Orden.

Cornelia Storz erhält Orden

Am 12. Juni 2025 hat die japanische Regierung den Kaiserlichen Orden der Aufgehenden Sonne am Halsband – Goldene Strahlen an

Öffentliche Veranstaltungen
Kind auf einem Roller © Irina WS / Shutterstock

Wie junge Menschen unterwegs sein möchten

Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt fördert Nachwuchsgruppe CoFoKids an der Goethe-Universität „Von der ‚Generation Rücksitz‘ zu den Vorreitern der

You cannot copy content of this page