Ohne Fachkräfte aus dem Ausland wäre der Pflegenotstand hierzulande noch deutlicher spürbar. Doch die Integration dieser Menschen in den Arbeitsalltag könnte besser laufen – und das liegt nicht in erster Linie an sprachlichen Schwierigkeiten. Dies zeigt eine Studie des Instituts für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) der Goethe-Universität, die gemeinsam mit dem Institut für Sozialforschung (IfS) erstellt wurde.
Krankenhäuser und Altenpflegeeinrichtungen stellen immer mehr Menschen ein, die ihren Berufsabschluss im Ausland erworben haben. Die Zahl der Fachkräfte in diesem Bereich, die jährlich einwandern, ist innerhalb von fünf Jahren um das Fünffache angestiegen: Waren es 2012 noch 1.500 Pflegekräfte mit einem ausländischen Abschluss, wurden 2017 schon 8.800 solcher Mitarbeiter gezählt. Vor allem in Großstädten schreitet diese Entwicklung rasch voran: In den Frankfurter Krankenhäusern, so schätzen Experten, stammt inzwischen fast jede zweite neue Pflegefachkraft aus dem Ausland.
Allerdings gelingt es in vielen Fällen nicht, die Fachkräfte auch in den Einrichtungen zu halten. Vor diesem Hintergrund ist die durch die Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie „Betriebliche Integration auf globalisierten Arbeitsmärkten (BIGA)“ konzipiert worden. Wie die Zusammenarbeit in Kliniken und Pflegeeinrichtungen im Alltag funktioniert, wurde in knapp 60 ausführlichen Interviews ergründet. Befragt wurden vor kurzem eingewanderte Fachkräfte, aber auch deren in Deutschland ausgebildete Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzte, Arbeitnehmervertreter und Migrationsexperten. Dabei zeigte sich: Alle Beteiligten sind mit der Zusammenarbeit oft unzufrieden. „Differenzen und Missverständnisse werden immer wieder auf ‚kulturelle Unterschiede‘ zurückgeführt, haben ihre Ursache aber woanders“, stellt Sigrid Rand, wissenschaftliche Mitarbeiterin des IWAK fest. Dabei hätten die Spannungen in Wirklichkeit vor allem mit gegenseitiger Unkenntnis der unterschiedlichen Arbeitszuschnitte zu tun: „In vielen Herkunftsländern werden Pflegefachkräfte an Hochschulen ausgebildet. Eine hochqualifizierte schulisch-betriebliche Ausbildung wie in Deutschland ist dort nicht bekannt. In ihren Heimatländern konnten die Pflegekräfte mehr Management- und Behandlungsaufgaben übernehmen, die in Deutschland den Ärzten vorbehalten sind. Aufgaben der ‚Grundpflege‘ wie die Unterstützung beim Essen oder bei der Körperpflege sind dort Sache spezieller Service-Kräfte oder der Angehörigen.“
Ausländische Pflegekräfte fühlen sich aufgrund sprachlicher Barrieren von Informationen ausgeschlossen, ihre alteingesessenen Kollegen kritisieren an ihnen wiederum mangelnde Kenntnisse in der Grundpflege und beim Sozialverhalten, heißt es in der Studie. Die ausländischen Fachkräfte könnten allenfalls als Lernende angesehen werden, wurde im Interview geäußert. Die neu migrierten Pflegefachkräfte reagierten auf die Konflikte mit „systematischem Lernen“, einer „ambivalenten Anpassung“ – und bei anhaltender Unzufriedenheit mit einer Abkehr von ihrem Arbeitsplatz und unter Umständen mit der Rückkehr ins Heimatland.
Die Autoren der Studie plädieren dafür, dass Arbeitgeber die Beschäftigten – ob neu hinzugekommen oder alteingesessen – mit den Herausforderungen nicht allein lassen. Sie sollten vielmehr Raum für fachlichen Austausch und Konfliktlösung schaffen, unabhängige Coaches zur Verbesserung der Kommunikation einsetzen. Entscheidend sei auch, dass der Stress am Arbeitsplatz nicht zu groß sei: Wenn die Pflege permanent unterbesetzt ist, bleibt kaum Freiraum für solche wichtigen Aufgaben. Letztlich könne man die andersartigen Erfahrungen ausländischer Kräfte aber auch nutzen, um den Arbeitsalltag in Deutschland besser zu organisieren.
Ergänzend zur Studie wurde ein „Working Paper“ erstellt, an dem sowohl die Forscher als auch Betriebsräte und Personalverantwortliche aus den Pflegeeinrichtungen beteiligt waren. Darin finden Entscheider wichtige Hinweise, um die Situation möglichst rasch zu verbessern. Darüber hinaus bewirkte die Studie, dass das Hessische Ministerium für Soziales und Integration das „Zentrum zur Anwerbung und nachhaltigen Integration internationaler Pflege- und Gesundheitsfachkräfte (ZIP Hessen)“ ins Leben gerufen hat. „Das ist ein gutes Beispiel für den direkten Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Gesellschaft“, sagt Dr. Christa Larsen, Geschäftsführerin des IWAK: „Hier können Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser sich über den fachlichen Hintergrund ihrer neumigrierten Pflegefachkräfte informieren und Missverständnisse vermeiden. Manche schaffen es sogar, die zusätzlichen Kompetenzen für ihren Betrieb nutzbar zu machen. Das hilft allen Seiten.“
Das IWAK an der Goethe-Universität befasst sich seit fast 20 Jahren mit den Entwicklungen auf dem Pflegearbeitsmarkt. Die vom IWAK aufgebauten Monitoringsysteme für Hessen und Rheinland-Pfalz liefern kontinuierlich nützliche Daten für die Pflege, zum Beispiel zur Ausbildungsplanung. In diesen beiden Bundesländern wird dadurch eine Transparenz im Pflegesektor geschaffen, die bundesweit einmalig ist.
Further information: Studie (PDF) und Working Paper (PDF)