Constanze Fuchs über die Herausforderungen der schulischen Inklusion

In der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen haben sich die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, ein „inclusive education system“ zu errichten, in dem Lernende mit Beeinträchtigungen und Behinderungen nicht ausgeschlossen werden. Deutschland gehört zu den Unterzeichnerstaaten, aber das deutsche Bildungssystem tut sich noch immer schwer damit, die UN-Konvention umzusetzen. Constanze Fuchs, Geschäftsführerin der Arbeitsstelle für Diversität und Unterrichtsentwicklung – Didaktische Werkstatt, ein Kooperationsprojekt des Fachbereichs Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität mit dem Hessischen Kultusministerium, kennt die Hemmnisse von Strukturen, aber auch die Skepsis von Lehrenden und Schulleitungen aus ihrer Zeit als Förderschullehrerin an einer Integrativen Gesamtschule sowie Grundschule. Sie hat aber auch Erfahrungen machen können, wie Inklusion gelingen kann. „Es bedarf immer auch engagierter Schulleitungen und Kollegien, die etwas verändern wollen. Es gibt in Frankfurt gute Beispiele, auf die ich immer gerne verweise“. Zwei Aspekte sind für sie maßgeblich dafür, ob Inklusion gelingen kann: eine stärkere Individualisierung des Unterrichts, bei der jede Schülerin und jeder Schüler gleichermaßen im Fokus steht, der Umgang mit Verschiedenartigkeit gelebt wird. „Mit mehr Individualisierung stellt auch eine heterogenere Schülerschaft kein Problem mehr dar.“ Zum anderen ist für sie ein flexibleres Arbeitszeitmodell für die Lehrenden die Voraussetzung dafür, dass unter Nutzung aller Ressourcen stärker teamorientiert an Schulen gearbeitet werden kann. Sie mahnt: „Solange inklusive Beschulung nur in bestimmten Schulformen gelebt und es nicht in die Fläche getragen wird, bleibt man bei einer Zweiklassengesellschaft.“

Angebote für Studierende und Lehrkräfte

Die Arbeitsstelle für Diversität und Unterrichtsentwicklung wurde 2004 gegründet; ursprünglich aus dem Institut für Sonderpädagogik hervorgegangen, versteht sie sich heute institutsübergreifend als Einrichtung, an der Professuren aus allen Bereichen der Erziehungswissenschaften beteiligt sind. Zielgruppe sind Studierende, Lehramtsanwärterinnen und Lehrkräfte. Auch auf europäischer Ebene ist man gut vernetzt, denn auch die nationale Koordination der „Europäischen Agentur für sonderpädagogische Förderung und inklusive Bildung“, einer unabhängigen Organisation, die als Plattform für die inhaltliche und konzeptionelle Zusammenarbeit ihrer 28 Mitgliedsländer dient, ist in der Arbeitsstelle verankert. „Wir bieten Studierenden Praxisprojekte im schulischen und außerschulischen Bereich. Ein Beispiel wäre ein Projekt an einer innovativen integrativen Gesamtschule. „In sogenannten Fachbüros unterstützen Studierende Schülerinnen und Schüler, die Probleme haben, selbstorgansiert zu arbeiten“, erklärt Constanze Fuchs. Im begleitenden Seminar werden die Studierenden mit Förderkonzepten vertraut gemacht, erhalten Materialien und reflektieren über ihre Erfahrungen.

Constanze Fuchs in der Didaktischen Werkstatt. Foto: Arbeitsstelle Diversität und Unterrichtsentwicklung

Die Angebote der Didaktischen Werkstatt für die Lehramtsanwärter*innen finden in Zusammenarbeit mit den Studienseminaren statt und für die dritte Phase der Lehrkräftebildung bietet die Arbeitsstelle den Kolleginnen und Kollegen an den Schulen Fortbildungen mit Seminaren in Präsenz, aber seit Ausbruch der Corona-Pandemie auch neue Formate wie „Blitz-Fortbildungen“ und Online-Selbstlernkurse an. Themen sind unter anderem Schwierigkeiten im Lesen, Rechnen und Schreiben. Für das Referat Sonderpädagogik stehen beispielsweise Veranstaltungen zum „Umgang mit besonderem Verhalten“, Teamarbeit und Kooperation auf dem Programm. Constanze Fuchs ist der Transfer und die Einbeziehung von wissenschaftlichen Ergebnissen und Forschungsprojekten wichtig. Auch in den Seminar- und Projektangeboten für Studierende fühlt man sich der Idee des Forschenden Lernens verpflichtet.

Fuchs hat eine Vision: Die Strukturen, die an der Frankfurter Arbeitsstelle etabliert werden konnten, werden integraler und selbstverständlicher Bestandteil in allen Studiengängen des Lehramts. Sie sieht aber insgesamt noch einen weiten Weg für die inklusive Beschulung. „Unter den aktuellen Corona-Bedingungen überlagert das Thema Digitalisierung alle anderen wichtigen Bereiche der Schul- und Unterrichtsentwicklung.“ Sie sieht aber durchaus in den virtuellen Tools auch Vorteile für den fachlichen Austausch: Beim erstmals im Online-Format stattfindenden Fachgespräch der Arbeitsstelle zur Lehrkräftebildung für eine inklusive Schule war das Interesse landesweit viel größer als bei Präsenzveranstaltungen, eine Erfahrung, die langfristig zu einer Erweiterung dieses Angebots führen wird. Auch die Unterrichtsentwicklung könnte von der Flexibilisierung des Lehrens und Lernens profitieren: „An Schulen, die schon vor Corona die individuelle Lernkultur nachhaltig gestärkt haben, zeigt sich nun, dass ihre Schülerinnen und Schüler auch beim Homeschooling viel selbstständiger und zielgerichteter arbeiten.“


Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 1/2021 (PDF) des UniReport erschienen.

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