Die beiden Informatiker Uwe Brinkschulte und Mathias Pacher arbeiten auf Grundlage des Organic Computing an sicheren und sich selbstorganisierenden Drohnensystemen.
Seit einigen Jahren sind sie auch für Hobbyflieger erschwinglich und liefern kinderleicht Luftbilder auch vom eigenen Wohnumfeld. Doch die zunehmende Verbreitung von Drohnen hat auch Fragen der Cybersicherheit im privaten wie auch beruflichen Sektor aufgeworfen. „Drohnen können auf ganz unterschiedliche Weise angegriffen werden. Der Datenfluss zum Fluggerät läuft über WLAN oder Bluetooth, das macht sie relativ schutzlos gegenüber Hackerangriffen“, erklärt Prof. Uwe Brinkschulte, Professor für Eingebettete Systeme am Institut für Informatik der Goethe-Universität.
Wie kann man aber diese Technologie, die auch von staatlichen Behörden gerne eingesetzt wird, sicherer machen?
Uwe Brinkschulte arbeitet zusammen mit seinem Kollegen Apl. Prof. Mathias Pacher an der Weiterentwicklung von Organic Computing. Er erläutert den Hintergrund: „Die Entwickler sind der zunehmenden Komplexität von Hunderten von Prozessoren auf einem Chip weder gewachsen, noch können sie wirklich deren Potenziale ausnutzen. Eine rettende Idee, die es bereits seit 20 Jahren gibt, lautet: Wir nutzen die Biologie als Vorbild für das Design neuer Computersysteme, um sie so robust gegenüber Ausfällen zu machen und damit sie sich selbstständig an neue Umgebungen anpassen. Dies ist insbesondere bei sogenannten eingebetteten Systemen wichtig, die zur Steuerung in ein technisches Umfeld eingebettet sind.” Die Fachrichtung der Informatik, die sich mit dieser Forschung befasst, nennt man Organic Computing. Diese robusten Organic-Computing-Computersysteme können dann beispielsweise zur Steuerung einer Drohne oder eines Drohnenschwarms eingesetzt werden.
Organic-Computing-Systeme werden wie biologische Einheiten gedacht, die über eine Reihe von günstigen Eigenschaften verfügen: Sie sind unter anderem in der Lage, sich selbst zu organisieren, zu konfigurieren und auch zu optimieren. „Das an biologischen Systemen orientierte System findet selbst die Startkonfiguration, kann sich je nach Umweltbedingungen selbstoptimieren und sich entsprechend anpassen. Darüber hinaus verfügt dieses System auch über die Fähigkeit, wie ein Organismus, der verwundet ist, sich quasi selbst zu heilen. Wir haben zu Anschauungszwecken des Organic Computings ein kleines Fahrzeug gebaut, das wie ein Segway auf zwei Rädern steht und sich ständig selber ausbalancieren muss. Wir können bei diesem kleinen Vehikel einzelne Prozessoren deaktivieren, aber es kann diesen Verlust ausgleichen, auch wenn es anfangs noch etwas wackelt“, erklärt Brinkschulte. Er vergleicht das mit der Stabilität beim Herz: Wenn hier einzelne Muskelzellen ausfallen, können andere Zellen diesen Verlust ausgleichen, das Herz kann weiterschlagen. Eine weitere wichtige Eigenschaft eines solchen Systems ist die des Selbstschutzes: Gerade vernetzte Systeme sind von außen angreifbar und müssen rechtzeitig erkennen, wann und wie die Gefahr auftritt. Das Prinzip der Selbsterklärung wiederum bedeutet, dass das System in der Lage sein muss, dem Nutzer zu erklären, was geändert wurde. Schließlich bedeutet die Eigenschaft des Selbstbewusstseins, dass das System seine Fähigkeiten kennt.
Vorbild: das menschliche Hormonsystem
An dieser Stelle betont Uwe Brinkschulte, dass der Begriff in keiner Weise mit dem des menschlichen Selbstbewusstseins verwandt ist. „Es handelt sich um ein technisches, nicht um ein biologisches System. Wir möchten sozusagen die Eigenschaften der Zelle auf den Chip übertragen. Wir haben uns dabei das menschliche Hormonsystem als Vorbild genommen. Es handelt sich dabei um einen dezentralen Regelkreis. Wenn Zellen oder Drüsen Hormone ausschütten, haben diese eine beschleunigende oder bremsende Wirkung.“ Der Regelkreis ist komplett dezentral und besteht aus dem Zusammenspiel von vielen Zellen, die auch mal ausfallen können. Das künstliche Hormonsystem ist flexibel, selbstorganisierend und fehlertolerant. Sobald ein Rechenknoten eine Aufgabe übernommen hat, schickt er ein entsprechendes Unterdrückungshormon aus. Falls dieser Rechenknoten einmal ausfallen sollte, kann auch kein Unterdrückungshormon mehr versendet werden; dann springt sofort ein anderer Rechenknoten ein. „Wir haben uns bei der Konzeption eines künstlichen Hormonsystems an der Biologie orientiert. Wie bilden sich nun in einem Lebewesen Organe aus? Stammzellen können im Prinzip alle Funktionen übernehmen. Wenn sich eine Zelle beispielsweise zur Leberzelle entwickelt, schickt sie Hormone aus, dass sich in der Nachbarschaft ähnliche Zellen entwickeln. Die DNA ist dafür der Bauplan, der vorgibt, wie der Organismus aufgebaut ist.“ Mit Bauplänen kann man nun, so Brinkschulte, in der Informatik auch arbeiten. Die künstliche DNA ist im Prinzip auch ein Bauplan des Systems, in abstrakter Form. „Jeder Rechenknoten verfügt gewissermaßen über den kompletten Bauplan; das künstliche Hormonsystem sorgt dafür, dass sich dieser Bauplan genau einmal aufbaut. Kommt es zu einer Störung, baut sich der Bauplan nochmal auf, repariert sich also selbsttätig. Die Aufgaben werden dann auf andere Rechenknoten verteilt, das ist ja die Grundidee unseres Konzepts.“
Wenn Prozessoren beim Drohnenflug ausfallen
Wie kommt nun das künstliche DNA-System in einer Drohne zum Einsatz? Apl. Prof. Mathias Pacher, wie sein Kollege Uwe Brinkschulte Experte für Eingebettete Systeme, erklärt den Mechanismus: „Die DNA-Prozessoren stecken in der Drohne oder in der Bodenstation. Der Prozessor kann eine einzelne Drohne, aber auch einen ganzen Schwarm steuern. Wir arbeiten in unserem Projekt eng mit der Polizeifliegerstaffel Hessen zusammen, die konkrete Anforderungen an den Drohneneinsatz hat: Manchmal müssen Menschenansammlungen mit mehreren Drohnen überwacht werden. Dann ist es erforderlich, dass sich die Drohnen kreisförmig ausbreiten. Das ist mit unserer Technologie mühelos zu machen.“ Pacher betont, dass man am Anfang mit Simulationen arbeitet, gerade auch um Unfälle zu vermeiden. Mittlerweile hat aber auch der Einsatz einer realen Drohne ohne Komplikationen geklappt. Denn Pacher und Brinkschulte testen, wie die Drohnen mit dem Ausfall von Prozessoren klarkommen. Pacher schränkt ein: „Wir können mit dem künstlichen DNA-System Störungen in der Software beheben. Gegen einen mechanischen Schaden, beispielsweise wenn ein Rotor abfällt, können wir nichts tun.“
Für die Polizei ist wichtig, dass die Kommunikation zwischen Bodenstation und Drohne einwandfrei funktioniert. Datenabgriffe, aber auch aktive Eingriffe in das System mittels einer fremden Drohne, sind Gefahren, die verhindert werden müssen. „Zu den Sicherheitsmaßnahmen zählt zum Beispiel, dass die künstlichen Hormone verschlüsselt werden. Ebenso müssen die Prozessoren erkennen können, ob die eingehende Nachricht integer ist oder nicht. Wir arbeiten auch mit einem Vertrauensmechanismus, den man aus sozialen Kontexten kennt: Die Drohnen bauen entsprechend auf Beobachtung basierend Vertrauen zueinander auf. Wenn das Vertrauen vorhanden ist, übernehmen sie auch mal Aufgaben füreinander.“ Die Vorstellung einer sich selbstorganisierenden und selbstheilenden Drohne mag für manche wie Science-Fiction klingen. Könnten die Drohnen sich theoretisch von der Steuerung durch den Menschen loseisen und auf gefährliche Weise ein Eigenleben entwickeln? „Nein, mit unserem Bauplan nicht, die Drohne kann sich nicht über die vorprogrammierte Steuerung hinwegsetzen“, betont Uwe Brinkschulte. „Auch im rein zivilen Einsatz gäbe es viele Einsatzmöglichkeiten. So kommen Drohnenschwärme heutzutage auch schon als Ersatz für reale Feuerwerke zum Einsatz, es werden dann Lichtshows damit produziert. Durch unsere Technologie könnten dabei zum Beispiel auftretende Windstöße und andere Störungen durch entsprechend reagierende Drohnen kompensiert werden.“ Die Zukunftsträchtigkeit der künstlichen DNA sieht man auch daran, dass sie gegenwärtig in viele weitere Richtungen erforscht wird: So arbeiten die Wissenschaftler um Brinkschulte und Pacher zusammen mit Partnern in Industrie und Forschung an einer Integration des DNA-Systems in die Lenkradsteuerung eines autonomen Fahrzeugs sowie an einer Erweiterung, die eine Änderung der DNA zur Laufzeit ermöglicht.
Mehr zum DFG-Projekt Organic-Computing mit künstlicher DNA für hochzuverlässige dynamische Systeme auf Basis semantischer Modelle und evolutionärer Algorithmen zur Fehlerdiagnose und Adaptation hier.